Fehlende Genehmigungen, illegale Deponien, umweltschädliche Praktiken: Die REPORTER-Recherche zum « Crassier Differdange » ruft die Kommunalpolitik auf den Plan. Einfache Lösungen für das Problem gibt es nicht. Die Gemeinden sehen dennoch die Regierung in der Pflicht.

« Es ist ein historischer Moment », zitiert das « Luxemburger Wort » das Differdinger Gemeinderatsmitglied Fränz Schwachtgen (Déi Gréng). Gemeint ist der Kauf eines 115 Hektar großen Grundstücks in Frankreich durch die drittgrößte Gemeinde des Landes. Diese wollte verhindern, dass direkt hinter der Grenze eine Sondermülldeponie gebaut wird.

Gleichzeitig bleibt das Problem des « Crassier » Differdingen ungelöst. Wie Recherchen von REPORTER zeigen, schlummern auf der 150 Hektar großen Halde zwischen Differdingen und Sanem diverse umweltschädliche Industrieabfälle – und das zum Teil ohne die nötigen Genehmigungen. In einem Fall spricht das Umweltministerium von einer « illegalen » Deponie.

Den betroffenen Gemeinden und den zuständigen Behörden ist das Problem der nicht genehmigten Lagerung von Industrieabfällen lange bekannt. REPORTER liegen Studien der späten 1990er Jahre vor, in denen bereits auf die potenziellen Gefahrenquellen und Umweltbelastungen der Halde hingewiesen wird.

Betroffene Gemeinden fühlen sich machtlos

Dass die problematische Situation bis heute nicht behoben wurde, liegt vor allem daran, dass es letztlich keine einfachen Lösungen zum Umgang mit Industriemüll gibt. Das heißt jedoch nicht, dass es überhaupt keine Lösung gäbe.

Wenn es keine Genehmigung für eine Deponie gibt, muss man die Deponie schließen. »
Ali Ruckert, Gemeinderatsmitglied

« Wir sind den Entscheidungen anderer ausgeliefert », beklagt der Abgeordnete und Bürgermeister von Sanem, Georges Engel (LSAP), im Gespräch mit REPORTER. « Wir werden nur am Rande informiert, wirklich eingebunden werden wir nicht. » Was für Sanem gilt, stimmt ebenso für Differdingen. « Mehr als Einspruch einlegen, können wir nicht », sagt das Gemeinderatsmitglied Gary Diderich (Déi Lénk).

Die Gemeinden hätten kaum eine Möglichkeit, gegen die Praktiken jener Industrien vorzugehen, die das Gelände als Müllhalde nutzten, so der Tenor. Die Problemdeponien liegen zwar auf ihrem Gelände. Doch das Grundstück des « Crassier » gehört teils ArcelorMittal, teils dem Staat. Für Genehmigungen und Kontrollen ist die Umweltverwaltung zuständig.

Verantwortung für Gesundheit und Umwelt

Die Einsprüche der Gemeinden zeigen jedoch kaum Wirkung. Bisher kamen die zuständigen Behörden weder den Forderungen nach einer gesamten Inventur für das Gelände noch jenen nach einem Sanierungskonzept nach.

Für Ali Ruckert (KPL), der ebenfalls im Differdinger Gemeinderat sitzt, reichen die Anstrengungen der Gemeinden nicht aus. « Die Gemeinde ist zuständig für die Gesundheit und Sicherheit ihrer Einwohner. Wenn es keine Genehmigung für eine Deponie gibt, muss man die Deponie schließen. »

Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass der Zustand so lange toleriert wurde. »Francis Hengen, « Mouvement écologique »

Tatsächlich ist diese Pflicht in einem Dekret aus dem 18. Jahrhundert festgehalten. Laut dem Innenministerium wurden jedoch nie Prozeduren festgelegt, wie ein Bürgermeister im Falle einer akuten Gefährdung konkret vorgehen kann. Die « Deponie schließen » ist also einfacher gesagt als getan.

Zudem lässt sich bis heute nur vermuten, in welchem Ausmaß die Industrieabfälle der Umwelt und der menschlichen Gesundheit schaden. Das Problem: Weil es an Kontrolle fehlt, weiß niemand so recht, was auf dem « Crassier » alles lagert. Systematische Untersuchungen über die Auswirkungen der Deponien wurden nie vorgenommen.

« Ein Verstoß gegen das Umweltrecht »

« Die Gemeinde musste immer den Kopf hinhalten. Es ist ein Problem von nationaler Bedeutung », findet auch das Differdinger Gemeinderatsmitglied François Meisch (DP). Es sei demnach die Aufgabe der nationalen Behörden, den « Crassier » endlich zu regulieren.

Ähnlich sieht das Francis Hengen vom « Mouvement écologique », der von einem wahrhaftigen Umweltskandal spricht. « Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass der Zustand so lange toleriert wurde. Wenn eine Deponie nicht genehmigt wurde, muss sie gestoppt werden. Es ist schließlich ein Verstoß gegen das Umweltrecht. »

Beschränkter Handlungsspielraum der Behörden

Doch die Behörden konnten bisher nicht mit Lösungen aufwarten. Vor allem der Personalmangel und die Frage nach dem Stellenwert des Umweltschutzes gegenüber der wirtschaftlichen Entwicklung schränken den Handlungsspielraum des Umweltministeriums ein.

Letztlich steht in Differdingen eines der letzten Werke jener Industrie, der Luxemburg historisch seinen Reichtum verdankt. Laut Angaben von ArcelorMittal arbeiten heute noch über 800 Menschen an diesem Standort. Oder wie es Ali Ruckert ausdrückt: « Finanzielle Interessen verhindern, dass die Deponie geschlossen wird. »

Die Ministerin und die Umweltverwaltung müssen uns darüber ins Bild setzen, was auf der Halde los ist und was in den letzten Jahren passiert ist, um die Situation zu beheben. »François Benoy, Abgeordneter von « Déi Gréng »

Zudem kann Luxemburg den hiesigen Industrien kaum eine Alternative für die Lagerung ihres Giftmülls bieten. Der Transport und die Entsorgung im Ausland sind äußerst kostspielig. Eine eigene genehmigte Deponie für diese Abfälle fehlt seit rund 20 Jahren. Seit der Schließung der Halde « Ronnebierg », die sich ebenfalls in Differdingen befindet, wurde kein neuer Standort gefunden. Gleichzeitig lässt sich rückwirkend kaum etwas gegen die historische Ablagerung von belastetem Industriemüll unternehmen.

Umweltministerium steht unter Zugzwang

Man dürfe das Problem jedoch nicht auf die leichte Schulter nehmen, betont der Abgeordnete und Präsident der Umweltkommission François Benoy (Déi Gréng). Er hat die Deponien in Differdingen deshalb am Dienstag auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des zuständigen Ausschusses gesetzt. Zudem will der DP-Abgeordnete Gusty Graas in einer parlamentarischen Anfrage von der zuständigen Ministerin wissen, welche Konsequenzen sie aus den diversen Unregelmäßigkeiten auf dem « Crassier » ziehen will.

« Die Ministerin und die Umweltverwaltung müssen uns darüber ins Bild setzen, was auf der Halde los ist und was in den letzten Jahren passiert ist, um die Situation zu beheben », fordert François Benoy. Der Grünen-Abgeordnete betont jedoch, dass das Umweltministerium bereits Versuche unternommen habe, um die Situation in Einklang mit Recht und Gesetz zu bringen.

Mehrere, zum Teil unrechtmäßige Deponien auf einer riesigen Müllhalde: Bei der Ablagerung von Giftmüll auf dem « Crassier » in Differdingen drückten die Behörden lange ein Auge zu. (Foto: Claude Piscitelli)

Der Parlamentarier weist auch darauf hin, dass Gesetze auf dem Instanzenweg seien, die den schwierigen Umgang mit Industriestandorten vereinfachen sollen. Vor zwei Jahren wurde etwa ein neues Bodenschutzgesetz vorgestellt, welches aktuell beim Staatsrat zur Begutachtung liegt. Die Regierung habe das Problem also erkannt, so der Parteifreund von Umweltministerin Carole Dieschbourg.

Kritischer sieht das Martine Hansen (CSV). Einerseits kann sie den schwierigen Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz nachvollziehen. « Die Behörden können ja nicht von heute auf morgen schließen, ohne dass es alternative Lösungen gibt. » Andererseits erinnert die Fraktionschefin der CSV daran, dass jeder gleich behandelt werden müsse, egal ob Privatperson oder Großunternehmen. Nun sei das Ministerium unter Zugzwang, eine Lösung des Problems vorzulegen, so die Oppositionsführerin.

Sanierungskonzept wäre ein Anfang

Doch was tun? Seit geraumer Zeit versucht das Umweltministerium, den Stahlkonzern ArcelorMittal zur Regulierung der aktuell als illegal eingestuften Deponie zu bewegen. Im Rahmen der Umweltimpaktstudie, die für solche Projekte notwendig ist, würde dann auch eine Überblicksstudie über den gesamtem « Crassier » anfallen.

Die Gemeinden lassen sich damit wohl kaum zufriedenstellen. Sie fordern nicht nur mehr Transparenz, sondern ein Sanierungskonzept für die gesamte Halde, bevor neue Projekte entstehen. « Auf dem historisch als Deponie genutzten Gelände kann ein Neubauprojekt nur dann als nachhaltig angesehen werden, wenn ein ganzheitliches Sanierungskonzept vorgeschaltet wird », schrieben sie 2018 in einem Brief an das Wirtschaftsministerium, der REPORTER vorliegt.

« Wir fordern Transparenz », sagt die Differdinger Bürgermeisterin Christiane Brassel-Rausch (Déi Gréng). « Wir müssen mit der Salamitaktik aufhören », pflichtet ihr der Bürgermeister von Sanem, Georges Engel, bei.

Die Sache mit dem Verursacherprinzip

Doch wer ist überhaupt dafür zuständig, das geforderte « Gesamtkonzept » auszuarbeiten? Gesetzlich greift hier das Verursacherprinzip (« Pollueur-Payeur »): Derjenige, der das Gelände nutzte, ist demnach für die Sanierung zuständig. Die Verantwortung liegt also bei den Industrien, die ihre Abfälle auf dem « Crassier » lagerten – allen voran bei ArcelorMittal.

Die absolut beste Lösung wäre, wenn ArcelorMittal seinen Dreck selbst dort wegbringt. Sie haben das Grundstück verschmutzt. Nun müssen sie es wieder in Ordnung bringen. »Georges Engel, Bürgermeister von Sanem

Doch wie anhand der « Décharge Lamesch » in Sanem ersichtlich wird, ist heute nicht einmal mehr nachweisbar, welche Betriebe in der Vergangenheit vom « Crassier » Gebrauch machten. Obwohl die Deponie den Namen des Abfallunternehmens Lamesch trägt, weiß heute niemand mehr, ob die Firma dort eine Deponie betrieb.

Klar ist allerdings: Das betroffene Gelände auf dem « Crassier » Differdingen gehört größtenteils ArcelorMittal. Und der Stahlgigant lagert bis heute problematische Materialien auf der Deponie. « Die absolut beste Lösung wäre, wenn ArcelorMittal seinen Dreck selbst dort wegbringt. Sie haben das Grundstück verschmutzt. Nun müssen sie es wieder in Ordnung bringen », betont so auch Georges Engel.

Keine einfache oder schnelle Lösung in Sicht

Doch wie saniert man eine 150 Hektar große, hoch belastete Halde? Einfach alles aus dem Boden heben und anderswo deponieren, ist praktisch unmöglich. Bereits 1997 schlussfolgerten die Autoren einer Überblicksstudie über den « Crassier »: Es sei ein « wirtschaftlich und ökologisch zweifelhaftes Unterfangen », die belasteten Materialien auf andere Standorte umzulagern.

« Wir können jetzt nicht alles umgraben, nur um ein gutes Gewissen zu haben », sagt Christiane Brassel-Rausch. Ähnlich sieht es Georges Engel: « Das alles liegt jetzt hier. Und wenn es nicht hier liegt, müsste es woanders hinkommen. Das ist auch keine Lösung », pflichtet ihr Georges Engel bei. « Wir sind für jede Lösung offen, um das beste daraus zu machen. »

Wie man es besser macht, wird allerdings erst dann ersichtlich sein, wenn systematische Untersuchungen über die gesamte Halde vorliegen. Bis dahin bleibt Differdingen weiterhin die « Poubelle » des Landes.