Es soll ein Meilenstein in der Strafverfolgung werden: Gemeinsam sollen 22 Staatsanwälte gegen Betrug und Korruption in der EU vorgehen. Doch die Europäische Generalstaatsanwältin warnt vor völlig unzureichenden Mitteln. Luxemburg verspricht Unterstützung.
« Wollen wir eine Europäische Staatsanwaltschaft nur um zu sagen, dass wir eine haben, oder wollen wir, dass sie schlagkräftig ist? » Die Europäische Generalstaatsanwältin Laura Codruta Kövesi sprach Anfang Februar Klartext im Europaparlament. Mindestens 3.000 Fälle liegen der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) bereits jetzt vor. Dabei geht es um Korruption, Betrug mit Subventionsgeldern und vor allem um Mehrwertsteuerbetrug.
Doch aktuell verfügt Laura Codruta Kövesi gerade einmal über vier Mitarbeiter, die die tausende Fälle analysieren könnten, berichtete der « EU Observer ». Die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter arbeitet an der Entwicklung einer IT-Plattform, die die spätere Verwaltung der Fälle und Ermittlungen erlauben soll.
Die Generalstaatsanwältin soll von 22 Europäischen Staatsanwälten unterstützt werden – einer pro Mitgliedstaat, die sich beteiligen. Doch deren Ernennung verzögerte sich bisher, weil zahlreiche Staaten noch keine Kandidaten vorgeschlagen haben. Der Sitz der Europäischen Staatsanwaltschaft ist in Luxemburg.
Staatsanwälte werden Ende März ernannt
Etwas Bewegung wird es aber dennoch Ende des Monats geben: Dann soll der Rat die Europäischen Staatsanwälte ernennen. Luxemburg hat bereits drei Kandidaten vorgeschlagen, die von einem EU-Beratungsgremium auch geprüft wurden, heißt es aus dem Staatsministerium. Mehr könne man dazu nicht sagen, bis die Entscheidung gefallen sei. Spätestens Anfang April wäre dann eine weitere Etappe genommen.
Ursprünglich sollte die Europäische Staatsanwaltschaft Ende dieses Jahres ihre Arbeit aufnehmen. Das scheint aber zunehmend unrealistisch. Denn in diesem ursprünglichen Zeitplan sollten die Staatsanwälte bereits im November 2019 ernannt sein. Das Projekt hat also knapp sechs Monate Rückstand.
Eine Lage, die die Luxemburger Regierung bedauert. « Wir brauchen schlagkräftige Ermittlungen und wir können nicht hinnehmen, dass die Europäische Staatsanwaltschaft unterfinanziert und unterbesetzt ist. Wir müssen darauf achten, dass die Staatsanwaltschaft die nötigen finanziellen Ressourcen und das Personal bekommt, um ihre wichtige Arbeit zu machen », sagte Premierminister Xavier Bettel (DP) am Dienstag.
Große Pläne, geringe finanzielle Mittel
Luxemburg hat ein direktes Interesse am Gelingen des EPPO, denn die neue Institution hat ihren Sitz auf Kirchberg. Doch die Mittel für die Staatsanwaltschaft kommen aus dem EU-Haushalt. Und auf den hat die Luxemburger Regierung höchstens einen bescheidenen Einfluss.
Tatsächlich ist das Budget des EPPO noch sehr überschaubar. Für 2019 lagen die Finanzmittel bei 4,9 Millionen Euro, für dieses Jahr stehen 8,4 Millionen Euro bereit. Noch ist die Agentur im Aufbau, doch im Vergleich mit Europol (153 Millionen Euro) und Eurojust (41 Millionen Euro) sind die verfügbaren Mittel gering. Das Geld wird vor allem in die Entwicklung der IT-Plattform fließen.
Bis 2023 soll die Zahl der Mitarbeiter auf 115 wachsen. So lautete zumindest der Finanzplan 2017, aus dem die Minister Jean Asselborn und Sam Tanson in einer Antwort auf eine parlamentarische Frage zitieren. Doch auch Luxemburg zeigt sich zurückhaltend. Denn eigentlich sollten die Europäischen Staatsanwälte von jeweils zwei delegierten Staatsanwälten aus jedem Land unterstützt werden. Das könnte aber auch eine Teilzeit-Aufgabe sein, so die Minister.
Luxemburg als zu teures Pflaster
Problematisch ist offenbar auch, dass Kandidaten für Posten an der Europäischen Staatsanwaltschaft wenig Interesse zeigen, nach Luxemburg zu kommen. Ursprünglich sollten 90 Mitarbeiter der Antibetrugseinheit Olaf von Brüssel nach Luxemburg zur EPPO transferiert werden. Doch diese Pläne wurden gekippt, berichtete « Luxembourg Times » im September.
Ein Faktor sollen dabei die hohen Lebenshaltungskosten in Luxemburg sein. Dass EU-Beschäftigte hierzulande das gleiche verdienen wie in Brüssel, ist ein seit langem schwelender Konflikt zwischen den Gewerkschaften und der EU-Kommission. Am Mittwoch traf sich der zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn mit Außenminister Jean Asselborn und Premier Xavier Bettel, um über Luxemburg als Sitz von EU-Institutionen zu diskutieren.
Mehrwertsteuerbetrug als Schwerpunkt
Der Anspruch war von Anfang an groß: Die Europäische Staatsanwaltschaft soll mit der zersplitterten Strafverfolgung von grenzüberschreitenden Verbrechen aufräumen, wenn es um Gelder der EU geht. Das gilt etwa für den Mehrwertsteuerbetrug, der die EU und die Mitgliedsstaaten jedes Jahr um 50 Milliarden Euro bringt.
Laura Codruta Kövesi will diese Form des Steuerbetrugs zu einem ihrer Schwerpunkte machen. Sie zitierte vor dem Rechtsausschuss des Europaparlaments eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, die von einem Schaden von bis zu 64 Milliarden Euro ausgeht. Könnte die Europäische Staatsanwaltschaft nur einen Bruchteil dieser gestohlenen Gelder von Kriminellen zurückholen, wäre sie ein sehr lukratives Geschäft für die EU – so das Argument der Generalstaatsanwältin.
Doch die Schadenssummen sind lediglich Schätzungen, die die Regierungen offenbar nicht allzu ernst nehmen. Bisher kommt es beim Mehrwertsteuerbetrug selten zu einer schlagkräftigen Strafverfolgung. Es ist zu kompliziert und die Täter agieren grenzüberschreitend. „Die Kriminellen behalten im Schnitt 98,9 Prozent ihrer illegalen Gewinne“, sagte Pedro Seixas Felicio, Leiter der Abteilung Wirtschaftskriminalität bei Europol im Interview mit dem ZDF.
Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Luxemburg ist ein gutes Beispiel: Zwar agierten in der Vergangenheit oft Steuerbetrüger hierzulande, doch es waren selten Einwohner und der finanzielle Schaden entstand anderswo. Entsprechend wenig Interesse hatte die Luxemburger Justiz an der Aufklärung.
Die 3.000 Fälle, die Kövesi bisher erfassen konnte, kommen nicht aus dem Nichts: Es sind Dossiers, die die nationalen Staatsanwaltschaften in ihren Schubladen haben. Die Zahl zeigt den enormen Bedarf und die gewaltige Aufgabe vor der die Europäische Staatsanwaltschaft steht.
Trotzdem wächst der Anspruch gegenüber der EPPO, statt realistischer zu werden. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte noch 2018, die Europäische Staatsanwaltschaft solle sich auch um Terrorismus kümmern.