Alle schauen auf Luxemburg. Luxleaks und Panama Papers machten die Steuerpolitik zu einem der wichtigsten Politikfelder der EU. Doch die meisten Parteien drücken sich um eine klare Position – anders als ihre jeweiligen politischen Familien. Ein Kommentar.
„Steuervermeidung: Luxemburg macht weiter“, meldete die „Süddeutsche“ nach einer gemeinsamen Recherche mit NDR und WDR. Die Europawahl bringt unweigerlich die Frage mit sich, was hierzulande seit Luxleaks passiert ist. Soviel ist klar: Trotz mehrerer von der EU angestoßenen Reformen wird Luxemburg das Etikett „Steuerparadies“ nicht los.
Im Luxemburger Wahlkampf ist das kaum ein Thema. In den Programmen stehen nur einige wenige pflichtbewusste Sätze. Für den Wähler bleibt schleierhaft, welche Position die vier großen Parteien tatsächlich vertreten. Das ist eine verantwortungslose und gefährliche Strategie: In den vergangenen fünf Jahren musste Luxemburg immer wieder auf Skandale wie Luxleaks und Panama Papers reagieren. Die Regierungsparteien genau wie die CSV weichen dagegen in Steuerfragen einer klaren Position aus und scheuen selbst eklatante Widersprüche nicht.
Es geht um Hunderte Milliarden Euro
„Wer durch die Programme für die Europawahlen blättert, stellt fest: Sie sind teils noch unklarer als jene für die Parlamentswahlen, kommentierte die Journalistin Danièle Weber auf Radio 100,7. Der Bedeutung des Themas werden die Phrasen der Programme keineswegs gerecht.
Steuerpolitik ist einer der wichtigsten Politikbereiche. Es geht um sehr viel: Jedes Jahr gehen den EU-Mitgliedsstaaten geschätzte 160 Milliarden Euro verloren durch die Steuervermeidung von großen Konzernen. Dazu kommen nochmals 50 Milliarden Euro an Schaden durch Mehrwertsteuerbetrug – ebenfalls pro Jahr. Das sind Zahlen, auf die sich das Europäische Parlament bezieht. Es handelt sich zwar um Schätzungen, aber sie zeigen die unglaubliche Dimension der Problematik.
Zum Vergleich: Der EU-Haushalt für 2019 umfasst Ausgaben von 166 Milliarden Euro. 180 Milliarden Euro braucht die europäische Industrie, um die Pariser Klimaziele bis 2030 zu erreichen. Das bedeutet konkret: Würden die 28 Mitgliedsstaaten endlich die klaffenden Lücken im gemeinsamen Steuerrecht schließen, dann hätte die EU auch die Mittel, um notwendige Maßnahmen zu finanzieren – etwa im Klimaschutz.
Ausflüchte bei der Einstimmigkeit
Für den Steuerkommissar Pierre Moscovici ist klar, warum die EU trotz Fortschritte in vielen Fragen auf der Stelle tritt: Die Finanzminister müssen jede Maßnahme in der Steuerpolitik einstimmig beschließen. Und es gibt fast immer ein Land, das sich querstellt – oft genug Luxemburg. Er will deshalb dieses faktische Vetorecht abschaffen.
Die Frage der Einstimmigkeit sprechen immerhin manche Parteien in ihren Programmen an. Doch es bleiben viele Widersprüche. Die CSV lehnt den Vorschlag der Juncker-Kommission ab: „Die Steuerpolitik liegt jedoch in der Kompetenz des Nationalstaats und muss dies auch bleiben. Wir halten hier an der Einstimmigkeit fest.“ Doch der offensichtliche Gegensatz zum politischen Übervater ist dem Spitzenkandidaten Christophe Hansen etwas unangenehm: „Wir verschließen uns keiner Diskussion“, relativierte er kürzlich das eigene Wahlprogramm.
Die LSAP formuliert windelweich: Die Einstimmigkeit müsse „überdacht“ werden. Was heißt das konkret? „Auf Dauer“ müsse das Vetorecht abgeschafft werden, erklärte Spitzenkandidat Nicolas Schmit auf Nachfrage von REPORTER. Die Forderung des Sozialisten Pierre Moscovici, diese „grausame Einschränkung“ endlich abzuschaffen, bleibt in der LSAP umstritten. Bei Déi Lénk ist die Position dagegen klar: Es sei notwendig, die Einstimmigkeit in Steuerfragen zu beenden, heißt es im Wahlprogramm.
Doch die LSAP hat immerhin den Mut, das Thema überhaupt zu erwähnen. DP und Déi Gréng drücken sich um eine Festlegung. Dabei gibt DP-Finanzminister Pierre Gramegna in Brüssel den Hardliner und lehnt jede Änderung des Abstimmungsprinzips ab. „Es geht hier um die Souveränität der Länder“, sagte Gramegna im Februar in Brüssel. Genau so steht das auch im Wahlprogramm der ADR.
Luxemburgs Parteien sind isoliert
Wie es anders geht, zeigen die niederländischen Liberalen von D66. „Wir bekämpfen Steuerumgehung und Steuerhinterziehung gemeinsam. D66 möchte, dass die Niederlande den grundlegenden Richtungswechsel fortsetzen und mit anderen Ländern zusammenarbeiten, um Briefkastenfirmen zu bekämpfen“, heißt es im Programm der linksliberalen Partei.
Das ist beispielhaft: Luxemburgs Parteien stehen auf der Bremse, während einige europäische Kollegen sich klar gegen Steuervermeidung von Konzernen stellen. Die europäische Parteienfamilie der Liberalen ALDE blickt stolz auf ihren Kampf gegen Steuerhinterziehung und Vermeidung. Die EVP – zu der die CSV gehört – kündigt an, weiter gegen Steuervermeidung vorzugehen. Selbst die Europäischen Konservativen und Reformer, zu denen sich die ADR zählt, will die Steuerzahler schützen und Konzerne in die Mangel nehmen.
DP, CSV und ADR behelligen ihre Wähler lieber nicht mit solchen Bewertungen. Lediglich Déi Gréng sind größtenteils auf der Linie ihrer europäischen Fraktion.
Wenn die Koalitionsräson siegt
Doch ohnehin reicht es nicht, hehre Worte in ein Wahlprogramm zu schreiben. Manche Positionen von Déi Gréng und LSAP stehen ganz ungeniert im krassen Widerspruch zur Politik der blau-rot-grünen Koalition.
Déi Gréng setzen sich für „eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage“ ein. Hinter dem Wortungetüm verbirgt sich der Vorschlag der Kommission, die Besteuerung von Konzernen europaweit zu harmonisieren. Dieses als CCCTB oder ACCIS bekanntes Projekt war bei den Grünen im nationalen Parlament nicht so beliebt. Die grüne Fraktion stimmte im Dezember 2016 geschlossen für eine Erklärung der Chamber, die den Vorschlag der Kommission rundweg ablehnte. Es sei eine ungerechtfertigte Einmischung von Brüssel in Angelegenheiten der nationalen Souveränität Luxemburgs, so die von fast allen luxemburgischen Parteien geteilte Argumentation.
Die Sozialisten sprechen sich etwa für „eine europaweit effektive Körperschaftssteuer (impôt sur les sociétés) von mindestens 18 Prozent aus“. Dumm nur, dass die LSAP in der Koalition vor einem Monat das Haushaltsgesetz für 2019 stimmte. Damit sank der Luxemburger Satz der Körperschaftssteuer von 18 auf 17 Prozent. Selbst wenn man Solidaritäts- und Gewerbesteuer hinzurechnet, dann zahlen in Luxemburg große Unternehmen und Banken „effektiv“ keine 18 Prozent – spätestens seit der blau-rot-grünen Steuerreform von 2017.
Die Diskrepanz zwischen Forderungen im Wahlkampf und der konkreten politischen Bilanz funktioniert nach dem Motto: Dem Wähler wird es schon nicht auffallen.
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