Ziemlich unerwartet vermelden die EU und Mexiko einen Durchbruch bei den Verhandlungen um ein neues Handelsabkommen. Kritikpunkte sind reichlich vorhanden. Dazu zählt die Frage, ob die EU durch das Abkommen auch Interessen verfolgt, die nicht nur mit dem Partnerland etwas zu tun haben.

Fallen die Worte Mexiko und Handelsabkommen,  will das oft nichts Gutes heißen. Die lateinamerikanische Republik wird gerne als Musterbeispiel genommen, um die Kehrseiten der Liberalisierung der Märkte zu untermalen. Man denke etwa an die Zerstörung der mexikanischen Agrarindustrie durch das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA, das massenhaft Klein-und Mittelbetriebe in den Ruin getrieben hat. Die Lektion aus solchen und ähnlichen Abkommen scheint seit langem klar: Der Freihandel zwischen ungleichen Partnern verheißt in der Regel nichts Gutes.

Auch zwischen der EU und Mexiko wird seit 2000 vermehrt Handel betrieben. Damals nämlich unterzeichnete die EU ein Abkommen, welches einen konsequenten Abbau der Zollschranken zur Folge hatte. Das Abkommen trug den ungleichen Kräfteverhältnissen zwischen den Partnern wenigstens etwas Rechnung. Doch wirft auch dieser Deal die Frage nach den großen Gewinnern und Verlierern solcher Abkommen auf.

Zwar hat sich Mexikos wirtschaftliche Lage seit den 1990er Jahren stabilisiert und der Staat gilt heute als aufstrebende Volkswirtschaft. Doch geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Drogen, Gewalt und Korruption sind Schlagwörter, die mittlerweile fester Teil des internationalen Images der lateinamerikanischen Nation ist. Das zeigen nicht zuletzt die vielen Skandale, die im Laufe der sechsjährigen Präsidentschaft von Präsident Peña Nieto aufgedeckt wurden. Im Wahljahr verhandelt Mexiko jetzt gleich mehrere Abkommen neu, darunter auch jenes mit der EU.

« Von Transparenz keine Spur »

Die EU ist der drittgrößte Handelspartner Mexikos, und Mexiko ist nach Brasilien der zweitgrößte Handelspartner der EU in Lateinamerika. 2017 wurden zwischen den beiden 62 Milliarden Euro an Waren und 2016 15 Milliarden Euro an Dienstleistungen gehandelt. Davon profitiert aber insbesondere die EU: Im letzten Jahr beliefen sich die Exporte nach Mexiko auf 37,9 Milliarden Euro – die Importe nach Europa jedoch nur auf 23,8 Milliarden.

Seit Monaten schon laufen die Verhandlungen für ein aktualisiertes Abkommen zwischen den Handelspartnern. Zu allgemeiner Überraschung kündigte die EU-Kommission Ende April an, die EU und Mexiko hätten nun eine grundsätzliche Einigung über ein neues Handelsabkommen erzielt. In anderen Worten: Der Weg für ein überarbeitetes, modernisiertes und erweitertes Freihandelsabkommen ist frei.

Die Nachricht sei überaus plötzlich gekommen, sagt der langjährige EU-Abgeordnete und designierte Staatssekretär in Luxemburgs Regierung, Claude Turmes (Déi Gréng). Mit Verweis auf den Politikstil des Kommissionspräsidenten und dessen erst kürzlich zum Generalsekretär der Kommission beförderten Kabinettschefs, spricht Turmes von einer „typischen Nacht- und Nebelaktion von Juncker-Selmayr“. „Da wurde mal wieder etwas durchgepeitscht. Von Transparenz keine Spur.“

Gegenmodell zur Abschottung der USA

Das erweiterte Abkommen sieht insbesondere eine weitere Öffnung der Märkte vor: Agrarprodukte sollen weitestgehend zollfrei gehandelt werden, die EU sichert sich Exklusivrechte für den Vertrieb von geografisch geschützten Produkten (etwa Parmaschinken oder Gouda-Käse), gleicht die Formalitäten für den Handel mit Industriegütern an und ermöglicht es europäischen Betrieben für öffentliche Aufträge in Mexiko mitzubieten.

Doch wieso musste, nachdem die Verhandlungen seit Monaten so zäh vorangingen, auf einmal alles so schnell gehen? Glaubt man der Kommission, hat die Einigung mit Mexiko nicht zuletzt einen symbolischen Wert: Während der US-Präsident Donald Trump die Zölle hochfahren und sich abschotten will, will die EU zeigen, dass sie Protektionismus konsequent ablehnt. Wie es die Handelskommissarin Cecilia Malmström kürzlich formulierte: Die EU sei „open for business“ und setzt mit dem Abkommen ein klares Zeichen gen Washington. „Wir wollen Barrieren beseitigen“, so Malmström vor der Brüsseler Presse.

Die Rolle von Mexikos Ölreserven

Das jedenfalls ist die Erklärung, die der Kommission schmeichelt. Ganz anders sieht das Claude Turmes, der eher die anstehende Präsidentschaftswahl als Beschleunigungsfaktor identifiziert. Am 1. Juli nämlich wird in Mexiko gewählt. Der linke Politiker der „Bewegung der Nationalen Erneuerung“ Andrés Manuel López Obrado wird als potentieller Nachfolger Peña Nietos gehandelt. „Die EU hat wohl Angst, dass dieser im Gegensatz zu Nieto eher die Interessen seiner mexikanischen Landsleute vertritt, als die der großen Konzerne.“

Im Klartext bedeutet das, dass die EU befürchtet, dass ein eventueller Regierungswechsel den eigenen Interessen und den Belangen der europäischen Unternehmen schaden könnte. So wäre es zum Beispiel denkbar, dass jene Reformen Nietos, von denen die europäischen Betriebe profitieren, rückgängig gemacht werden. Sind sie jedoch in einem bilateralen Abkommen verankert, ist das nicht mehr so einfach möglich.

Ein Paradebeispiel hierfür ist der Energiesektor, der 2014 im Rahmen umfassender Reformen liberalisiert wurde. Die Reformen erlaubten es privaten Unternehmen, sich an der fossilen Energiegewinnung und Stromerzeugung zu beteiligen und kippten somit das staatliche Erdölmonopol. Damit wurde für internationale Unternehmen zum Beispiel die fragwürdige Erdölgasgewinnung durch « Fracking » in Mexiko möglich – zuvor waren diese und andere Praktiken dem mexikanischen Ölkonzern PIMEX vorbehalten. Heute werden rund 42.000 Quadratkilometer in Mexiko durch Fracking erschlossen. Im September wurde indes ein großes Ölfeld vor der Küste des mexikanischen Bundesstaats Tabasco entdeckt. Laut Schätzungen belaufen sich die Ölreserven Mexikos auf bis zu zwei Milliarden Barrel.

Will sich die EU also noch schnell die eigenen Interessen sichern? Das jedenfalls glaubt Claude Turmes. In Anbetracht der Ankündigung der Kommission, dass neue Regeln sicherstellen sollen, dass „private Unternehmen unter gleichen Wettbewerbsbedingungen mit öffentlichen Unternehmen konkurrieren können” sowie dass „die Regierungen der EU-Länder bestehende staatseigene Unternehmen oder Monopole oder bestehende Rechte oder Privilegien beibehalten dürfen”, scheinen solche Sorgen nicht unbegründet. Mit Blick auf den Energiesektor erscheint zudem die Aussage der Kommission fragwürdig, dass das aktualisierte Handelsabkommen der nachhaltigen Entwicklung und dem Klimawandel zu Gute kommen werde.

Gefallen für die Automobilindustrie?

„Das Abkommen ist bloßes Konzernlobbying“, ergänzt Turmes. Der Grünen-Politiker glaubt, das neue Abkommen käme neben Energieunternehmen insbesondere den europäischen Autoherstellern zu Gute. Tatsächlich führt auch die Kommission die Automobilindustrie als einen der Sektoren an, die am meisten von der Erneuerung profitieren. Laut Kommission liegt das daran, dass die Formalitäten beim Handel mit Industriegütern abgebaut werden.

Laut Turmes ist das ein Scheinargument. Er betont: Es ist nicht der mexikanische Markt, an dem die Autohersteller interessiert sind. Vielmehr sei Mexiko ein Sprungbrett, um sich am US-amerikanischen und kanadischen Markt zu beteiligen. „In Mexiko kann man billig produzieren, die Löhne sind noch niedriger als in China. Kommissionspräsident Juncker betont immer, als Sohn eines Stahlarbeiters lägen ihm die Rechte von Arbeitern besonders am Herzen. Doch um die Rechte der mexikanischen Arbeiter macht er sich keine Gedanken. Sie halten als ‚cheap labour’ für unsere Autokonzerne her.“

Kein neues Problem

Eins versäumt Turmes jedoch: Das ist kein neues Problem. Der Automobilmarkt ist bereits durch das alte Abkommen liberalisiert. Tatsächlich befindet sich etwa die größte Fabrik des deutschen Automobilherstellers Volkswagen außerhalb Europas in Puebla, Mexiko. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) bestätigt auf Nachfrage von REPORTER: Mexiko ist ein wichtiger Produktionsstandort für die deutsche Automobilindustrie. Die Produktion sei auf einem Höhepunkt und aktuell würden weitere Kapazitäten geschaffen.

Alleine 2017 haben deutsche Hersteller in Mexiko 620.000 Fahrzeuge (Light-Vehicle) produziert. Zum Vergleich: Die Exporte von Deutschland nach Mexiko lagen 2017 nur bei 34.000. Interessant ist Mexiko also ganz klar als Produktionsstandort, nicht aber als Importeur von Fahrzeugen. Auf die Frage, wo die Fahrzeuge, die in Mexiko produziert werden, vertrieben werden, gab die VDA keine Antwort. So bleibt die Frage ob die Angleichung der Standards helfen könnte, die Automobile in Mexiko billig herzustellen und sie dann in die EU zu importieren, offen.

Unklar ist ebenso wie es in Sachen Export nach Kanada oder in die USA aussieht und ob die nordamerikanischen Staaten zukünftig noch als Abnehmer zur Verfügung stehen. Zeitgleich zum europäisch-mexikanischen Abkommen, verhandelt Mexiko nämlich auch das Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA neu. Insbesondere angesichts der protektionistischen Haltung der Trump-Regierung ist unklar, ob die Zölle nicht wieder steigen werden.

Luisa Santos von « BusinessEurope » vermutet hinter der Einigung vor allem strategische Gründe. Im Gespräch mit REPORTER betont sie: „Wir können nicht auf NAFTA warten.“ Würde die EU den Nordamerikanern zuvorkommen, könne das auch Vorteile haben. „So kann die EU NAFTA womöglich zu ihrem Vorteil beeinflussen.“

Wo bleiben die kleinen Betriebe?

Während Claude Turmes betont, dass das aktualisierte Abkommen „reines Konzernlobbying“ sei, differenziert Luisa Santos: Besonders Klein-und Mittelbetriebe könnten etwa von der Liberalisierung des Landwirtschaft-Marktes profitieren. Und auch die geplanten Maßnahmen für mehr Transparenz würden ihnen zu Gute kommen. Das bezweifelt Turmes. Der Agrarsektor sei entgegen der Behauptungen der Kommission nicht der wichtigste Punkt des Abkommens. Und die Bestrebungen zu mehr Transparenz seien nicht mehr als halbherzige Floskeln. Gerade aufgrund der Korruption hätten kleine und mittlere Betriebe wenig Möglichkeiten, sich in Mexiko niederzulassen.

Daran würde wohl auch das geplante Kapitel zur Korruptionsbekämpfung, welches von der Kommission als großer Trumpf gepriesen wird, nichts ändern. Das Problem fange für die Betriebe schon bei der Zahlung von Schutzzöllen an. „Es geht nicht um fairen Handel. Die EU will sich höchstens noch einen Absatzmarkt für pestizidverpestete Produkte sichern“, so der Abgeordnete im EU-Parlament.

Auch Luisa Santos räumt ein: Mehr Transparenz wäre gut, doch die Bekämpfung der Korruption dürfe nicht das Hauptaugenmerk eines Freihandelsabkommens sein. „Handelsabkommen sollten nicht dazu dienen, eine andere Agenda voranzutreiben, und auf einmal profitiert jeder außer die Unternehmen. Um den Handel soll es gehen.“

Eines zeichnet sich jedenfalls ab: Obwohl EU-Landwirtschaftskommissar Phil Hogan betont, dass das aktualisierte Abkommen eine Win-Win-Situation sei, sind die Gewinner wohl eher die großen Fische. Es ist jedoch fragwürdig ob und inwiefern die mexikanischen und europäischen Bürger vom neuen Abkommen profitieren werden. Bis auf Weiteres heißt es: Auf den finalen Text warten, der anschließend von den EU-Handelsministern, dem EU-Parlament und den nationalen Parlamenten abgesegnet werden muss. Trotz der überraschend schnellen Einigung zwischen der EU-Kommission und Mexiko ist der Weg bis zum finalen Abkommen also noch weit.