In der Theorie kann seit 2019 jeder Dokumente bei Ministerien und Verwaltungen anfragen. In der Praxis hat diese Form des Informationszugangs allerdings ihre Tücken, wie die Redaktion von Reporter.lu wiederholt erfahren musste. Über kleine Erfolge und große Ernüchterung.

„Es bleibt uns Bürgern nichts anderes übrig, als die stumpfe Waffe zu nutzen. Man muss die begrenzten Möglichkeiten bis zum Anschlag ausreizen. Jeder Information nachjagen, die verweigert wird. Jeden Minister und jede Verwaltung bloßstellen, die auf Verschleierung setzten »: Bei der Verabschiedung des Gesetzes « zur transparenten und offenen Verwaltung » 2018, waren die Probleme bereits offensichtlich.

Heute, über zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zum „accès aux documents“, fällt die Bilanz gemischt aus. Die Redaktion von Reporter.lu konnte aufgrund der über die Prozedur erlangten Dokumente zwar wichtige Recherchen vertiefen. Das gilt etwa für das Aufdecken des Systems „Superdreckskëscht“ oder das Überprüfen der Materialbeschaffung während des „Etat de crise“ vor einem Jahr. Andere Dokumente blieben uns unter Hinweis auf die lange Liste von Ablehnungsgründen, die das Gesetz enthält, dagegen verwehrt.

Zugegeben: Bis zum Anschlag haben wir das Instrument nicht genutzt. Bereits die minimale Frist von einem Monat ist für die journalistische Arbeit selten realistisch. Politische Debatten haben eine gewisse Halbwertszeit; kommt ein Journalist zwei Monate später mit einer neuen Information, ist das für die Öffentlichkeit oft kaum noch von Interesse.

Ein stumpfes Instrument

Ein breites Bündnis aus Journalisten- und Medienverbänden sowie großen NGOs des Landes fordert nun eine Reform des Transparenzgesetzes sowie ein Informationszugangsrecht für Journalisten. Premier- und Medienminister Xavier Bettel (DP) kündigte nun eine Bilanz des Gesetzes von 2018 an. Zahlen, wie viele Dokumente angefragt werden, nannte Xavier Bettel nicht. Er habe sie nicht „im Kopf“, so der Premier in einem rezenten Interview mit dem « Tageblatt ».

Richtiger wäre, dass nur lückenhafte Zahlen existieren. Auf Nachfrage von Reporter.lu verweist die Pressesprecherin des Staatsministeriums auf die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage und den Aktivitätsbericht der „Commission d’accès aux documents“ (CAD).

Klar ist: Bürgerinnen und Bürger nutzen den „accès aux documents“ wenig. In den ersten sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes gingen bei den Ministerien ganze 29 Anfragen ein. Seit dieser vom Abgeordneten Sven Clement (Piraten) eingeforderten Bilanz im September 2019 gab es keine neue zentralisierte Erhebung. Nur für die über „MyGuichet.lu“ eingereichten Anfragen führt der „Service Information et Presse“ (SIP) detailliert Buch.

2020 wurden auf der digitalen Plattform des Staates 67 Dokumentenanfragen eingereicht, 2019 waren es ebenfalls exakt 67, gibt der SIP auf Nachfrage von Reporter.lu an. Allerdings wurde 2020 über ein Drittel der Anfragen auf „MyGuichet“ abgelehnt, da Bürger allgemeine Verwaltungsdokumente, wie einen „Casier“, einen Führerschein oder andere Belege, haben wollten. Die CAD forderte in ihrem Bericht, dass die Funktion der Anfragen genauer erläutert werde, damit falsche Anfragen vermieden werden könnten.

Nervenkrieg in der Praxis

Wer sich entschließt, ein Dokument anzufragen, sieht sich mehreren Hürden gegenüber. Die größte: Man muss das Dokument genau benennen, denn ansonsten folgt meistens ein unverzügliches « Nein » der jeweiligen Verwaltung. In den ersten neun Monaten der Existenz des Dokumentenzugangs lehnten Ministerien und Verwaltungen knapp ein Drittel der Anträge wegen einer zu generellen Beschreibung des angefragten Dokuments ab.

Genau dies ist das Grundproblem beim Transparenzgesetz: Bürger haben nicht Zugang zu Informationen, sondern zu Dokumenten. Als Beispiel: Man kann nicht fragen, wie viele Grenzgänger positiv im „Large Scale Testing“ getestet wurden. Stattdessen muss nach genau dem Dokument fragen, in dem diese Information aufgeführt ist.

Premierminister Xavier Bettel verschließt sich einer Reform nicht, ist aber skeptisch gegenüber den Forderungen der Journalisten- und Medienvertreter. (Foto: SIP / Emmanuel Claude)

Dies ist jedoch knifflig: Woher weiß man, wie eine Verwaltung das Dokument mit den gesuchten Informationen im Amtsfranzösischen bezeichnet? Die Transparenz beschränkt sich in der Praxis also meist auf Dokumente, deren Existenz nicht zu leugnen ist – ein bestimmter Vertrag mit einem Dienstleister, eine Studie oder ein Sitzungsbericht zum Beispiel.

Dann beginnt allerdings das Warten. Ähnlich wie beim Beantworten von parlamentarischen Anfragen reizen Ministerien die Monatsfrist oft bis zum letzten Tag aus – obwohl es dafür keinen nachvollziehbaren Grund gibt. Bei Anfragen, die kompliziert sind oder Rückfragen bei anderen Beteiligten erfordern, kann die Frist sogar um einen weiteren Monat verlängert werden.

Zudem bemühen sich die Ministerien und Verwaltungen offenbar darum, einen Grund zu finden, um verschiedene Dokumente nicht herauszugeben. Teils ist die Argumentation auch durchaus nachvollziehbar: Das „Memorandum of Understanding“ mit China wurde uns etwa verwehrt, weil es die Außenbeziehungen des Landes betreffe. Das ist auch im Gesetz entsprechend festgehalten. Wir beschafften uns das Dokument auf anderem Wege.

Kreative Auslegung des Gesetzes

Manchmal fehlt es dagegen an Kohärenz. Beim Staatsministerium fragten wir eine Liste der Ausgaben der Regierung im Rahmen der Covid-19-Kommunikationskampagnen an. Auf „einfache“ Anfrage von Journalist zu Pressesprecher lautete die Antwort: Der Aufwand, die Zahlen zusammenzusuchen, sei zu groß. Anschließend stellten wir eine Anfrage unter dem Transparenzgesetz. Und siehe da, die Zahlen wurden zusammengesucht und uns zugeschickt, obwohl es nicht um ein konkretes Dokument ging. Die Daten zu den einzelnen Werbeanzeigen, die das Staats- und das Gesundheitsministerium in den Medien schalteten, waren durchaus aufschlussreich.

Ein weiteres Beispiel: Die Umweltverwaltung gab zwar den Vertrag mit der « Superdreckskëscht » heraus, entfernte aus dem Dokument aber die Preisliste der Dienstleistungen – ohne diese nicht ganz unwesentliche Entscheidung offenzulegen. Den Abgeordneten erging es nicht besser: Auch sie erhielten den Vertrag mit der Firma « Oekoservice Luxemburg » ohne Preisliste.

Noch einfacher machte es sich die Stadt Luxemburg. Wir hatten die Tagesberichte der Sicherheitsfirma angefragt, deren Angestellte seit Herbst 2020 durch die Straßen patrouillieren. Diese Dokumente wurden uns verwehrt, und zwar mit Verweis auf personenbezogene Daten, die die Berichte enthalten würden. Tatsächlich ist Datenschutz einer der Ablehnungsgründe, die im Gesetz festgehalten wurden. Unsere Anfrage, die personenbezogenen Angaben zu schwärzen, lehnte die Kommunalverwaltung ab – dies sei ein zu großer Aufwand. Dabei enthalten diese Berichte Angaben zu möglichem „racial profiling“, wie die Opposition im Gemeinderat kritisierte.

Es gibt aber auch positive Erfahrungen: Das « Haut Commissariat à la Protection nationale » übermittelte uns alle Verträge zu Käufen von Masken und anderem Material im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie, die wir anfragten. Die Preise waren – anders als in einzelnen anderen EU-Staaten – nicht geschwärzt. So einfach kann Transparenz also sein.

Informationen statt Dokumente

„Have you FOIAed it?“, ist eine Frage, die man in internationalen Gruppen investigativer Journalisten oft hört. Es ist eine Abkürzung für den „Freedom of Information Act“ (FOIA), das Transparenzgesetz in den USA. Es diente vielen anderen Ländern als Vorbild und bildete in den vergangenen Jahren den Grundstein für einen neuen Zweig journalistischer Arbeit.

Eine Vorzeigerecherche sind die „Implant Files“ des Konsortiums ICIJ. Die beteiligten Journalisten machten 1.500 Dokumentenanfragen und erhielten so über acht Millionen Sicherheitswarnungen oder Rückrufe von Medizinprodukten, wie etwa künstlichen Hüften oder Brustimplantaten. Ohne den enormen Umfang an Dokumenten wäre diese Recherche unmöglich gewesen.

« Informatiouszougang elo! », lautete die Forderung des Journalistenverbands ALJP und mehrerer NGOs am internationalen Tag der Pressefreiheit. (Foto: OGBL)

In anderen Fällen fragen Journalisten allerdings Informationen und nicht Dokumente an. Der Unterschied scheint auf den ersten Blick minimal, ist aber entscheidend. Am Anfang einer Enthüllungsstory steht oft nur ein vager Hinweis, ein « Lead ». Um den Verdacht zu bestätigen (oder ihn als falsch zu entlarven) braucht es Informationen, die oft genug von offizieller Seite, also vom Staat stammen. Natürlich entspricht das in einer Verwaltung einem Dokument. Aber ist es Aufgabe des Journalisten (oder eines Bürgers) dieses Dokument zu benennen?

Es ist eine offensichtliche Schwäche des Gesetzes von 2018, den Zugang auf Dokumente zu begrenzen. Tatsächlich war das auch ein Diskussionspunkt in der legislativen Prozedur. Der Staatsrat monierte, dass der Gesetzentwurf Informationen und Dokumente als ein und dasselbe behandele. Doch in der Praxis lehnen Ministerien zahlreiche Anfragen unter dem Transparenzgesetz ab, weil das Dokument nicht ausreichend klar benannt wurde. Das entspricht aber offensichtlich nicht dem Willen des Gesetzgebers.

Im deutschen « Informationsfreiheitsgesetz » ist es übrigens umgekehrt: Man erhält Informationen, sofern diese in einem amtlichen Dokument festgehalten sind.

Andauernder Verstoß gegen das Gesetz

Ein oft übersehenes Feature des Luxemburger Transparenzgesetzes ist, dass es Ministerien und Verwaltungen verpflichtet, jedes Dokument zu veröffentlichen, sofern kein Grund dagegen spricht. « Les organismes (…) sont tenus de procéder à la publication des documents accessibles en vertu de la présente loi. Ces documents sont publiés moyennant les nouvelles technologies de l’information et de la communication. En cas de modification d’un document, la version publiée est mise à jour », heißt es im Text.

Darunter fallen etwa Statistiken, Berichte oder Studien. Hier scheint es innerhalb des Staates aber keine eindeutigen Richtlinien zu geben. Klar ist jedoch, dass vieles unter Verschluss bleibt – ein hundertfacher Verstoß gegen das Gesetz. Auch die dürftig aktualisierte Datenplattform des Staates zeugt von einem geringen Interesse, etwas an dieser Situation zu ändern.

Der Reformbedarf ist demnach in mehreren Punkten offensichtlich. Premier- und Medienminister Xavier Bettel sah dagegen im Interview mit dem „Tageblatt“ kaum Grund nachzubessern. Die „Circulaire Bettel“ verpflichte Ministerien und Verwaltungen, Informationen an Journalisten herauszugeben. Und das passiere auch, betont Bettel – im klaren Widerspruch zu täglichen Erfahrungen vieler Luxemburger Journalisten. Ein simples Beispiel unter vielen: Wir fragten beim Finanzministerium nach, wer Mitglied im „Haut comité de la place financière“ sei und erhielten eine Abfuhr, die nicht einmal begründet war.

Vom Zugangsrecht zur Auskunftspflicht

Tagtäglich verfestigt sich der Eindruck, dass die Pressesprecher nach Gutdünken handeln – je nachdem, welchen Stellenwert ihre Ministerin oder ihr Minister der Presse beimisst und oft genug auch je nachdem, wie die persönlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten sind. Dagegen spielen objektive Kriterien eine untergeordnete Rolle: Was ist eine gerechtfertigte Frist, innerhalb derer Journalisten Antworten von der Regierung erwarten können? Welche Gründe dürfen Ministerien angeben, um die Herausgabe von Informationen zu verweigern? Die „Circulaire Bettel“ schweigt dazu.

„Wir brauchen endlich eine im Pressegesetz verankerte Auskunftspflicht“, fordert deshalb Ines Kurschat, Präsidentin des Journalistenverbandes ALJP. Staatliche Instanzen sollen verpflichtet werden, Informationen an Journalisten herauszugeben. Letztlich ist der Übergang zwischen dieser Forderung und der ursprünglichen Idee des Transparenzgesetzes fließend. Es bleibt allerdings die Frage der Fristen, die für Journalisten aktuell meist viel zu lang sind.

Und es bleibt die Herausforderung, in Politik und staatlichen Verwaltungen eine mittelgroße Kulturrevolution zu entfachen. Damit die Verwaltung tatsächlich offen und transparent wird, wie es das Gesetz bereits heute vorsieht. Dieses Versprechen hat Blau-Rot-Grün bisher um Längen verfehlt. Transparenz ist immer noch Neuland – für alle Beteiligten.