Warum ist London so attraktiv für ausländisches Geld aus zweifelhaften Quellen? Der Krieg in der Ukraine hat zwar einiges verändert, aber die Probleme liegen tiefer. Die jahrelange Begünstigung russischer Oligarchen trifft nämlich den Kern des britischen Rechtsstaates.
Ein Originaltext aus dem „Economist“ *
Seit Jahren wird London mit russischem Geld überschwemmt, vieles davon stammt aus verdächtigen Quellen. Reiche Russen strömen aus unterschiedlichen Gründen in die Hauptstadt. Einige davon suchen nach einem sicheren Ort für ihren legitimen Reichtum, manche wollen Steuervorteile nutzen. Andere wollen schmutziges Geld waschen oder ein Vermögen rezyklieren, das, wenn schon nicht völlig kriminell, so doch für westliche Begriffe durch Korruption erworben wurde.
Mit einem riesigen Finanzplatz und einer Tendenz zu laxen Rechtsvorschriften war Großbritannien ein idealer Ort, um dieses Geld zu waschen. Das Land ist bekannt dafür, dass es ausländische Investitionen in Prestigeobjekte, wie zum Beispiel Zeitungen oder Fußballclubs, locker behandelt. In London gibt es massenhaft Luxusimmobilien, ein ideales Mittel, um große Mengen Bargeld, das gewaschen werden soll, unterzubringen. Anwälte, Banken und andere Branchen bieten recht diskrete, aber auch teure Dienstleistungen an. Hinzu kommen erstklassige Schulen und Universtäten. Die „National Crime Agency“ (NCA) schätzt, dass das Land ein Geldwäscheproblem von 100 Milliarden Pfund (oder 117 Milliarden Euro) pro Jahr hat.
Roter Teppich für Oligarchen
Die einzelnen britischen Regierungen haben kaum etwas getan, um den Zufluss aus Russland zu regulieren. Das hat sich durch den Krieg in der Ukraine jedoch abrupt geändert. Großbritannien hat über 1.600 Privatpersonen und Firmen mit Sanktionen belegt, darunter über 100 Oligarchen und deren Familienmitglieder, die unter der Kleptokratie von Präsident Wladimir Putin reich wurden oder ihn hofierten, um ihr Vermögen zu schützen. Ein lange verzögertes Gesetz gegen Wirtschaftsverbrechen, das eine Verfolgung von internationalen Korruptionsfällen erleichtert, wurde im März eilig durch das Parlament gebracht, weniger als drei Wochen, nachdem russische Truppen in die Ukraine einmarschiert waren. Damit wurde das von der Regierung unter Sir John Major 1994 eingeführte Visasystem für Investoren abgeschafft, das es jedem Ausländer, der ein paar Millionen Pfund übrig hatte, ermöglichte, nach einigen (wirklich einfachen) Kontrollen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erwerben.
Den roten Teppich für die russischen Oligarchen gibt es nun nicht mehr. Aber von dem Spitznamen „Londongrad“ der Hauptstadt loszukommen, ist einfacher, als den gesamten Zustrom von schmutzigem Geld nach Großbritannien einzudämmen. Das Land hat sich seit Jahrzehnten bemüht, ungebundenes globales Kapital anzulocken, nicht nur aus den ehemaligen Sowjetrepubliken. Ein Drittel aller Visa für Investoren, die seit 2008 erteilt wurden, ging an chinesische Staatsbürger. Außerdem sind auch die noblen Eigenheiten des britischen Rechtssystems, zu denen unabhängige Gerichte und strenge Eigentumsregeln gehören, für kriminelle Akteure attraktiv. „Schmutziges Geld sucht sich häufig den gleichen Schutz wie sauberes Geld. Wenn man seinen Reichtum gestohlen hat, ist man jedenfalls bemüht, ihn sich nicht von anderen wieder stehlen zu lassen“, sagt Jason Sharman, Politikwissenschaftler an der Cambridge University.
Daher wird es schwierig, den Zustrom von schmutzigem Geld in das Land einzudämmen. Dazu sind besondere Maßnahmen in vier Bereichen erforderlich: das allgemeine Recht; das Verhalten jener, die es praktizieren; die Gerichte und vor allem die Durchsetzung der Rechtsvorschriften.
Attraktive Gesetzgebung
Beginnen wir mit dem Recht. Obwohl die Kleptokraten Orte mögen, an denen Rechtsstaatlichkeit herrscht, legen sie ihr Geld gerne dort an, wo das Finanzgeheimnis streng beachtet wird. Da liegen sie bei Großbritannien nicht so falsch. Es war das erste Land der G20, das 2016 ein öffentliches Register für die wirtschaftlichen Eigentümer von Gesellschaften einführte. Wer jedoch falsche (oder keine) Angaben macht, wird nur selten ertappt. Und wenn doch, sind die Strafen nicht drastisch. Es ist nach wie vor leicht und billig, undurchsichtige Firmen zu gründen. In seinem neuen Buch „Butler to the World“ beschreibt Oliver Bullough, wie sich „Scottish limited partnerships“ bei Personen, die schmutziges Geld aus der ehemaligen Sowjetunion waschen, als besonders populär erwiesen haben. Zudem bleibt Großbritannien sehr eng mit seinen überseeischen Gebieten, etwa den Britischen Jungferninseln, verbunden, deren Geschäftsmodell auf der finanziellen Verschwiegenheit beruht.
Ein weiterer Anziehungspunkt für lichtscheue Personen ist die britische Gesetzgebung in Verleumdungssachen. Beliebt ist Großbritannien bei „Verleumdungstouristen“ mit schwachen Bindungen an das Land, die ihre Fälle vor britische Gerichte bringen, weil sie glauben, dort eine bessere Chance zu haben. Das Diffamierungsgesetz von 2013 sollte dieses Problem lösen, aber clevere Anwälte hätten den vom Parlament verfolgten ursprünglichen Zweck „angekratzt“, sagt Caroline Kean von der Anwaltskanzlei Wiggin. Beispielsweise sollte mit dem Gesetz eine Verteidigung im öffentlichen Interesse, die sich durch das Fallrecht entwickelt hatte, kodifiziert werden. Damit sollte der Schutz von Journalisten, die „vernunftgemäß glaubten“, dass ihre Artikel wahr seien, verstärkt werden.
Für die Anwälte von Oligarchen waren diese beiden Wörter ein gefundenes Fressen. „Wenn es um das Motiv geht, können clevere Anwälte ihre Gegner leicht kleinkriegen“, sagt Caroline Kean. Die von diesen Anwälten verfolgte Taktik ist ständig verfeinert worden. Sie sieht vor, dass einschüchternde lange Schreiben an Journalisten oder NGOs, die gegen ihre Mandanten ermitteln, verschickt werden, um sie zum Rückzug zu veranlassen. Das geschieht typischerweise nicht mit juristischen Argumenten (die häufig dürftig sind), sondern durch den Hinweis auf horrende Kosten, die durch das Gerichtsverfahren, oder nur durch dessen Androhung, entstehen würden.

Die Regierung hat Reformen vorgeschlagen, um das Kostenargument zu entkräften. Dazu gehören die Verteidigung im öffentlichen Interesse, die Begrenzung der Kosten, die Kläger einfordern können, und die Möglichkeit für die Richter, unberechtigte Rechtssachen früher abzuschließen. Mitglieder der Antikorruptionsbewegungen und ein amerikanischer Kongressabgeordneter haben das Verbot der Visa und andere Sanktionen gegen Anwälte gefordert, die für zwielichtige Plutokraten arbeiten. Einige der Firmen, denen ein solches Handeln vorgeworfen wird, darunter Carter-Ruck und Harbottle & Lewis, dementierten in einer Stellungnahme, dass sie sich nicht angemessen verhalten hätten.
Allerdings haben Anwälte noch eine weitere Waffe. Mit innovativen juristischen Argumenten benutzen sie zunehmend britische Rechtsvorschriften über Privatsphäre und Datenschutz, um Verfahren gegen Verleumdung anzustrengen. Dabei machen sie geltend, dass angebliche Verstöße gegen den Schutz der Privatsphäre dem Image ihrer Mandanten in der Öffentlichkeit schaden würden. Eine Klage von zwei Oligarchen gegen HarperCollins wegen des Buches „Putins People“ von Catherine Belton wurde mit Argumenten des Datenschutzes begründet. Einige Strafverteidiger sind bereits der Ansicht, dass die Privatsphäre die Verleumdung als neuer Klagegrund ablösen werde.
Flexible Moralvorstellungen
Wenn das allgemeine Recht ein Grund zur Besorgnis ist, dann liegt ein weiterer Grund darin, was Anwälte für ihre Mandaten zu tun bereit sind. « Es gibt ein allgemeineres Problem des Abbaus der moralischen Standards bei den britischen Anwälten », sagt Robert Barrington vom Zentrum für Korruptionsstudien der University of Sussex. „Das Rechtssystem begünstigt seit jeher die Leute mit den meisten Ressourcen. Doch durch das Geld der Oligarchen und Kleptokraten, die keine vernünftige Prüfung der Sorgfaltspflicht („due diligence“) bestehen würden, wird die Situation noch schlimmer. » Einige der reichsten russischen Mandanten zahlen heute mehr als das Doppelte des üblichen Stundentarifs von 500 Pfund für Spitzenanwälte. „Dadurch sind die moralischen Standards vieler Anwaltskanzleien über den Haufen geworfen worden“, so Robert Barrington weiter.
Diese Probleme wurden von einem allgemeinen Trend weiter verschärft. Gemäß dem alten Standesmodell kam der Mandant zwar an erster Stelle, doch nahmen Anwälte auch ihre Rolle als „Gerichtsbeamte“ ernst, die dem gesamten Justizsystem dienen sollte. Im vergangenen Vierteljahrhundert hat sich die Rechtsbranche jedoch mehr auf kurzfristige finanzielle Performance konzentriert. Die großen Firmen wurden „korporativer“, weniger stabil (durch zunehmende Abwerbung) und ihre kulturelle Kohäsionskraft nahm ab. „Dadurch wurde der Vorrang des Mandanten im Vergleich mit den Pflichten gegenüber der Justiz weiter begünstigt“, erklärt Richard Moorhead, Rechtswissenschaftler an der University of Exeter.
„Schmutziges Geld sucht sich häufig den gleichen Schutz wie sauberes Geld. Wenn man seinen Reichtum gestohlen hat, ist man jedenfalls bemüht, ihn sich nicht von anderen wieder stehlen zu lassen. » Jason Sharman, Cambridge University.
Manche Anwälte rechtfertigen ihre Arbeit für die Oligarchen mit dem Recht auf Vertretung, das in den Grundprinzipien betreffend die Rolle der Rechtsanwälte der Vereinten Nationen festgelegt ist. In Wirklichkeit bestehen hier unterschiedliche Rechte. In Artikel 14 der Grundprinzipien heißt es, dass der Anwalt bestrebt sein muss, „die … Menschenrechte zu wahren“ und „jederzeit unabhängig und sorgfältig im Einklang mit dem Recht, den anerkannten Verhaltensregeln und Ehrenpflichten des Anwaltsstandes zu handeln.“ Im Unterschied zu Ärzten, von denen erwartet wird, dass sie auch den schlimmsten Verbrecher behandeln, wenn er eine medizinische Behandlung benötigt, können Anwälte sich aussuchen, wem sie ihre Dienste anbieten.
Die Auffassung der Anwälte, wie sie sich verhalten sollten, sei besonders in Großbritannien wichtig, erklärt Robert Barrington, weil das britische Justizsystem auf der Selbstregulierung ihres Verhaltens beruhe. „Eine der positiven Seiten unseres Systems besteht darin, dass es eine lange Tradition der ‚checks and balances’ aufweist. Es wurde gerade von den Anwälten bewahrt und unterstützt. Nun sehen wir, was geschieht, wenn diese Standards umgekehrt werden.“
Wer aber erwartet, dass sich der Gesetzgeber um den moralischen Niedergang kümmert, wird wohl enttäuscht werden. Angesichts der zunehmenden Klagen über Anwälte, die russisches Geld annehmen, hat die „Solicitors Regulation Authority“ (SRA) mehr Stichproben in der Branche versprochen. Allerdings ist der hybride Status der SRA – sie ist ein unabhängiger Arm des Branchenverbands „Law Society“ – nicht dazu angetan, Vertrauen aufzubauen. Obwohl sie Strafen bis 250 Millionen Pfund verhängen kann, beträgt die bisher höchste Strafe gerade einmal 232.500 Pfund, und zwar gegen die Kanzlei Mishcon de Reya für Verstöße gegen Anti-Geldwäsche-Regeln.
Leichtgläubige Richter
Der dritte problematische Teil des britischen Rechtssystems sind seine Gerichte. Britische Richter haben insgesamt einen guten Ruf, aber sie können in Fällen versagen, die mit Reichtum zu tun haben, der in Ländern mit weniger rechtsstaatlichen Systemen erworben wurde. Insbesondere messen sie fragwürdigen Beweisen, die von den Behörden anderer Staaten stammen, bisweilen eine ungebührliche Bedeutung zu. „Die Richter sind zu leichtgläubig“, sagt ein britischer Anwalt. „Sie nehmen häufig Zeugenaussagen, Finanzdokumente und sonstige Beweisstücke von zwielichtigen Regierungen allzu wichtig, weil sie ‚offiziell‘ scheinen. Dies hat wesentliche Folgen, weil viele Oligarchen Verbindungen zu Personen haben, die in diesen Ländern noch Macht besitzen und daher die Informationen für die hiesigen Gerichte kontrollieren oder manipulieren können.“
Im April 2020 wehrten sich zwei Verwandte des ehemaligen Präsidenten Kasachstans, Nursultan Nazarbayev, erfolgreich gegen einen Versuch der NCA, drei Londoner Häuser im Wert von über 80 Millionen Pfund zu beschlagnahmen, die nach Ansicht der Behörde mit schmutzigem Geld erworben worden waren. Ein im vergangenen März veröffentlichter Bericht von auf internationale Korruption spezialisierten Forschern der University of Exeter bezeichnete das Urteil als fehlerhaft, weil die betreffende Richterin „Beweisstücke von kasachischen Behörden zugelassen hatte, die wahrscheinlich durch politische Einflussnahme manipuliert waren“. Außerdem wurde in dem Bericht erwähnt, dass sie nicht nach den Gründen gefragt habe, warum Dariga Nazarbayeva, die Tochter des Ex-Präsidenten, und ihr Sohn, komplexe Strukturen an Offshore-Firmen unterhielten.
Die britische Justiz leidet auch unter einem Mangel an Transparenz. Obwohl viele Verhandlungen öffentlich sind, ist es oft schwierig, vorher herauszufinden, wann und wo sie stattfinden. Informationen über Fälle, darunter auch Protokolle, sind schwer und teuer zu beschaffen. Ganz anders ist dies etwa in den USA, wo ganze Protokolle und andere Dokumente von Rechtssachen rasch und günstig (für 10 Cents pro Seite, mit einer Obergrenze von drei US-Dollar pro Dokument) in benutzerfreundlichen öffentlichen Datenbanken verfügbar sind.
Ein weiterer Grund zur Sorge über das britische Justizsystem sind die Verfahrenskosten für die Prozessparteien. Auch hier gilt in Großbritannien – im Gegensatz zu den USA – die „Kostenverschiebung“, bei der der Verlierer eines Prozesses einen Teil oder alle Kosten des Gewinners übernehmen muss. Dadurch wird das System zugunsten von sehr reichen Leuten verändert, die kein Problem haben, auch die Rechnung eines Prozessgegners zu begleichen.
Überforderte Behörden
Ein weiterer Effekt ist die Steigerung der Anwaltskosten. „Manche Anwälte können sich veranlasst sehen, riesige Beträge in Rechnung zu stellen, weil sie den Mandanten erklären, dass die Gegenseite bezahlen muss, wenn sie den Prozess gewinnen“, sagt Frederick Wilmot-Smith, Rechtsanwalt und Autor des Buches „Equal Justice“, das Ungerechtigkeiten in Rechtssystemen behandelt. „Dadurch wird ein Wettlauf bei den Anwaltsgebühren gefördert. Führende Londoner Anwaltskanzleien sollen schon 70.000 Pfund für eine einzige Gerichtsverhandlung in Rechnung gestellt haben.

Hohe Tarife und Kostenverschiebungen schrecken die Plutokraten nicht ab, die sich regelmäßig auch gegenseitig vor englischen Gerichten verklagen und sich nicht um die Kosten kümmern. Doch sogar in nicht allzu komplexen Zivilprozessen, meint Frederick Wilmot-Smith, „würde sich kein vernünftiger Mensch, der weniger als ein Dutzend Millionen schwer ist“, einem Gerichtsurteil aussetzen. Der Jurist ist der Auffassung, dass das englische Rechtssystem eher wie das Gesundheitssystem aufgebaut sein sollte, indem die Verbindung zwischen den Gerichtskosten und den Anwaltskosten abgeschafft würde.
Die Kostenverschiebung belastet nämlich nicht nur die privaten Prozessparteien, sondern auch die Behörden. Die NCA verzichtet etwa häufig darauf, grenzüberschreitende Korruptionsaffären zu verfolgen, weil sie befürchtet, im Verlustfall einen erheblichen Teil ihres Budgets für die Gerichtskosten aufwenden zu müssen. Ein ehemaliger NCA-Ermittler erzählt, „seine Vorgesetzten hätten fast einen Herzanfall bekommen“, als er in einem Korruptionsfall mit Verbindungen nach Nigeria über eine Milliarde US-Dollar beschlagnahmen lassen wollte. Sie schreckten letztlich davor zurück, weil sie befürchteten, dadurch könne „unser gesamter Haushalt draufgehen“.
Die Fallunterlagen wurden stattdessen einem Staatsanwalt in Italien übergeben, der den Fall vor Gericht brachte (eine der beteiligten Firmen stammte aus Italien). Die „Guardia di Finanza“, die mit genügend Haushaltsmitteln und rund 60.000 Mitarbeitern ausgestattet ist, verbesserte ihre Fähigkeiten, indem sie sich an Schwarzgeldrouten der Mafia orientierte. Auch die USA mit ihren riesigen, der Kleptokratie angepassten Budgets und ihrer Tradition der aggressiven Strafverfolgung ist Großbritannien bei der Bekämpfung von schmutzigem Geld weit voraus.
Hindernisse beim Vollzug
Die Vollstreckung ist schließlich der vierte und wichtigste Teil des Puzzles, das die Regierung lösen muss. Das Gesamtbudget für die Bekämpfung von Wirtschaftsverbrechen beträgt in Großbritannien, laut Angaben der NGO „Spotlight on Corruption“, bescheidene 850 Millionen Pfund. Davon entfallen lediglich 43 Millionen auf die Bekämpfung von internationaler Korruption, Bestechung und dergleichen, schätzt Robert Barrington vom Zentrum für Korruptionsstudien der University of Sussex. Kein Wunder also, dass nur wenige große Fälle verfolgt werden können. Zwischen 2016 und 2021 konnte die NCA keine einzige Verurteilung wegen hochrangiger internationaler Korruption sicherstellen.
Sie erreichte zwei bedeutende Beschlagnahmungen von Vermögenswerten durch den Einsatz von „ungeklärten Vermögensverordnungen“ („unexplained wealth orders“, kurz: Uwos), doch auch dieses neue Instrument hat sich als Enttäuschung erwiesen. Großbritannien hat die Uwos 2017 als Mittel eingeführt, um in Fällen von Kleptokratie und organisiertem Verbrechen Ergebnisse zu erzielen. Doch kann es recht schwer zu beweisen sein, dass das Geld auf einem Bankkonto aus Korruption stammt oder dass ein Anwesen mit aus Korruption stammendem Geld bezahlt wurde. Nun muss der Beweis erbracht werden, dass die Vermögenswerte mit sauberem Geld erworben wurden, oder es droht die Beschlagnahmung. Doch obwohl man sich bis zu 20 Uwos pro Jahr erhoffte, wurden bisher lediglich vier erlassen. Und keine davon betraf eine prominente russische Person.
Die Mängel beim Vollzug (…) haben dazu geführt, dass in der Praxis nicht viel geschehen ist, um zu verhindern, dass kleptokratischer Reichtum und politische Agenden in Großbritannien Einzug halten. »Thinktank „Chatham House“
Als die beiden Uwos der NCA gegen Dariga Nazarbayeva und ihren Sohn gekippt wurden, ergaben sich Gerichtskosten von 1,5 Millionen Pfund, etwa ein Drittel des Jahresbudgets der Agentur für internationale Korruptionsfälle. Um dieses Problem anzugehen, hat das neue Gesetz über Wirtschaftsverbrechen eine Kostenobergrenze vorgesehen, falls eine Uwo aufgehoben werden sollte. Nach Ansicht des ehemaligen Leiters der Korruptionsabteilung der NCA, Jonathan Benton, besteht eines der Hindernisse, mit denen Staatsanwälte in solchen Fällen konfrontiert sind, in der Unschlüssigkeit der Richter bezüglich der rechtlichen Begründung der Uwos, die „wegen der schwierigen Strafverfolgung verständlich, aber mit dem Prinzip der Unschuldsvermutung nur schwer zu vereinbaren ist“.
Der Mangel an Vollzugsressourcen beeinträchtigt die Qualität des Personals und der Technologie, die heutzutage für die Ermittlungen äußerst wichtig sind. Finanzprüfer im mittleren Dienst der NCA verdienen ungefähr das gleiche Geld wie Streifenpolizisten, sagt Jonathan Benton. Zu seiner Zeit mussten manche Umsteiger von der Polizei sogar Gehaltseinbußen hinnehmen. Auch die Struktur des Vollzugs ist suboptimal. Großbritannien besitzt keine übergeordnete Behörde für seine Antikorruptionsmaßnahmen. In einer Studie von 2016 wurden 66 getrennte Agenturen für „Spezialvollzug, Prävention, Ermittlungen und Überwachung“ aufgelistet, die an der Behandlung von korruptionsbezogenen Straftaten beteiligt waren; dazu kamen noch 45 regionale Polizeidienste.
Geschwächter Rechtsstaat
Die Strafen für Banken, Anwälte und andere „Enabler“ des schmutzigen Geldes sind kaum der Rede wert. Sogar bei Banken liegen die Strafen für Verstöße gegen die Anti-Geldwäsche-Regeln selten höher als einige Dutzend Millionen Pfund, was für viele von ihnen nicht mehr als Kleingeld ist. Anwälte, die ein Auge zudrücken, müssen höchstens damit rechnen, dass man ihnen auf die Finger klopft. Einige britische Immobilienagenten, die für einen Dokumentarfilm mit versteckter Kamera gefilmt wurden, schienen nichts dabei zu finden, dass der „Käufer“ sagte, er werde mit Geld bezahlen, das aus dem russischen Staatshaushalt abgezweigt worden sei.
Ein Bericht des Thinktanks „Chatham House“ von 2021 trug den Titel „The UK’s kleptocracy problem“. Darin wurde beschrieben, wie Großbritannien einen „risikobasierten“ Ansatz für die Bekämpfung der Geldwäsche verfolgt, bei dem viele der primären Überwachungsmaßnahmen an Banken, Anwälte oder sonstige Akteure des Privatsektors delegiert werden. Eine Schlussfolgerung lautet: „Die Mängel beim Vollzug und bei der Durchsetzung des Rechtes – sowie die Nutzung von Schlupflöchern durch professionelle Helfershelfer – haben dazu geführt, dass in der Praxis nicht viel geschehen ist, um zu verhindern, dass kleptokratischer Reichtum und politische Agenden in Großbritannien Einzug halten.“
Das Fazit dieser ganzen Entwicklung wird in dem Untertitel des Berichts auf den Punkt gebracht: „Wie die Begünstigung der postsowjetischen Eliten die Rechtsstaatlichkeit schwächt.“ Nun haben sich die britischen Behörden von Wladimir Putin und seinen Spießgesellen abgewandt. Die Risse im Fundament des britischen Rechtssystems, die den Zustrom russischer Gelder nach London ermöglicht haben, werden allerdings nur schwer abzudichten sein.
* Dieser Artikel basiert auf einem Originaltext aus dem „Economist“, den Reporter.lu im Rahmen einer Syndizierungspartnerschaft veröffentlicht.
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From The Economist, translated by Hermann J. Bumb, published under licence. The original article, in English, can be found on www.economist.com