Bei den Europawahlen glänzen die etablierten Parteien mit ihrem großen Engagement für das Klima. Ganz gleich welche Vision von Europa sie vertreten – alle wollen den Planeten retten. Doch ein Blick auf das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten lässt Zweifel aufkommen.

Grün ist in. In Brüssel schießen Politiker Selfies mit der Klimaaktivistin Greta Thunberg. In Luxemburg mischen sie sich bei Klimademos unter Schüler und Studenten. Im Zuge des Europa-Wahlkampfs engagieren sich längst nicht nur die Grünen für Klima- und Umweltschutz. Glaubt man den Worten, so wollen alle Parteien den Planeten retten.

Die DP will „dem Klimawandel den Kampf ansagen“. Für die Sozialisten soll Europa „unbedingt erneuerbar“ sein. Und die CSV will ohnehin so „cool“ sein wie die Grünen, um es in den Worten des Parteipräsidenten Frank Engel auszudrücken.

Dabei ist der Klimawandel schon seit geraumer Zeit kein Nischenthema mehr. Längst ist bekannt, dass Industrienationen Produktion und Konsum von Grund auf umstellen müssen, um die Erderwärmung zu begrenzen. Das Pariser Klimaabkommen, das als Durchbruch für den Klimaschutz gilt, ist immerhin schon vier Jahre alt.

Mit der Juncker-Kommission wurden die Begriffe « nachhaltig » und « klimafreundlich » auch auf europäischer Ebene zum Dauerbrenner. Dennoch glich die Festlegung ambitiöser Ziele in der letzten Legislaturperiode des Öfteren einem Kraftakt. Der Kommission fehlte es oft an Mut. Der Rat blockierte mehrmals. Und im Parlament dominierten konservative Stimmen. Auch die luxemburgischen Abgeordneten stimmten nicht immer so grün, wie es ihre einhellige Rhetorik vermuten lässt. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Luxemburgs Abgeordnete sind „Verzögerer“

Während den Plenarsitzungen stimmen die Abgeordneten im Europäischen Parlament fast im Sekundentakt über Gesetzestexte und Änderungsvorschläge ab. Wie ehrgeizig die Texte sind, hängt zumeist davon ab, welche Änderungen die Abgeordneten durchwinken, oder ablehnen: Sollen LKWs 35 oder 32 Prozent CO2 einsparen? Dürfen EU-Zuschüsse auch für fossile Energien gelten? Bei Detailfragen, welche die Auslegung eines Vorschlags maßgeblich beeinflussen, zählt oft jede Stimme.

Doch laut einer Studie des Dachverbandes für Umweltorganisationen « Climate Action Network » (CAN) waren Luxemburgs EU-Parlamentarier in der letzten Legislaturperiode keine Vorreiter in Klimafragen. Das Netzwerk hat die Abgeordneten danach bewertet, wie sie sich zu Klimavorschlägen positioniert haben. Etwa bei Abstimmungen zum EU-Emissionshandelssystem, dem Ausbau der erneuerbaren Energien oder noch zu Emissionsnormen für PKWs.

Mit Ausnahme von Claude Turmes/Tilly Metz  (déi gréng/Grüne-FEA) und Mady Delvaux (LSAP/S&D) sieht CAN die Luxemburger Abgeordneten als « Verzögerer »: Als solche glauben sie zwar, dass es wichtig ist, gegen den Klimawandel zu kämpfen. Doch sie handeln nicht mit der nötigen Dringlichkeit.

EVP laut Studie besonders klimafeindlich

Am « klimafeindlichsten » haben laut der Studie die CSV-Politiker abgestimmt. Sie kommen nur auf 35 Prozent in der Klima-Skala. „Damit haben die Luxemburger aber noch den besten Schnitt innerhalb der EVP“, sagt der Mitverfasser der Studie, Klaus Rohring, im Gespräch mit REPORTER. Tatsächlich hat die EVP mit 14 Prozent neben den rechtskonservativen Fraktionen am schlechtesten abgeschnitten. CAN bezeichnet die größte Fraktion im EU Parlament als „Dinosaurier“, der eine ehrgeizige europäische Umwelt- und Klimapolitik verhindert.

Die Studie ist zwar nur eine Momentaufnahme. Da sie sich aber an jenen Vorschlägen orientiert, die für die Umweltorganisationen von besonderer Wichtigkeit waren, liefert sie zumindest Hinweise darüber, wie glaubwürdig die Parlamentarier in diesem Politikbereich sind. Die Ergebnisse decken sich zudem mit ihrem Abstimmungsverhalten in weiteren Umweltfragen.

Es hat keinen Sinn, eine maximalistische Position einzunehmen, wenn die Ziele im Endeffekt nicht realisierbar sind. »Frank Engel

Ein Beispiel: Im Oktober 2016 stimmte das Parlament über eine Resolution zur Position der EU im Vorfeld der Weltklimakonferenz COP22 in Marrakesch ab. Eine Änderung betraf den Ausstieg aus fossilen Energien. Die damaligen CSV-Abgeordneten in Brüssel, Georges Bach, Frank Engel und Viviane Reding, stimmten dagegen.

Im Februar 2017 stand etwa die Reform des Emissionshandelssystems zur Abstimmung. Das System gilt als zentrales Element zum Erreichen der Energie- und Klimaziele der EU, da es Kraftwerke und Industrieanlagen dazu verleiten soll, umweltfreundlicher zu produzieren. Eine Verschärfung der jährlichen CO2-Reduktionsrate um 2,4 Prozent wurde im Plenum abgelehnt – unter den Gegnern waren wiederum Bach, Engel und Reding.

CSV setzt sich für realistische Ziele ein

Christophe Hansen, der im vergangenen September für Viviane Reding ins Parlament nachgerückt ist, hat sich zwar im Umweltausschuss für strenge Vorgaben bei der Reduzierung von Einwegplastik starkgemacht. Auch er fällt auf den ersten Blick aber nicht durch progressive Abstimmungen aus dem CSV/EVP-Raster. Im März blockierte er zum Beispiel eine Änderung, die dazu aufrief, die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren. Georges Bach (CSV) und Charles Goerens (DP) unterstützten den Vorschlag.

« Es hat keinen Sinn, eine maximalistische Position einzunehmen und immer für die allerstrengsten Ziele zu stimmen, wenn diese im Endeffekt nicht realisierbar sind », sagt Frank Engel auf Nachfrage von REPORTER. « Ich will etwas bewegen. Doch dafür brauchen wir Vorschläge, die wir umsetzen können ».

Die CSV-Abgeordneten (v.l.n.r.) Georges Bach, Frank Engel und Christophe Hansen, gehören im Europäischen Parlament nicht zu den stärksten Verfechtern ambitionierter Klimaziele. (Foto: Europäische Union 2018)

So sieht es auch Christophe Hansen. Er führt Luxemburg als Beispiel an: Das Großherzogtum sei das Schlusslicht beim Anteil von erneuerbaren Energien, wolle die Zielvorgaben aber immer höher ansetzen. « Es muss auch eine Strategie dahinter stehen, wie wir die Ziele erreichen können, die wir uns setzen wollen », sagt der Spitzenkandidat der CSV bei den anstehenden Europawahlen.

Im Wahlprogramm der Christsozialen sucht man diese Strategie allerdings vergebens. Die Vorschläge bleiben vage, keine der Vorgaben wird konkret beziffert, Lösungsvorschläge sind im Konjunktiv verfasst. Die « klaren Auffassungen » der CSV in der Umwelt- und Klimapolitik, von denen Fraktionschefin Martine Hansen vor wenigen Wochen sprach, sind im Programm nicht so leicht aufzuspüren.

« Nëmme Gepiddels »

Neben den CSV-Politikern bremste auch DP-Spitzenkandidat Charles Goerens  in den letzten fünf Jahren regelmäßig die Festlegung hoher Zielvorgaben – etwa bei Vorschlägen bezüglich der Energieeffizienz oder dem Anteil erneuerbarer Energien. Beim Bericht über die Energieunion stimmte der Liberale gegen eine Aufhebung von Zuschüssen für fossile Energien.

Dass der DP-Spitzenkandidat gerade in diesen Dossiers blockierte, mag überraschen: In ihrem Programm für die Europawahlen plädiert die Partei nämlich für die Energiewende, also die Abkehr von fossilen Energien und die Dekarbonisierung der Wirtschaft.

Weder der Kontext, noch die Gründe hinter unserem Abstimmungsverhalten werden erwähnt.“Charles Goerens

Goerens sieht darin jedoch keinen Widerspruch. „Ich bin für wirkungsvolle Alternativen“, betont er auf Nachfrage. Er fordert eine Klimastrategie, die alle Staaten – und nicht nur die EU28 – mit ins Boot nimmt. « Wir müssen aufhören, zu glauben, dass die EU alleine etwas verändern kann. » Goerens bezieht sich auf den UN-Klimaexperten Geoffrey Sachs, der für eine grundlegende Umstellung der Energieproduktion plädiert. Alles andere sei unrealistisch und „nëmme Gepiddels“ erklärt Goerens sein Abstimmungsverhalten.

Studien über das Wahlverhalten steht der DP-Spitzenkandidat grundsätzlich kritisch gegenüber: „Weder der Kontext noch die Gründe hinter unserem Abstimmungsverhalten werden darin erwähnt.“ Das bemängelt auch Christophe Hansen. Indem man das Abstimmungsverhalten lediglich auf punktuelle Fragen reduziert, könne man sich kein Gesamtbild machen. Der besagte CAN-Bericht basiere laut dem CSV-Abgeordneten auf « cherry picking ».

Christlich-soziale Klima-Rebellen

Es gilt allerdings zu bedenken, dass nicht nur die individuelle Einstellung der Politiker ihr Abstimmungsverhalten bestimmt. Auch die Fraktionszugehörigkeit ist von Bedeutung. Gemessen an der CAN-Studie stehen EVP- oder ALDE-Mitglieder zum Beispiel eher auf der Klimabremse. Zumindest dann, wenn sie so abstimmen, wie es die Fraktion vorgibt.

Dazu sind die Politiker zwar nicht verpflichtet. Doch ein Abgeordneter, der die Vorgaben der Fraktion konsequent ignoriert, kann im schlimmsten Fall doch gewisse Folgen spüren. Die Fraktion entscheidet nämlich, wie viel Einfluss ihre Mitglieder im Parlament haben – etwa in welchen Ausschüssen sie tagen oder welche Gesetzestexte sie als Berichterstatter mitgestalten dürfen.

Goerens und Engel betonen aber, dass ihre jeweiligen Fraktionen tolerant seien. « Wir sind eine große Fraktion, wir können schon mal von der Parteilinie abweichen », sagt auch Christophe Hansen. Er betont, dass die CSV in Umweltfragen innerhalb der EVP meist am progressivsten abstimme. Das deckt sich bis zu einem gewissen Grad auch mit der von Hansen kritisierten Studie. Bei den CO2-Emissionswerten für Autos hätte man sich etwa für deutlich höhere Ziele ausgesprochen wie es die Fraktion vorgab, erklärt der CSV-Politiker. « Wir sind die Rebellen der Fraktion. »


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