Was war los in der EU? Und was hat das alles mit Luxemburg zu tun? Charlotte Wirth blickt aus Brüssel auf die politischen und medialen Top-Themen der vergangenen Woche zurück. Dieses Mal: Wie die Mitgliedsstaaten gewählt haben.

Europa hat gewählt. In Brüssel freute man sich sogleich über die verhältnismäßig hohe Wahlbeteiligung: Mit 50,5 Prozent haben sich so viele Bürger zur Urne begeben wie seit 20 Jahren nicht mehr. Und obwohl populistische und rechtsextreme Parteien in einigen Ländern gestärkt wurden, blieb der generell gefürchtete Rechtsruck aus. An Zuspruch verloren haben quer durch Europa aber vor allem die Volksparteien, während Grüne und Liberale gestärkt wurden.

Nun gilt es im Parlament eine Mehrheit zu finden. Für die gewohnte « große » Koalition aus Christdemokraten und Sozialdemokraten reicht es nicht mehr. Die Sozialdemokraten kommen auf 153 Sitze (-34). Die Europäische Volkspartei auf 179 Sitze (-38): „Kein mächtiger Sieg“, kommentierte EVP Spitzenkandidat Manfred Weber das Ergebnis. Er erhebt dennoch Anspruch auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten.

Doch wie wurde in den einzelnen EU-Staaten gewählt? Ein Überblick:

Luxemburg

In Luxemburg heißt der große Wahlgewinner DP. Die liberale Partei holte 21,44 Prozent der Stimmen. Damit zieht neben Charles Goerens auch Monica Semedo ins Parlament. Auch die Grünen haben zugelegt. Sie kommen auf 18,91 Prozent. Die CSV hat hingegen ihre Vormachtstellung verloren und die LSAP kann vorerst aufatmen: Sie ist nicht noch weiter abgestiegen. In Straßburg ziehen neben Goerens und Semedo auch Tilly Metz, Christophe Hansen, Isabelle Wiseler und Nicolas Schmit als Abgeordnete ein. Sollte Schmit wie von der Regierung geplant EU-Kommissar werden, rückt Marc Angel ins Europäische Parlament nach. Angels Platz in Luxemburgs Abgeordnetenkammer würde in diesem Fall Francine Closener einnehmen.

Deutschland

Die Volksparteien sind die großen Verlierer der Europawahlen in Deutschland: CDU/CSU (29 Sitze, -5) und SPD (16 Sitze, -11) haben stark an Zuspruch verloren. Die CDU habe besonders bei jungen Leuten ein Imageproblem, räumte Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer ein. Zudem habe die Partei die Klimadebatte vernachlässigt. Bei der SPD hat man sich zu Krisensitzungen zusammengefunden.

Die Grünen haben hingegen stark zugelegt und schicken 21 Politiker nach Straßburg, zehn mehr als bisher. Sie werden hinter den Unionsparteien zweitstärkste Kraft. Die rechtsextreme « Alternative für Deutschland » hat vier Sitze gut gemacht und kommt damit auf elf Sitze.

Belgien

Regionalwahlen, Parlamentswahlen, Europawahlen: In Belgien wurde letzte Woche gleich drei Mal abgestimmt. Die EU-Wahlen rückten vor den Parlamentswahlen in den Hintergrund, bei denen sich der Graben zwischen einem linken und grünen Wallonien und einem rechten, nationalistischen Flandern weiter vergrößert hat.

Die EU-Wahlen dominierten die rechten Parteien – allen voran die separatistische Nieuw-Flaamse Alliante (N-VA), wenngleich mit leichten Verlusten (14,2 Prozent) sowie die rechtsextreme Vlaams Belang (12 Prozent). Ihr Erfolg speist sich sowohl aus den Verlusten der N-VA als auch aus denen der Liberalen und Sozialisten. Zugelegt haben hingegen die wallonischen ebenso wie die flämischen Grünen. Sie kommen zusammen auf rund 15 Prozent. In Brüssel gingen am Montag rund 4.000 Menschen auf die Straße, um gegen den Rechtsruck zu demonstrieren.

Frankreich

Marine Le Pen freut sich. Bei den Präsidentschaftswahlen 2017 konnte sie Emmanuel Macron zwar nicht schlagen. Bei den Europawahlen hat sie dies nun nachgeholt. Obwohl ihr rechtsextremer Rassemblement National im Vergleich zu 2014 Stimmen einbüßen musste, wurde sie in Frankreich mit 23,4 Prozent zur stärksten Partei gewählt. Knapp dahinter liegt Macrons La République en Marche (22,4%). Große Verlierer hingegen sind die Républicains, die auf lediglich 8,5 Prozent kommen, und der Parti socialiste mit 6,2 Prozent. Und auch vor Frankreich hat die „Grüne Welle“ nicht halt gemacht: Die Grünen werden mit 13,5 Prozent drittstärkste Kraft.

Niederlande

War es der Timmermans-Effekt? In der Niederlande ist die Arbeiterpartei des sozialistischen Spitzenkandidaten mit knapp 19 Prozent klarer Wahlsieger. An zweiter Stelle steht die liberale VVD des holländischen Premiers Mark Rutte (14,6 Prozent). Knapp dahinter liegen die Christdemokraten mit 12,2 Prozent. Die rechtsextreme PVV um Geert Wilders, die 2014 noch 13,2 Prozent der Stimmen holte, ist auf 4,0 Prozent abgestürzt. Dafür kommt jedoch das Forum für Demokratie (FvD) um den Rechtspopulisten Thierry Baudet auf 11,0 Prozent und ist damit, nahezu gleichauf mit den Grünen, viertstärkste Partei.

Portugal

In Portugal führen die Sozialisten (PS) des Ministerpräsidenten António Costa mit 33,4 Prozent. Dahinter liegt die konservativ-liberale Sozialdemokratische Partei (PSD) mit 21,9 Prozent. Die Grünen (PAN) gewinnen mit 5,1 Prozent erstmals einen Sitz im EU-Parlament.

Großbritannien

In Großbritannien hätten die Menschen eigentlich ja gar nicht zur Wahl gehen sollen. Da sich London aber immer noch nicht auf einen geregelten Austritt aus der EU einigen konnte, kam es anders. So war die Europawahl in Großbritannien vor allem eine Gelegenheit, Konservativen und Labour-Parteu eine Abfuhr für das Brexit-Chaos zu erteilen. So wurde denn auch Nigel Farage’s Brexit-Partei mit rund einem Drittel der Stimmen stärkste Partei. Dahinter folgen mit 18,53 Prozent die Liberal Democrats, die für den Verbleib Großbritanniens in der EU eintreten. Labour und Tories wurden mit jeweils 14,8 und 8,68 Prozent der Stimmen eindeutig abgestraft.

Österreich

Trotz der Regierungskrise in Österreich holte die ÖVP des gerade abgesetzten Bundeskanzlers Sebastian Kurz mit 34,6 Prozent die meisten Stimmen. Dahinter kommen die Sozialdemokraten mit 23,9 Prozent. Die rechte FPÖ scheint unter dem « Ibiza-Gate » zumindest etwas gelitten zu haben: Sie wird mit 17,2 Prozent der Stimmen lediglich drittstärkste Partei.

Italien

Zum ersten Mal wird Matteo Salvinis Lega die stärkste Kraft in Italien. Die rechtspopulistische Partei erhält etwas mehr als ein Drittel der Stimmen. Ihr Koalitionspartner, die Fünf Sterne-Bewegung, ist mit 17 Prozent lediglich drittstärkste Kraft. Damit hat sich Kräfteverhältnis innerhalb der Koalition umgekehrt. Bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr war die Movimento 5 Stelle noch die stärkste Partei. Im Vergleich zu ihrem damaligen Ergebnis hat sie am Sonntag über 15 Prozentpunkte verloren, die Lega hingegen hat 12 Prozentpunkte hinzugewonnen. Die sozialdemokratische PD kann sich ebenfalls über neuen Zuspruch freuen und kommt auf 22,7 Prozent. Silvio Berlusconi’s Forza Italia holt nur 8,8 Prozent.

Spanien

Die großen Sieger sind in Spanien die Sozialisten. Die sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) des Regierungschefs Pedro Sánchez erhält 32,8 Prozent der Stimmen und liegt damit weit vor der oppositionellen Volkspartei (PP), die rund 20 Prozent einfuhr. Die rechtspopulistische VOX, die im April bei den Nationalwahlen ein gutes Ergebnis erzielte, wird mit 6,2 Prozent nur fünftstärkste Partei; im April waren es noch 10,3 Prozent. Die katalanischen Separatistenführer Carles Puigdemont und Oriol Junqueras wurden ebenfalls ins Parlament gewählt. Es ist aber unklar, ob sie ihr Mandat antreten können. Junqueras sitzt wegen seiner Rolle im spanischen Unabhängigkeitsreferendum im Gefängnis. Puigdemont lebt in Belgien im Exil.

Bulgarien

In Bulgarien gewinnt die BERK des konservativen Premierministers Boikov Borrisov mit 30,9 Prozent die meisten Stimmen. Dahinter reihen sich die bulgarischen Sozialisten mit 24,2 Prozent ein. Lediglich 30 Prozent der Bürger haben bei den Wahlen überhaupt abgestimmt.

Dänemark

Die dänischen Liberalen (Venstre), angeführt von der Anwärterin auf die Kommissionspräsidentschaft Margrethe Vestager, stehen mit 23,5 Prozent an der Spitze. Knapp dahinter liegen die Sozialdemokraten mit 21,5 Prozent. Die Rot-Grüne Allianz kann mit zehn Prozent zum ersten Mal in das Europäische Parlament einziehen. Die dänische Volkspartei, die 2014 die Wahlen für sich entschied, ist mit 10,76 Prozent lediglich viertstärkste Kraft.

Estland

In Estland liegt die Liberale Reformpartei mit 26,6 Prozent vor den Sozialisten (23,3 Prozent) und der Zentrumspartei. Den größten Sprung kann allerdings die rechtsextreme Estnische Konservative Volkspartei verzeichnen (14,4%). Sie konnte ihr Resultat im Vergleich zu 2014 verdreifachen und erreicht 12,7 Prozent.

Finnland

Die Mitte-Rechts-Partei Kokoomus holt mit 20,8 Prozent die meisten Stimmen, gefolgt von den Grünen (16 Prozent) und den Sozialdemokraten (13,6 Prozent), die beide gestärkt aus den Europawahlen hervorgehen. Die rechtspopulistische Partei Die Finnen bleibt mit 13,8 Prozent hinter den Erwartungen zurück.

Griechenland

In Griechenland hat die Oppositionspartei, die konservative Nea Dimokratia (33,1 Prozent), die linke Syriza (23,8 Prozent) des Ministerpräsidenten Alexis Tsipras überholt. Letzterer hat daraufhin vorgezogene Parlamentswahlen angekündigt. Diese werden jetzt im Juni statt wie vorgesehen im Oktober stattfinden.

Irland

Die christdemokratische Fine Gael des irischen Premierministers Leo Varadkar erhielt mit 29,6 Prozent den größten Zuspruch. Darauf folgen die Konservativen und Grünen mit jeweils 15 Prozent.

Kroatien

Die Konservative Demokratische Union (HDZ) führt die Ergebnisse mit 22,72 Prozent an. Ihr Koalitionspartner, die kroatischen Sozialdemokraten, kommen auf 18,7 Prozent.

Lettland

Gewinner ist in Lettland die konservativ-liberale JV des Vize-Kommissionspräsidenten Valdis Dombrovskis (26,2 Prozent). Dahinter reihen sich die Sozialdemokraten mit 17,5 Prozent, und die rechten Nationale Allianz mit 16,5 Prozent ein. 2014 lagen die Rechten noch vor den Sozialisten.

Litauen

Mit 18,6 Prozent liegt die konservative TS-LKD vorne, dahinter folgen die Sozialdemokraten mit 15,1 Prozent. Die sozialistische Bauern-und Mittelstandspartei LVZS liegt mit 11,9 Prozent auf dem dritten Platz.

Malta

Die maltesische Arbeiterpartei liegt mit 54,3 Prozent weit vorne. Es folgt die konservativ-christliche Nationale Partei (NP). Korruption war bei den Europawahlen in Malta ein großes Thema. Auch die beiden Wahlsieger beschuldigen einander der Korruption.

Polen

Stärkste Partei wird in Polen die rechtsnationale Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit 45,4 Prozent. Dicht dahinter steht das pro-europäische Bündnis der Oppositionsparteien des Ratspräsidenten Donald Tusk, welches 38,5 Prozent der Stimmen holte. Ein Bündnis rechtsextremer Parteien schaffte die Fünf-Prozent-Hürde nicht und kann keinen Abgeordneten nach Straßburg schicken. Aufgrund der polnischen Justizreformen laufen zur Zeit mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen. Die EU wirft Warschau vor, die Gewaltenteilung nicht zu respektieren.

Ungarn

Wie erwartet geht Viktor Orbán’s Fidesz-Partei mit 52,3 Prozent der Stimmen als bei weitem stärkste Kraft aus den Wahlen hervor. Auf sie folgt die linke Demokratische Koalition des ehemaligen ungarischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány mit 16,2 Prozent. Überraschender Dritter wurde die neue liberale Bewegung Momentum.

Obwohl die Fidesz von der EVP suspendiert wurde, werden die Sitze von Orbán’s Partei vorerst der EVP-Fraktion zugerechnet.

Rumänien

Die regierenden Sozialdemokraten (PSD) sind in Rumänien die großen Verlierer der Europawahlen. Sie kommen auf 22,8 Prozent, während die die PNL des Präsidenten Klaus Iohannis 16,7 Prozent der Stimmen holt. Die PSD steht in der EU wegen ihrer Justizreformen in Kritik, die darauf abzielen, das Korruptionsrecht zu lockern. Ihren Unmut gegen die herrschende Korruption in Rumänien bekundeten die Bürger am Sonntag so auch bei einem Referendum: 89 Prozent stimmten gegen die Durchsetzung willkürlicher Gesetze zugunsten von Korruptionsverdächtigen. Das Referendum wurde von Iohannis initiiert, ist aber nicht rechtlich bindend. Der PSD-Chef Liviu Dragnea musste am Montag aufgrund einer Scheinbeschäftigungsaffäre eine dreijährige Haftstrafe antreten.

Schweden

Die Sozialdemokraten des Ministerpräsidenten Stefan Löfven erhielten die meisten Stimmen (23,6 Prozent). Gestärkt wurden allerdings auch die rechtsextremen Schwedendemokraten. Sie werden mit 15,4 Prozent drittstärkste Partei und erhielten fast doppelt so viele Stimmen wie 2014.  Vor ihnen liegen die konservativen Moderaten mit 16,8 Prozent. Anders als in vielen anderen Staaten der EU mussten die Grünen in Schweden Stimmen einbüßen und kommen auf 11,4 Prozent. 2014 waren es noch 15,4 Prozent.

Slowakei

Überraschender Sieger ist in der Slowakei die liberale SPOLU der frischgebackenen Präsidentin Zuzana Caputova, die 20,1 Prozent der Stimmen holt. Dahinter folgt mit 15,7 Prozent die sozialdemokratische Partei SMER des Premierministers Peter Pellegrini. Drittstärkste Kraft wird die rechtsextreme L’SNS mit 12,1 Prozent.

Slowenien

Die meisten Stimmen holte in Slowenien die rechtsnationale SDS des früheren Ministerpräsidenten Janes Jenza (26,4 Prozent), die Viktor Orbán’s Fidesz-Partei nahe steht. Dahinter liegen die Sozialdemokraten mit 18,6 Prozent.

Tschechien

In Tschechien konnte die Regierungspartei (ANO) des Ministerpräsidenten Andrej Babiš Prozentpunkte dazugewinnen und kommt auf 21,2 Prozent. Ebenfalls zulegen konnte die rechtsnationale ODS. Sie erreicht 14,5 Prozent. Knapp dahinter liegen mit 14 Prozent die Piraten. Eine Niederlage musste hingegen der Koalitionspartner der ANO, die linke CSSD hinnehmen (3,9 Prozent) : Sie konnte keines ihrer Mandate im Parlament behalten.

Zypern

Auf Zypern hat die konservative Regierungspartei (DYSI) die Wahlen mit 29 Prozent der Stimmen trotz Stimmverlusten gegenüber 2014 gewonnen. Knapp dahinter liegt die kommunistische Arbeiterpartei mit 27,5 Prozent. Mit dessen Spitzenkandidaten Niyazi Kizilyurek zieht der erste türkische Zypriot ins EU-Parlament.