Auf den ersten Blick geht es um einen Geldwäschevorwurf in Millionenhöhe. Auf den zweiten Blick um den Streit zwischen der Regierung Kasachstans und unliebsamen Dissidenten. Mittendrin steckt die Luxemburger Justiz, die auf vermintem diplomatischen Terrain agieren muss.
2.100 Dokumente umfassen die „Fincen-Files“, mit denen das internationale Journalistenkonsortium ICIJ Ende September globale Geldströme zweifelhaften Ursprungs aufdeckte. Ein Prozent dieser Meldungen verdächtiger Transaktionen betrafen eine einzige Familie: die Khrapunovs.
209 Transfers in Höhe von insgesamt 88,9 Millionen US-Dollar führten dazu, dass die US-Behörden 29 Geldwäschewarnungen von Banken erhielten, fasste das ICIJ zusammen. Dabei ging es vor allem um Immobiliengeschäfte des Sohnes, Ilyas, in den USA. Das investierte Geld wurde gestohlen, so der Vorwurf aus Kasachstan. Sein Stiefvater Viktor Khrapunov soll als Bürgermeister der kasachischen Hauptstadt Almaty 400 Millionen Dollar unterschlagen haben. Ilyas Schwiegervater, Mukhtar Ablyazov, soll als Chef der BTA Bank sechs Milliarden Dollar zur Seite geschafft haben.
Die Stadt Almaty und die BTA Bank werfen Ilyas Khrapunov vor, diese Gelder unter anderem über die Luxemburger Briefkastenfirma Triadou SPV S.A. gewaschen zu haben, wie Reporter.lu im Januar berichtete. 80 Millionen Dollar sollen über dieses Unternehmen geflossen sein.
Luxemburger Justiz ermittelt wegen Geldwäsche
Luxemburg nimmt die Vorwürfe ernst: Die Staatsanwaltschaft ermittelt im Zusammenhang mit der BTA Bank und Ilyas Khrapunov wegen des Verdachts auf Geldwäsche, bestätigt ein Justizsprecher auf Nachfrage von Reporter.lu. Außerdem leiste die Luxemburger Justiz in diesem Kontext internationale Rechtshilfe.
Ilyas Khrapunov wehrte sich in einer Stellungnahme an das ICIJ gegen die Vorwürfe: Das „korrupte und autoritäre kasachische Regime“ wolle der Familie Khrapunov mit „falschen Behauptungen“ schaden. Die Klagen der BTA Bank und der Stadt Almaty seien bereits in mehreren Fällen abgewiesen worden.
Die politische Gemengelage ist kompliziert: Ilyas Schwiegervater, Mukhtar Ablyazov, war ein Minister im Kabinett des zentralasiatischen Langzeitdiktators Nursultan Nasarbajew. Dann fiel er in Ungnade und flüchtete in den Westen. Durch Ilyas Heirat mit Ablyazovs Tochter zog die Familie Khrapunov ebenfalls den Zorn des Diktators auf sich, schildert der Journalist Tom Burgis in seinem Buch „Kleptopia“. Im Feldzug gegen die beiden Familien habe das kasachische Regime über eine Milliarde Dollar ausgegeben – für Anwälte, PR-Berater und private Geheimdienste.
Dissidenten oder Diebe?
Die Justizbehörden mehrerer europäischer Länder tun sich schwer mit der Frage, ob die Khrapunovs und Ablyazov Dissidenten oder Diebe sind. Das jüngste Beispiel: Mukhtar Ablyazov wurde in Frankreich Anfang Oktober verhaftet – unter anderem wegen des Geldwäscheverdachts. Doch erst wenige Tage zuvor hatte ein Gericht ihm in Frankreich Asyl gewährt, weil er in Kasachstan „aus politischen Motiven verfolgt“ werde, berichtete „Le Monde“.
Auch der Schweizer Justiz bereitet der Fall Khrapunov Kopfschmerzen. Im November 2019 waren die Ermittlungen der Genfer Staatsanwaltschaft wegen Geldwäsche eingestellte worden. Im März 2020 beschloss jedoch ein Appellationsgericht die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die Khrapunovs, berichteten die Journalisten von « Gotham.ch ». Doch der Stadt Almaty als Prozessbeteiligter wurde die Einsicht in die Akten verwehrt. Zu groß sei die Gefahr, dass die kasachischen Behörden diese Informationen in ihrem Feldzug gegen die Familie verwenden würden. Zuvor hatte die Schweizer Justiz Kasachstan Rechtshilfe verweigert, weil das Recht auf einen fairen Prozess im zentralasiatischen Land nicht gewährleistet sei.
„The act of hiding money to shield it from a rapacious dictator was indistinguishable from the act of hiding money because you have thieved it“, bringt Tom Burgis das Problem in seinem Buch auf den Punkt.
Der 50-Millionen-Euro-Kredit
Auf welchen versteckten Wegen das Geld floss, zeigt ein weiteres Geschäft der Khrapunovs in Luxemburg. Die Schweizer Gesellschaft „Swiss TV S.A.“ und die Luxemburger Firma „Niel Telecom“ stritten 2016 vor Gericht um 47 Millionen Euro. Mit einem Kredit von „Swiss TV“ wollte „Niel Telecom“ den Telekom-Betreiber „Telecel“ in der Zentralafrikanischen Republik kaufen.
Das Besondere: Als „Swiss TV“ das Geld zurückforderte, weigerte sich „Niel Telecom“. Das Argument vor der Luxemburger „Cour d’appel“: Die Kreditsumme sei gewaschenes Geld, das Viktor Khrapunov als Bürgermeister von Almaty entwendet habe. Außerdem habe ein britischer Richter 2015 geurteilt, dass das Vermögen der Khrapunovs weltweit eingefroren werden solle.
Wovon im Luxemburger Urteil von 2016 keine Rede ist: Hinter „Niel Telecom“ standen Laurent Foucher und Nicolas Bourg – früher enge Vertraute der Khrapunovs. „Swiss TV“ hatte seinen Sitz an der gleichen Genfer Adresse wie die „Swiss Development Group“, die Muttergesellschaft von Triadou, der Luxemburger Briefkastenfirma. Laurent Foucher und Nicolas Bourg waren mit den Immobiliengeschäften von Triadou betraut. 2016 sagten beide in den US-Verfahren gegen ihren früheren Chef Ilyas Khrapunov aus. Nicolas Bourg betonte vor Gericht, das von Ilyas investierte Geld stamme von seinem Schwiegervater und seinem Stiefvater.
Die Luxemburger Richter vermieden eine klare Stellungnahme zu der Frage, ob es um gestohlenes Geld ging oder nicht. Die Geldwäschevorwürfe seien bisher unbewiesen und der britische „freezing order“ gelte nicht unmittelbar in Luxemburg. „Niel Telecom“ ist seitdem endgültig in Insolvenz.
„My friend Karim“
Doch die Affäre hat eine hochpolitische Komponente. Im Januar 2009 sollte der Oligarch Mukhtar Ablyazov den kasachischen Premierminister Karim Massimov treffen. Doch der Termin wurde ohne Angabe von Gründen abgesagt. Ablyazov vermutete eine Falle und floh ins britische Exil. Acht Jahre später war Massimov immer noch der treue Diener des Präsidenten Nasarbajew. Und er hatte einen deutlich angenehmeren Termin mit einem befreundeten Premier: Xavier Bettel.
Perfect way to start a day: a run with my friend @KarimMassimov_E in #Astana. XB pic.twitter.com/3SjWdK1H8k
— Xavier Bettel (@Xavier_Bettel) June 10, 2017
Luxemburgs Regierungschef twitterte stolz vom gemeinsamen Morgenlauf mit seinem « Freund Karim ». Bettel weilte zusammen mit dem damaligen Wirtschaftsminister Etienne Schneider zur Weltausstellung in Astana. Seitdem treffen Luxemburger Minister regelmäßig ihre kasachischen Kollegen: Es geht um Flugrechte, ein Doppelbesteuerungsabkommen und „Space Resources“.
Weniger in den Vordergrund stellt Blau-Rot-Grün jedoch eine andere Verbindung: Die Republik Kasachstan ist Hauptaktionär der milliardenschweren Holding „Eurasian Resources Group“ (ERG) mit Sitz in der hauptstädtischen Rue Sainte-Zithe. Ein Konzern, den Luxemburg umgarnt: Der Chef von ERG Kasachstan ist Luxemburger Honorarkonsul in Kasachstan. Der CEO des gesamten Konzerns ist im Gegenzug der Honorarkonsul Kasachstans in Luxemburg. Und deshalb weht die himmelblaue kasachische Flagge vor dem ERG-Sitz im Bahnhofsviertel.
Einflussreiche Verbindungen
Zwischen ERG und den Khrapunovs gibt es ebenfalls eine Verbindung. Alexander Machkevitch hält laut dem RBE-Register knapp 21 Prozent der Holding. Der Mann, den alle „Sasha“ nennen, gilt als Vertrauter von Nasarbajew. Im Dezember 2010 soll er Viktor Khrapunov gedroht haben, sich nicht mit Ablyazov einzulassen – das habe Folgen, erzählt Tom Burgis in seinem Buch. Laut dem Autor soll „Sasha“ dabei keinen Zweifel daran gelassen haben, dass Nasarbajew ihn beauftragt habe.
Einen weiteren ERG-Aktionär bezeichnete das „Lëtzebuerger Land“ im September als „l’encombrant frontalier“. Patokh Chodiev hat eine Adresse in Arlon und fiel in Belgien im Zusammenhang der « Kazakhgate »-Affäre auf. Es geht um die mutmaßliche Einflussnahme des Elysée in die belgische Politik – auf Wunsch Kasachstans und mit einem milliardenschweren Waffendeal im Hintergrund. Mitte Oktober wurde das Verfahren nach einem Beschluss des Kassationsgerichtshofes in Belgien eingestellt. In Frankreich dauert die Aufarbeitung der Gerichte noch an.
All die komplexen und einflussreichen Verbindungen muss die Luxemburger Justiz ausblenden. Keine einfache Aufgabe und keine gewöhnlichen Geldwäsche-Ermittlungen.
Anmerkung der Redaktion (15/11/2020): Dieser Artikel wurde aktualisiert bzw. um die Information erweitert, wonach das Verfahren zur « Kazakhgate »-Affäre in Belgien eingestellt wurde. Die Presseabteilung der „Eurasian Resources Group“ betont in einer Stellungnahme, dass die Firma keinerlei Verbindung zu den Geldwäschevorwürfen habe.
Lesen Sie mehr zum Thema
