Spätestens mit der Migrationskrise wurde die Islamfeindlichkeit in Europa zum Mainstream. Doch der Islam, vor dem die Menschen sich fürchten, ist keineswegs so dominant wie Medien und Politik vermuten lassen. Wie eine Religion zum kulturellen Feindbild wurde.

Fanatismus, Unterdrückung, Gewalt. Muslim zu sein, verheißt nichts Gutes: Spätestens seit dem 11. September 2001 hat sich der Islam in den Köpfen vieler Menschen als Bedrohung festgesetzt. Paris, Brüssel, Barcelona, Nice … Terrorattacken durch Anhänger des Islamischen Staates oder anderer Terrorgruppen haben diesen Eindruck verhärtet.

Mit der „Migrationskrise“ hat die Angst vor dem Islam in Europa weiter zugenommen. Bei bestimmten Verbrechen wird reflexartig nach der Religion des Täters gefragt. Bürger sorgen sich um das „christliche Abendland“. EU-Staaten weigern sich, muslimische Flüchtlinge aufzunehmen. Und in Luxemburgs Nachbarländern fragen Politiker, ob der Islam zur Nation gehört. Islamfeindlichkeit wurde langsam zum Mainstream.

Mit der Zeit hat sich ein Feindbild entwickelt, das es so eigentlich nicht gibt, warnen Religions- und Medienwissenschaftler. Einer von ihnen ist Kai Hafez, der an der Universität Erfurt zu Vorurteilen über den Islam forscht. Er betont: „Islamfeindlichkeit hat Tradition“. Die Bilder, die heute über den Islam zirkulieren, seien keineswegs neu. Es gebe sie zum Teil seit Jahrhunderten.

Als „Orientalismus“ bezeichnete der Literaturwissenschaftler Edward Said 1978 den verzerrten Blick auf die arabische Welt – eine Mischung aus Faszination für den mysteriösen Orient und Ablehnung des Islam. Alte Feindbilder werden heute lediglich neu belebt, warnt Hafez. „Wir sind permanent dabei, alte Klischees neu zu erfinden.“ Er ist überzeugt: Politik und Medien helfen tatkräftig mit.

Negativbilder überwiegen

Wird der Islam heute in der Gesellschaft thematisiert, so wird meist ein selektives, negatives Bild der Kultur gezeichnet, warnt der Medienwissenschaftler. Muslime würden als homogene, bedrohliche Masse dargestellt und in Berichterstattungen gar als Kriminelle und Vergewaltiger stigmatisiert. In den Medien würden folglich mehrheitlich negative Aspekte des Islam thematisiert – Fanatismus etwa oder die Unterdrückung von Frauen und Minderheiten. In vielen Fällen würden die Berichte zudem nicht ausreichend in den historischen und kulturellen Kontext gesetzt, moniert Kai Hafez.

Statistisch gesehen seien Muslime nicht krimineller als andere Gesellschaftsgruppen. „Doch in der medialen Darstellung sieht das ganz anders aus. Auch unter Christen gibt es etwa Vergewaltiger. Doch niemand würde diese mit dem Christentum in Verbindung bringen.“

Die Menschen nehmen den Islam lediglich als etwas Schlechtes wahr. Diese negative Besetzung des Islam wurde zum Reflex. »Kai Hafez, Medienwissenschaftler,  Universität Erfurt

In einem Beitrag über die mediale Darstellung des Islam kommentiert die Medienpädagogin Sabine Schiffer etwas plakativ: « Ausgeblendet bleibt meist das Normale, Unspektakuläre, denn only bad news are good news, und wer würde schon ein unspektakuläres Medium lesen wollen? »

Beispiele gibt es viele. Etwa die Cover des „Spiegel“, auf denen der Islam außergewöhnlich oft thematisiert wird. „Der Dschihad-Kult“, „Allahs rechtlose Töchter“ oder „Mekka Deutschland“ lauteten einige der Überschriften. Untermalt werden sie durch bedrohliche Bilder, die eine Art Endzeitstimmung vermitteln sollen.

Islamophobie ohne Muslime

„Man nennt es Islamkritik, doch es ist Islamfeindlichkeit, denn es wird einseitig kritisiert », kommentiert Kai Hafez diesen Trend. « Die negative Besetzung des Islam ist inzwischen zu einem Reflex geworden. »

Dabei kennen die meisten Menschen in Europa weder Muslime noch den Islam, gibt Alexander Yendell zu bedenken. Der Religionswissenschaftler forscht an der Universität Leipzig zu Fremdenfeindlichkeit und Religion. Yendell spricht von einer „Islamophobie ohne Muslime“: Vorbehalte herrschen besonders dort vor, wo keine Muslime leben und die Menschen den Islam lediglich aus den Medien kennen. Kulturelle Kontakte hingegen würden die Scheu vor dem Islam schnell auflösen und Vorurteile abbauen. „Man muss erst einmal merken, dass es sich bei Muslimen um eine heterogene Gruppe handelt.“

Identitätsstiftung durch Feindbilder

Doch wieso brauchen Menschen solche Feindbilder? Für Yendell geht es dabei um die Konstruktion der eigenen Identität. Es liege demnach in der Natur des Menschen, sich mit einer Gruppe zu identifizieren – das geschieht oftmals, indem sie sich von einer anderen Gruppe abgrenzen. Diese abzuwerten, helfe manchen Menschen, ihren Selbstwert zu stärken. Innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft können sie sich so kurzfristig stabil fühlen.

Besonders nationalistische Bewegungen greifen auf dieses Prinzip zurück, so der Forscher. Schließlich beruhe ihre Politik auf der Hervorhebung der eigenen Nation, Kultur und Identität. Demnach sei es nicht überraschend, dass Nationalismus mit Islamophobie einhergehe. Das Feindbild sei jedoch austauschbar. Vor den Muslimen erfüllten in Deutschland etwa Türken oder Gastarbeiter den Part des „Fremden“, der vermeintlich die eigene Identität bedrohe.

Politik in der Verantwortung

Kai Hafez weist ergänzend auf die strukturelle Komponente des Problems hin: „Mit einer fortschreitenden Integration werden die Fremden auch zur Konkurrenz, etwa auf dem Arbeitsmarkt.“

Das alles führe zu einem Kulturkampf zwischen zwei Hälften einer Gesellschaft. Auf der einen Seite stünden jene, die sich auf eine gemeinsame Identität berufen. Auf der anderen Seite eine liberale Gesellschaft, die das « Fremde » in ihrer Mitte akzeptiert.

Eine Gesellschaft, die funktioniert, sollte mit zunehmender religiöser Pluralisierung zurechtkommen. »Alexander Yendell, Religionswissenschaftler, Universität Leipzig

In diesem Kontext spiele neben den Medien auch die Politik eine große Rolle. Politische Akteure, insbesondere des rechten Spektrums, nutzen den Kulturkampf für ihre politischen Zwecke aus, warnt Hafez. Gleichzeitig würde die einseitige Darstellung des Islam von der Politik nicht hinterfragt. „Es kommt keine Gegenwehr. Niemand hat die Infragestellung der Islamfeindlichkeit als politisches Thema entdeckt“, obwohl es sich dabei um eine Form von Rassismus handele. „Bei anderen Formen von Rassismus tut man wenigstens was. Hier nicht“, moniert der Medienwissenschaftler.

Dadurch arbeite die politische Mitte den Rechtspopulisten zu, ergänzt Alexander Yendell. Die Debatte, ob der Islam zur Nation passe, komme zum Beispiel einer Infragestellung der Religionsfreiheit gleich und biete den Rechten eine Plattform. „Eine Gesellschaft, die funktioniert, sollte mit zunehmender religiöser Pluralisierung zurechtkommen.“