Luxemburg habe sich entscheiden müssen, auf welcher Seite man in Sachen Venezuela steht. Dabei räumt Jean Asselborn ein, dass die Politik der EU in dieser Frage kritikwürdig ist. Ursprünglich habe er auch eine zurückhaltendere Position bevorzugt, so der Außenminister im Interview mit REPORTER.

Interview: Christoph Bumb

Herr Asselborn, wie lautet Luxemburgs Position zur aktuellen Venezuela-Krise?

Wir fordern wie mittlerweile 18 weitere EU-Staaten, dass es zügig zu Neuwahlen kommt, um die politische Krise zu lösen. Die politische, wirtschaftliche und humanitäre Lage in Venezuela ist ernst. Wir müssen diese Situation überwinden.

Inwiefern hat sich Luxemburgs Position in den vergangenen Tagen entwickelt?

Ich gebe zu, dass ich zunächst eine zurückhaltendere Haltung bevorzugt habe. Im Gespräch mit meinen Amtskollegen haben wir uns vergangene Woche darauf verständigt, dass die Solidarität mit dem venezolanischen Volk und die Förderung einer politischen Lösung des Konflikts die Hauptbotschaft sein soll. Es zeigte sich aber schnell, dass selbst diese Position innerhalb der EU nicht konsensfähig war. Die italienische Regierung, aber auch andere Staaten, die unter dem nachhaltigen Einfluss äußerer Mächte standen, haben eine Einigung blockiert. Mehr will ich zu den Beweggründen dieser Länder jetzt nicht sagen.

Als Abgeordneter in einem Parlament kann man sich in solchen Fragen vielleicht enthalten. Als Außenminister geht das so nicht. »Außenminister Jean Asselborn

Sie haben aber letztlich der umstrittenen Position zugestimmt, dass man den Vorsitzenden des venezolanischen Parlaments, Juan Guaidó, als « Übergangspräsident » anerkennt …

Luxemburg, aber auch Staaten wie Belgien oder Schweden, sahen anfangs keine Notwendigkeit für eine ausdrückliche Anerkennung von Juan Guaidó als Übergangspräsident. Wir waren auch nicht unter den Ländern, die ein Ultimatum an die Regierung in Caracas gestellt haben. Als es dann aber darum ging, ob wir an der Seite der Mehrheit der EU stehen oder auf der anderen Seite, musste ich mich entscheiden. Als Abgeordneter in einem Parlament kann man sich in solchen Fragen vielleicht enthalten. Als Außenminister geht das so nicht. Nichtstun war jedenfalls keine Option.

Was antworten Sie den Kritikern, die diese Positionierung der EU als Einmischung in die Souveränität Venezuelas werten?

Ich verstehe diese Kritik. Mir ist auch bewusst, dass dabei nicht alle Spielregeln der Demokratie eingehalten werden. Doch die Situation ist verfahren. Europa, und damit auch Luxemburg, kann nicht neutral bleiben. Das Argument, was mich letztlich überzeugte, lautet: Es gibt nur einen Hebel für Neuwahlen und damit einen glaubwürdigen Ausweg aus der aktuellen Krise, und das ist das demokratisch gewählte Parlament in Venezuela. Ich spreche dabei auch statt von Anerkennung lieber davon, dass wir dem Präsidenten des Parlaments die Fähigkeit zusprechen, einen Ausweg aus der Krise zu finden.

Europa ist keine glaubwürdige Kraft für die Verteidigung von Rechtsstaat und Menschenrechten mehr – weder zu Hause noch in der Welt. »Außenminister Jean Asselborn

Sehen Sie es generell als legitim an, dass sich Luxemburg so aktiv in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischt?

Ich weiß nur: Wenn man komplett neutral bliebe, wäre das politisch und moralisch auch nur schwer vertretbar. Wir stehen wie gesagt vor einer enormen politischen und wirtschaftlichen Krise in Venezuela. Es besteht die Gefahr eines Bürgerkriegs. Ich gebe aber zu, dass die Haltung der EU-Staaten die Antwort auf eine außerordentliche Situation ist. Das darf sicherlich kein Schema sein, das in anderen Konflikten Schule macht.

Was bedeutet die aktuelle Lage für das Anliegen einer gemeinsamen Außenpolitik der EU? Es ist ja nicht das erste Mal, dass Europa nicht mit einer Stimme spricht, wenn es in der Weltpolitik darauf ankommt …

Ich sage das ganz deutlich: Es ist eine katastrophale Situation. Ich kann auch nicht anders, als zu betonen, dass es fast immer die gleichen Staaten sind, die eine gemeinsame Linie erschweren. Als ich 2004 Außenminister wurde, konnte ich die positive Rolle der EU in der Welt noch ohne Wenn und Aber verteidigen. Die EU war immer ein Vorbild in Sachen Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat. Dafür hat uns fast die ganze Welt beneidet. Das ist heute nicht mehr so. Europa ist keine glaubwürdige Kraft für die Verteidigung von Rechtsstaat und Menschenrechten mehr – weder zu Hause noch in der Welt. Ich arbeite täglich daran, dass sich das wieder ändert. Aber das ist die aktuelle ungeschönte Lage.


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