Der Krieg in der Ukraine verändert die Welt. Er sollte auch in Luxemburgs Politik zu einem Umdenken führen. Will die Regierung mit ihrer Außenpolitik halbwegs glaubwürdig bleiben, dürfen wirtschaftliche Interessen nicht mehr über allem stehen. Ein Kommentar.
Man könnte es sich ja leicht machen: Luxemburg ist ein Kleinstaat, der außen- und sicherheitspolitisch keine Rolle spielt. In einem geopolitischen Konflikt, in dem selbst die EU als Ganzes an ihre machtpolitischen Grenzen stößt, ist das Großherzogtum im wahrsten Sinne des Wortes eine „Quantité négligeable“.
Doch so einfach ist es dann doch nicht. Russlands Krieg in der Ukraine geht auch Luxemburg etwas an. Und das nicht nur, weil an der Außengrenze der EU, weniger als 2.000 Kilometer von uns entfernt, ein militärischer Konflikt stattfindet. Während Luxemburg sicherheitspolitisch zu vernachlässigen ist, ist es natürlich trotzdem ein Akteur der Weltpolitik. Und sei es nur als kleines Land mit einem überdimensionierten Finanzplatz.
Nationale Interessen und Reflexe
Genau an dieser Stelle trägt Luxemburg aber eine besondere Verantwortung in diesem Konflikt. Die ganze Luxemburger Politik ist auf den Finanzplatz ausgerichtet. Er treibt das Wirtschaftswachstum, nährt den Staatshaushalt und ermöglicht den vergleichsweise hohen Wohlstand im Land. Auch außenpolitisch ist die Regierung stets auf wirtschaftliche Attraktivität und Offenheit bedacht. Die Verteidigung des Finanzplatzes gehört realpolitisch zu den vitalen Interessen des Landes.
Natürlich ist es einfacher, anderen Staaten Lektionen in Moral zu erteilen, wie es Luxemburgs Regierung regelmäßig tut. Irgendwann muss man aber auch selbst entsprechend handeln. »
„Ich werde die nationalen Interessen Luxemburgs resolut verteidigen“, sagte Yuriko Backes (DP) bei einem ihrer ersten Auftritte als neue Finanzministerin. Dabei bezog sie sich wohlgemerkt nicht auf die Wahrung des Weltfriedens, sondern deutete Widerstand gegen Anstrengungen der EU im Kampf gegen Briefkastenfirmen an. Auch Außenminister Jean Asselborn (LSAP) gesteht in Interviews hin und wieder, dass es Luxemburg in der globalen Arena nicht allein um Solidarität und Europa geht. „Daneben haben wir aber auch eigene Interessen, unsere Wirtschaft, unseren Finanzplatz.“
Gleichzeitig bleibt der Einsatz für idealistische Werte auch eine Leitlinie Luxemburger Außenpolitik. In akuten internationalen Krisen droht der Balanceakt zwischen der Wahrung nationaler Interessen und dem Einsatz für das Gute in der Welt aber zu scheitern. So ist es auch in diesen Tagen. Die Regierung hadert noch mit einer schlüssigen Haltung gegenüber Russland. Denn mit dem Aggressor im Ukraine-Konflikt unterhielt man bisher ausgesprochen pragmatische Beziehungen.
Primat der wirtschaftlichen Offenheit
Geht es nach der außenpolitischen Tradition, so würde Luxemburg nach kurzer Empörung bald wieder zur Tagesordnung übergehen. « Business as usual », mit Betonung auf « business ». Doch die Ereignisse der vergangenen Tage machen deutlich, dass es dieses Mal anders sein wird. Die Regierung wird ihre Russlandpolitik grundlegend überdenken müssen. Sie sollte sich besser früher als später darauf einstellen und entsprechend handeln.
Die Geschichte zeigt zwar: Außenpolitik ist immer Realpolitik, bei der moralische Erwägungen allein nur bedingt etwas bewirken können. Doch ganz ohne wertebasierten Kompass und idealistische Ziele hat selbst die bestgemeinte Außenpolitik keinen Zweck. Die Maximierung des eigenen Wohlstands ist an sich zwar eine legitime außenpolitische Zielsetzung. Doch im aktuellen Konflikt stößt Luxemburgs moralisch flexible Realpolitik ganz offensichtlich an Grenzen.

Was bei den bisherigen politischen Reaktionen jedoch auffällt: Es mangelt nicht nur an nachvollziehbaren Prinzipien, sondern bereits an einer Debatte darüber. Luxemburgs Außenpolitik wird seit bald zwei Jahrzehnten vom gleichen, meinungsfreudigen Minister quasi im Alleingang vertreten. Eine substanzielle politische Auseinandersetzung darüber, welche Interessen Jean Asselborn eigentlich verteidigen oder fördern soll, findet jedoch kaum statt. Auch der Premier beteiligt sich nur latent an dieser öffentlichen Debatte. In Kombination mit dem parteiübergreifend akzeptierten Primat der wirtschaftlichen Offenheit wird ein Wandel der außenpolitischen Traditionen so weiter erschwert.
Mehr eigene Außenpolitik wagen
Regelmäßig kann jedoch auch Jean Asselborn nicht anders, als Farbe zu bekennen. Die russische Aggression in der Ukraine ist wieder so ein Moment. Der Außenminister fand in seinen ersten Reaktionen zwar durchaus klare Worte. Fraglich ist jedoch, ob diesen Worten auch eigene Taten folgen werden. Wenn es in Luxemburgs Außenpolitik nicht nur um finanzielle Interessen, sondern tatsächlich auch um Menschenrechte, Multilateralismus und die Verteidigung liberaldemokratischer Prinzipien gehen soll, dann kann das Handeln Russlands nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Gerade Luxemburg müsste aktive Anteilnahme für ein Land zeigen, dessen Existenzrecht in Frage gestellt wird – wenn schon nicht aus politischer Überzeugung, dann aus historischem Bewusstsein. »
Die realpolitische Erkenntnis dieser Tage lautet: Niemand, auch nicht eine schon lange nicht mehr so geschlossene NATO, hat ein Interesse an einer militärischen Konfrontation mit der Nuklearmacht Russland. Das Drängen auf Diplomatie und Deeskalation, ein weiteres Prinzip wertebasierter Außenpolitik, hat demnach an Aktualität nicht eingebüßt. Zur Realpolitik gehört aber auch, dass man die neue Realität anerkennt und die Beziehungen zu Moskau im Rahmen der eigenen Möglichkeiten grundsätzlich in Frage stellt.
Daraus folgt fast zwangsläufig ein anderer, weniger an wirtschaftlichen Interessen orientierter Fokus der Politik. So wie Luxemburg in der Flüchtlingsfrage oder bei früheren militärischen Konflikten internationale Solidarität zum Leitmotiv erhob, muss dies auch für die Ukraine gelten. Gerade Luxemburg müsste aktive Anteilnahme für ein Land zeigen, dessen Existenzrecht in Frage gestellt und mit Waffen bekämpft wird – wenn schon nicht aus politischer Überzeugung, dann aus kollektivem historischem Bewusstsein.
Luxemburg könnte auch mehr tun, als nur verbal zu verurteilen. Auch ein Kleinstaat kann, wenn es sein muss, eigenständig Außenpolitik machen. Vor diesem Hintergrund reicht es auch nicht, dass man Sanktionen lediglich mitträgt, wenn die Mehrheit dafür vorhanden ist. Man könnte sich auch tatkräftig dafür einsetzen. Auf europäischer Ebene gibt es einige Partner, mit denen man sich gemeinsam für harte wirtschaftliche Sanktionen und eine politische Isolation Russlands in internationalen Organisationen stark machen könnte.
Wider die eigene Scheinheiligkeit
Letztlich geht es aber nicht nur um die europäische Ebene, sondern auch um Luxemburgs eigenes außenpolitisches Selbstverständnis. Nicht alle europäischen Staaten haben über die vergangenen Jahre so dezidiert eine privilegierte wirtschaftliche Partnerschaft mit Moskau aufgebaut wie Luxemburg. Nicht alle Hauptstädte in der EU beherbergen so viele Holdings, in denen russische Oligarchen und Unternehmen diskret ihr Vermögen horten. Und nicht alle haben diese Geschäftsbeziehungen politisch so aktiv gefördert wie Luxemburgs Regierungsparteien der vergangenen Jahrzehnte. Damit steht Luxemburg stärker als andere Akteure in der Verantwortung, seine Haltung dauerhaft zu überdenken.
Ein ‘Weiter so’ wäre eine klare Entscheidung gegen die Ideale, die unsere Regierung nach außen gerne hochhält, für deren Erreichung sie jedoch nicht viel zu riskieren bereit ist. »
Die Abkehr von den bisherigen außenpolitischen Reflexen ist eine politische Herausforderung. Sie wird auch nicht von heute auf morgen geschehen. Denn sie erfordert nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern eine tiefgreifende Infragestellung der eigenen Überzeugungen und einen dauerhaften Wandel der Russlandpolitik. Natürlich ist es einfacher, anderen Staaten Lektionen in Moral zu erteilen, wie es Luxemburgs Regierung regelmäßig in anderen internationalen Konflikten tut. Irgendwann muss man aber auch selbst entsprechend handeln.
Früher oder später muss die Regierung entscheiden, was wichtiger ist: Entweder rein finanzielle Interessen und die nahezu grenzenlose Offenheit des hiesigen Wirtschaftsstandorts, der wie jeder Finanzplatz traditionell auch Kapital aus zweifelhaften Quellen beherbergt. Oder das Image eines Kleinstaates im Herzen der EU, der sich glaubhaft für Frieden und Stabilität des Kontinents einsetzt. Beides wird angesichts des Ausmaßes der militärischen Eskalation auf europäischem Boden auf Dauer nicht mehr zusammenpassen.
Die Akteure des Finanzplatzes und ihre politischen Apologeten werden zwar darauf dringen, dass Luxemburg schnellstmöglich wieder zum diskreten Pragmatismus zurückfindet. Doch ein « Weiter so » wäre in diesem Fall eine klare Entscheidung gegen die Ideale, die unsere Regierung nach außen gerne hochhält, für deren Erreichung sie jedoch nicht viel zu riskieren bereit ist. Dabei wäre es höchste Zeit klarzumachen, dass in Zukunft – zumindest mit Russland – kein „business as usual“ mehr möglich sein wird.




