Die „Implant Files“ deckten weltweite Mängel beim Einsatz von Implantaten auf. Schwierigkeiten mit Prothesen gibt es auch in Luxemburg. 2017 gab es rund 50 solcher Fälle. Die Ursachen dafür sind zwar vielfältig. Doch auch hierzulande ist die Kontrolle schwierig.

« Wir kennen das Problem schon lange. » Die Antwort von Prof. Dr. Seil hört sich gelassen an. Kein Zeichen der Verwunderung, keines der Sorge. Fehlerhafte Prothesen, die dem Patienten mehr schaden als helfen? « In der Branche ist das längst bekannt », so der Arzt.

Er habe nur darauf gewartet, dass das Ganze irgendwann an die Öffentlichkeit gelangt. Die Branche wusste demnach Bescheid, die Patienten aber wurden im Dunkeln gelassen. Zumindest bis jetzt.

Es geht um die sogenannten « Implant Files »: Journalisten fanden heraus, dass weltweit Tausenden von Menschen geringwertige Implantate oder Prothesen eingesetzt worden sind. Medizin und Hersteller haben die Probleme vertuscht. Und die Patienten mussten leiden.

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Angst der Patienten wächst

Romain Seil stellt fest, dass seine Patienten seit den Enthüllungen verunsichert sind. « Die Menschen fragen jetzt genau nach, ob es sich bei den Prothesen auch wirklich um sichere Produkte handelt », so der Orthopäde.

« Normalerweise schlagen wir ihnen eine bestimmte Prothese vor, erklären Vor- und Nachteile und dann akzeptieren sie das auch », sagt der Arzt weiter. « Jetzt ist es aber so, dass die Menschen von sich aus sagen, sie hätten von Problemen bei den Produkten gehört. »

Prof. Dr. Romain Seil ist Orthopäde am Centre Hospitalier de Luxembourg (CHL). (Foto: Matic Zorman)

„Die positive Nachricht: Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurden die Patienten mit so guten Implantaten versorgt, wie das heute der Fall ist“, versichert Seil. Sicherlich gebe es schwarze Schafe unter den Herstellern, die Vielzahl der Produkte würden aber gut funktionieren.

Bisher sind in Luxemburg keine Fälle bekannt, die einen direkten Zusammenhang mit den verpfuschten Prothesen der « Implant Files » haben. Das sagen zumindest alle Befragten. Probleme gibt es dennoch immer wieder.

Auf Nachfrage von REPORTER spricht Dr. Jean-Claude Schmit, Leiter der « Direction de la Santé » des Gesundheitsministeriums, von etwa 50 Fällen im vergangenen Jahr. Mit dieser Zahl sollte man aber vorsichtig umgehen. « Das kann, muss aber nicht unbedingt an der Prothese selbst liegen », so der Experte. « Die Produkte können auch falsch eingesetzt oder einfach vom Körper abgestoßen werden. »

Mit einem Eingriff sei immer ein gewisses Risiko verbunden, da jeder Körper anders reagiert. Regelmäßige Kontrollen nach den Operationen seien deshalb unerlässlich.

Schwierigkeiten mit Prothesen und Implantaten gibt es demnach auch hierzulande. Wodurch sie entstehen, ist allerdings unklar.

Das Problem mit den OPs im Ausland

Weltweit wird der Umsatz der Medizinprodukt-Branche auf 282 Milliarden Euro geschätzt. Wie viele Patienten in Luxemburg eine Prothese tragen, ist aber nur schwer zu erfassen. Unter den Begriff der Medizinprodukte fallen nämlich nicht nur Bein-, Hüft-, oder Schulterprothesen, sondern auch Silikonkissen, Zahnkronen oder Verhütungsstäbchen. Die Zahl lässt sich aber auch deshalb nicht festlegen, weil sich viele Patienten gar nicht hierzulande operieren lassen. « Wenn die Leute in Deutschland, Belgien oder Frankreich operiert werden, können wir kaum nachverfolgen, wo ihnen welches Produkt von welchem Arzt eingesetzt worden ist », so Georges Clees von der Patientenvertriedung.

Von der Gesundheitskasse CNS heißt es in einem Schreiben, dass in Luxemburg erlaubte Medizinprodukte alle die nötige europäische CE-Zertifizierung hätten. Man wisse allerdings nicht, welche Prothesen in welchen Mengen in den Krankenhäuser genutzt würden.

Romain Seil hat eigenen Aussagen nach bereits Revisions-OPs bei Patienten mit Problemprothesen durchgeführt. Die Prothesen, die im Ausland eingesetzt worden sind, nahm er wieder raus. Einige der Patienten seien mittlerweile gegen die Produzenten gerichtlich vorgegangen, so der Arzt.

Lasche Qualitätskontrollen

« Es läuft nicht alles so, wie es laufen sollte », sagt Jean-Claude Schmit. Innerhalb der EU entscheiden etwa 50 private Prüfstellen darüber, welches Produkt die sogenannte CE-Zertifizierung (CE steht für Conformité Européenne) bekommt und welches nicht. Luxemburg hat keine eigene Prüfstelle für Prothesen und muss alle Produkte akzeptieren, die im Ausland mit dem für Europa gültigen CE-Siegel gekennzeichnet sind.

Knieprothesen wie diese werden im CHL eingesetzt. (Foto: Matic Zorman)

« Wir haben gar keine gesetzliche Basis, um die Produkte hierzulande für gültig zu erklären », so Schmit. « Deshalb müssen wir uns an die EU-Vorgaben halten. » Alles, was man machen könne, sei die Kontrolle der von den Kliniken gekauften Produkte zu übernehmen und bei Problemen einzuspringen, so Schmit. Im « Luxemburger Wort » heißt es außerdem, dass Hersteller seien verpflichtet, « im Fall von Problemen die nationalen Gesundheitsbehörden ins Bild zu setzen ».

Romain Seil sagt, er würde seinerseits auf Produkte zurückgreifen, die sich bereits seit einigen Jahren bewährt hätten. Denn das Problem mit neuer Ware haben die « Implant Files » deutlich gemacht: Die CE-Prüfstellen geben ihre Zertifizierungen (zu) schnell raus. Klinische Tests und Studien sind dafür nicht nötig. Sie werden oft erst durchgeführt, nachdem sie auf den Markt kommen – also nachdem sie den Patienten bereits eingesetzt werden. Und auch dann nur auf freiwilliger Basis.

Der Patient als Versuchskaninchen

Weil es an Tests und Studien fehlt, fallen Probleme oft erst auf, wenn es zu spät ist. Nämlich dann, wenn der Patient das Produkt längst in sich trägt. « Wenn Produkte nicht funktionieren, wird nach ein paar Jahren nicht mehr von ihnen gesprochen », so Romain Seil. « Das passiert dann aber auf Kosten des Patienten. »

Der Patient wird bei neuen Produkten demnach zum Versuchskaninchen. Was dagegen helfen könnte? Eigentlich ist die Antwort dazu einfach: Mehr Studien im Vorfeld.

Warum sollten Hersteller aber in solche Studien investieren, wenn es auch ohne geht? « Wichtig sind deshalb regelmäßige Kontrollen nach den Operationen », so Romain Seil. So könne sich der Patient absichern. Außerdem seien Informationsgespräche vor dem Eingriff wichtig, um dem Patient die Prozedur und die Prothese genau zu erklären.

Wer kauft welche Prothesen?

Der Präsident der Patientevertiedung, René Pizzaferri, kritisierte im Gespräch mit Radio 100,7, dass Ärzte in Luxemburg bei der Wahl ihrer Produkte freie Hand haben. Und die Krankenhäuser teilweise keine Einsicht hätten, wer welches Produkt bestellt. Es fehle an Kontrollen.

Dem widerspricht Grégory Gaudillot, Präsident des Verbands der Krankenhausapotheken. « Der Arzt kann zwar seine eigene Wahl treffen, in Krankenhäusern läuft die Bestellung der Prothesen aber immer über uns », sagt er. Außerdem sei die therapeutische Freiheit des Arztes nicht damit gleichzusetzen, dass er einfach nach seinem Belieben handeln kann. Dem Krankenhaus liegen die Informationen über die Herkunft der Produkte demnach vor.

Das bestätigt auch Dr. Seil. Welche Prothesen er und sein Team einsetze, sei mit der Krankenhausverwaltung und der zuständigen Apotheke abgesprochen. Und das sei auch gut so. « In Deutschland setzen die Ärzte die Prothesen ein, die das Krankenhaus einkauft », so Seil. Oft sei der Kostenpunkt ein Kriterium dafür, welche Prothese vom Klinikum ausgewählt wird.

Nationales Register soll helfen

Firmen entwickeln demnach, was sie für innovativ halten. Ärzte kaufen das, was sie für gut empfinden. Was aber zur Kontrolle fehlt, ist ein zentrales Register, in dem alle eingesetzten Implantate und Prothesen aufgelistet werden.

Der Vorteil davon: Alle Daten werden an einer Stelle gesammelt, Vergleiche mit anderen Produkten werden einfacher und Probleme schneller identifiziert.

Ein Register für Medikamente und Medizinprodukte ist in Planung – und wird auch im Koalitionsabkommen erwähnt: „La mise en place effective d’une Agence nationale des médicaments et des produits de santé sera soutenue.” Allerdings nicht zum ersten Mal. Denn bereits im letzten Text war von einer nationalen Agentur die Rede. Jean-Claude Schmit sagt, dass sich die Pläne jetzt aber konkretisieren.

Die positive Nachricht ist: Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurden die Patienten mit so guten Implantaten versorgt, wie das heute der Fall ist. »Dr. Romain Seil

„Es wurde eine Studie dazu ausgearbeitet und wir haben nun grünes Licht, um eine solche Agentur aufzubauen“, so Schmit. Der Regierungsrat stimmte 2018 für die Gründung des Registers. Die Umsetzung geschehe aber nicht von heute auf morgen, sagt Schmit. Er rechnet mit etwa zwei Jahren. Erst müsse noch ein passendes Gesetz geschrieben, ein Konzept entwickelt und das nötige Personal rekrutiert werden.

In Schmits Augen ist die Agentur notwendig, weil der Bereich der Medikamente und Produkte immer komplexer wird – und Kontrollen deshalb immer schwieriger werden. „Momentan werden diese Kontrollen von der Santé übernommen. Das reicht auf Dauer aber nicht aus. Eine eigenständige Agentur muss her“, so Schmit. Für CE-Siegel soll aber auch sie nicht verantwortlich sein. Lediglich für die Kontrolle der Produkte und die Betreuung der Patienten.

Innerhalb der EU soll es dann spätestens ab 2020 strengere Kontrollen geben. Und auch eine Datenbank auf EU-Ebene (Eudamed) gibt es bereits. Allerdings ist sie nicht öffentlich zugänglich und in Luxemburg wenig bekannt.