Wachsende Staatsschulden und ein Dauerkrisenmodus prägten das erste Amtsjahr der DP-Finanzministerin. Im Interview spricht Yuriko Backes über die Wohnungskrise und neue Steuer- und Transparenzregeln, die den Finanzplatz unter Druck setzen. 

Interview: Luc Caregari und Laurent Schmit

Frau Backes, Sie sprechen oft von Perma- oder Polykrise. Ist das der Moment, um an einer Schuldengrenze festzuhalten, die aus einer weniger krisenbehafteten Zeit stammt?

Wir kamen aus der Pandemie heraus und stolperten am 24. Februar in den Krieg zusammen mit all jenen Folgen, die wir seither kennen. In Luxemburg haben wir mit zahlreichen Maßnahmen für die Haushalte und Unternehmen reagiert, die insgesamt 5,5 Milliarden Euro kosten. Die Grenze von 30 Prozent Staatsschuld im Koalitionsabkommen kam nicht von ungefähr. Man darf nicht vergessen, dass Luxemburg bei unter 25 Prozent Staatsverschuldung lag, als das Triple A fast verloren ging. In einer Krise bestreitet niemand die Notwendigkeit, mehr Defizit zu machen. Auf lange Sicht muss die Entwicklung aber die richtige sein. Ohne Triple A würde uns die Finanzierung der Schulden auch viel mehr kosten.

Der Triple A geht ja aber auch nicht automatisch verloren, wenn die 30-Prozent-Grenze überschritten wird …

Das hat ja auch niemand behauptet.

Wirtschaftswissenschaftler betonen, dass weniger wichtig ist, wie viel Schulden man macht, sondern wofür.

Richtig.

Da stellt sich die Frage, ob man in einer Wohnungskrise oder in der Klimakrise jetzt den Moment verpasst oder bereits verpasst hat, um mehr zu investieren. Weil die Regierung sich selbst eine Grenze gesetzt hat, deren Zweck nicht immer ganz klar ist.

Eine Regierung muss sich Prioritäten setzen. Jetzt sind wir in einer Krise und wir müssen den Haushalten und den Unternehmen helfen. Was den Wohnungsbau angeht, haben wir im Herbst eine Reform der Grundsteuer sowie eine Leerstand- und eine Mobilisierungssteuer auf den Weg gebracht. Diese Maßnahmen waren überfällig, doch sie werden nur langfristig wirken.

Wir können nicht alle Probleme des Landes mit Steuermaßnahmen lösen.“Yuriko Backes

Sie wollen auf der einen Seite die Schulden im Auge behalten, auf der anderen Seite stellen Sie Steuererleichterungen in Aussicht. Ist das kein Widerspruch?

Nein. Ich würde gerne die Steuererleichterungen ermöglichen, aber sozial gestaffelt. Dazu muss aber der finanzielle Spielraum vorhanden sein. Ob dieser da ist, sehen wir aber erst im Frühjahr 2023. Ich will nicht, dass egal wer in der nächsten Regierung ist, ein Sparpaket beschließen muss, nur weil wir im Vorfeld der Wahlen riesige Steuermaßnahmen durchgezogen haben. Ich finde das nicht verantwortlich.

Der Chefökonom der Europäischen Zentralbank rät dazu, Steuern für Bessergestellte zu erhöhen, um die Hilfen für Bedürftige zu finanzieren. Mehr Defizite und Steuererleichterungen würden dagegen die Inflation antreiben. Wie sehen Sie diese Empfehlung?

Ich bin nicht der Meinung, dass wir in einer Krise Steuern erhöhen sollen. Wir haben das auch bereits thematisiert. Die oberste Schicht, die mehr Steuern zahlen könnte, ist sehr dünn. Damit können wir nicht jene Maßnahmen finanzieren, die wir brauchen. Das Kapital ist zudem volatil. Wenn wir die Steuern erhöhen, könnte sich die oberste Schicht legitim die Frage stellen, in ein Land mit weniger Steuern abzuwandern. Dann hätten wir nichts gewonnen.

Hohe Inflation bedeutet hohe Zinsen. Für zahlreiche Menschen zerplatzt deshalb gerade der Traum eines Eigenheims. Macht die Regierung genug, um diese Entwicklung abzufedern?

Die Wohnungskrise ist wie gesagt nicht neu. Wir müssen das Angebot im Immobilienmarkt hochschrauben. Viele der aktuell diskutierten Maßnahmen würden aber die Nachfrage weiter anheizen.

Yuriko Backes
Yuriko Backes, Jahrgang 1970, ist seit Januar 2022 Finanzministerin. Sie löste den zurückgetretenen Pierre Gramegna ab. Zuvor war sie Hofmarschallin am großherzoglichen Hof. (Foto: Eric Engel)

Fast parallel zur Budgetdebatte kam die Kritik auf, dass die Begrenzung des „amortissement accéléré“ zum falschen Zeitpunkt komme.

Die einen wollen diese Maßnahme ganz abschaffen, andere sie ausbauen. Das wurde breit in der Regierung diskutiert und wir sind zu diesem Kompromiss gekommen. Ich glaube, wir haben hier den richtigen Mittelweg gefunden. Insgesamt geht es darum, das Angebot zu steigern.

Aber da liegt das Problem. Die Bauunternehmen warnen, dass nächstes Jahr 1.500 Wohneinheiten weniger gebaut werden.

Ich bin nicht Wohnungsbauministerin. Wir versuchen das zu begleiten, aber wir können nicht alle Probleme des Landes mit Steuermaßnahmen lösen. Der Markt muss ins Gleichgewicht kommen und das passiert aktuell auch.

In Ihre Verantwortung fällt die Finanzstabilität. Experten warnen immer dringlicher vor den Risiken im Luxemburger Immobilienmarkt. Die Verschuldung der Haushalte ist mit die höchste in der EU …

… aber der Anteil der notleidenden Kredite in Luxemburg ist einer niedrigsten in Europa. Das „Comité du risque systémique“ diskutiert gerade diese Probleme. Das „Comité“ hat bereits 2021 das Verhältnis zwischen der Kreditsumme und dem Wert der Immobilie reguliert.

Die Finanzaufsicht CSSF fordert weitere Maßnahmen wie etwa die Begrenzung der Kreditlast im Verhältnis zum Einkommen.

Momentan ist keine Entscheidung in diesem Sinne gefallen. Wenn wir zum Schluss kommen, dass das wirklich nötig ist, dann treffen wir die entsprechende Entscheidung.

In der Luxemburger Gesellschaft gehe es ungerecht zu, sagten die Hälfte der Befragten im „Politmonitor“ von „RTL“ und „Luxemburger Wort“ im November. Sie haben in Ihrer Haushaltsrede den Bericht Ihres Parteikollegen Max Hahn zitiert, „wie wir noch besser zusammenleben können in unserem schönen Land“. Ist dem wirklich so?

Aus dem „Politmonitor“ kann man ja vieles heraussuchen, was einem gerade passt.

Die Statistiken sprechen eine klare Sprache. So ist etwa das Risiko, arm trotz Arbeit zu sein, nur in Rumänien und Spanien höher als in Luxemburg.

Wir sind bei den sozialen Maßnahmen mit am besten aufgestellt. Im Budget haben wir weitere Verbesserungen beschlossen, wie etwa für Alleinerziehende. Wir müssen uns aber mehr anstrengen als Regierung, dass die Bürger auch alle Hilfen kennen und besser informiert werden, wie sie diese Hilfen beanspruchen können. Das meinte ich mit meinem Verweis auf den Bericht von Max Hahn.

Wir müssen bei Initiativen wie „Unshell“ darauf achten, dass Aktivitäten nicht in Drittländer verlagert werden.“

Es geht ja auch um die Frage der Steuergerechtigkeit. Wie erklären Sie Bürgern, die mit ihrer Miete oder ihren Kreditraten Probleme haben, dass andere ihre Miete, Möbel und Schulkosten von ihrem Arbeitgeber bezahlt bekommen und das auch noch im „Régime impatrié“ steuerfrei ist?

Man sollte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Wir haben diese Maßnahmen verstärkt, weil viele Unternehmen sagen, dass sie Mühe haben, Talente in Luxemburg zu halten und anzuziehen. Da stehen wir im Wettbewerb mit anderen Finanzplätzen. Die Regierung macht sehr viel, um Bedürftige zu unterstützen. Und genauso wichtig ist, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

Vor Kurzem hat sich die EU auf die Einführung einer Mindestbesteuerung von Konzernen geeinigt. Welche Auswirkungen wird diese Reform auf die Wettbewerbsfähigkeit Luxemburgs haben?

Die Studien zu diesem Punkt gehen in beide Richtungen: Die einen kommen zum Ergebnis, dass es negativ für Luxemburg ist, die anderen, dass es positiv ist. Ich glaube nicht, dass die Auswirkungen so gewaltig sein werden. Ein direkter Konkurrent wie etwa Irland wird seinen Steuersatz nach oben anpassen müssen. In dieser Hinsicht kann das vorteilhaft für Luxemburg sein.

Luxemburg hält auch an der Einstimmigkeit in Steuerfragen in der EU fest. Polen und Ungarn haben aber ihr Veto für Erpressungsversuche gerade in diesem Dossier der Mindestbesteuerung genutzt. Ist es im Interesse Luxemburgs, solche Spielchen weiter zu ermöglichen?

Ich finde es sehr bedauerlich, dass Polen und dann Ungarn diese Entscheidung blockiert haben. Es ging ja nicht um die Mindeststeuer an sich, sondern um die ausgesetzten Beihilfen für die beiden Länder aufgrund des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus. Trotzdem bleibe ich der Meinung, dass wir in Steuerfragen bei der Einstimmigkeit bleiben sollen. Das ist im Interesse von Luxemburg, weil wir unserer Stimme in den Verhandlungen so Gewicht verleihen können. Die Einstimmigkeit hat uns bis jetzt auch nicht daran gehindert, zusammen in der EU Kompromisse zu finden.

Budget 2023
« Als großer Finanzplatz haben wir eine Verantwortung », sagt die Finanzministerin. Das gelte auch beim Thema nachhaltige und grüne Finanzen, die ein großes Thema in den Haushaltsdebatten waren. (Foto: Eric Engel)

Luxemburgs Ruf hängt – zu Recht oder Unrecht – von Briefkastenfirmen ab. Der Richtlinienvorschlag „Unshell“ will mit diesen Strukturen aufräumen. Warum ist das für Luxemburg ein Problem, wenn die Regierung in den vergangenen Jahren immer wieder sagte, dass es keine Briefkastenfirmen in Reinform mehr gebe?

Das sehe ich auch heute noch so. Die EU-Kommission legte diesen Vorschlag vor einem Jahr vor … ich erinnere mich, weil es war am Tag meines Geburtstags. Ich bin der Meinung, dass Luxemburg auf Substanz setzen muss, und das machen wir auch. Die Richtlinie ist noch in der Verhandlung.

Besteht das Risiko, dass wesentliche Steuereinnahmen verloren gehen?

Das hängt davon ab, was am Ende alles unter diese Richtlinie fällt. Mich beunruhigt aber, dass alles, was grenzüberschreitend ist, offenbar als „shady“ gilt. Damit kann ich aber nicht einverstanden sein, denn wir sind seit Langem in einem Gemeinsamen Binnenmarkt. Wir müssen in der EU aber auch bei solchen Initiativen darauf achten, dass die Folge nicht ist, dass Aktivitäten in Drittländer verlagert werden. Und dort passiert genau das Gleiche. Ist das wirklich in unserem Interesse? Wir wollen ein glaubwürdiger Finanzplatz sein, der auch bei allem, was grüne und nachhaltige Investments angeht, gut aufgestellt ist.

Wenn Luxemburg bei nachhaltigen und verantwortungsvollen Finanzprodukten so gut aufgestellt ist, warum hat die Regierung und Sie besonders darauf hingearbeitet, die Investmentfonds aus der Lieferketten-Richtlinie herauszuhalten?

Bei den Lieferketten-Regeln gibt es nicht die einen, die für Menschenrechte sind und die anderen, die dagegen sind. Ich finde diese Richtlinie extrem wichtig und es ist auch richtig, dass das auf EU-Ebene geregelt wird. Mir fehlt aber die Folgenabschätzung: Erreichen wir mit diesen Vorgaben das Ziel? Dazu habe ich bisher wenig Überzeugendes gesehen. Die Position der Regierung ist, dass Fonds nicht unter diese Bestimmungen fallen sollten. Fonds sind eben nicht das Gleiche wie die Lieferketten von Autos oder Kleidern. Da müssen wir den Besonderheiten des Finanzsektors doch Rechnung tragen. Auch andere Richtlinien und Ratsverordnungen müssen dabei berücksichtigt werden. Luxemburg ist bei weitem nicht das einzige Land, das das so sieht.

Mir war diese Transparenz bei der Umsetzung der Sanktionen wichtig.“

Sie haben die Probleme und Sorgen der Finanzindustrie dargelegt. Auf der anderen Seite ist es ärgerlich für den Kunden, der sein Geld nachhaltig anlegen will und nicht die gewünschten Produkte erhält oder sie falsch gelabelt sind. Das ging etwa aus einer Erhebung von Greenpeace hervor.

Ich habe über diese Studie gelesen, die auf knapp 20 Kundengesprächen basierte. Ob daraus eine allgemeine Schlussfolgerung zu ziehen ist, kann ich nicht sagen. Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen, dass wir einen nachhaltigen Finanzplatz haben. Sowohl für die Fonds als auch die Banken gilt, dass in dieser Frage ihr Ruf auf dem Spiel steht. Und auch der Ruf des ganzen Finanzplatzes.

Um den Ruf Luxemburgs geht es auch bei der Umsetzung der Sanktionen gegen Russland. Was ist Ihre Priorität: Diese Sanktionen schlagkräftig durchzusetzen oder nur so, dass für Luxemburg kein Reputationsrisiko entsteht?

Als großer Finanzplatz haben wir eine Verantwortung. Meine Rolle ist, darauf zu achten, dass wir so aufgestellt sind, um die Sanktionen effizient umzusetzen.

Hat der Staat die Mittel, um sicherzustellen, dass sich jeder daran hält?

Die Aufsichtsbehörden machen ihren Job. Die selbstregulierten Organisationen müssen auch ihren Job machen. Die Sanktionen sind wichtig und die Regierung steht absolut dahinter. Russland hat einen inakzeptablen Krieg begonnen. Die EU hat noch nie so schnell Maßnahmen beschlossen. Und wir tragen unseren Teil dazu bei.

Sie nennen die 5,5 Milliarden Euro an eingefrorenen Werten infolge der Sanktionen. Andere Länder geben mehr Details, um welche Firmenanteile oder Wertgegenstände es geht. Warum setzen Sie nicht auf mehr Transparenz?

Wir waren eines der ersten Länder, die überhaupt den Umfang mitgeteilt haben. Ich bedauere, dass auf EU-Ebene keine einheitliche Kommunikation dazu stattfindet. Mir war diese Transparenz wichtig und es ist schließlich auch eine beachtliche Summe.


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