Die Energiewende ist unabdingbar, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Aus diesem Grund forderte das EU-Parlament ehrgeizige Energieziele. Es hätte Claude Turmes größter Erfolg sein können – wäre da nicht Deutschlands Wirtschaftsminister Peter Altmaier.
Die Arbeit als Abgeordneter im Europäischen Parlament ist manchmal undankbar. Trotz hehrer Absichten, feilscht man am Ende wie ein Pferdehändler. So ähnlich ging es auch im Rahmen der Energieziele zu, auf die sich Vertreter des Parlaments, der EU-Kommission und des Rats der EU nach schwierigen Diskussionen endlich einigen konnten.
Am vorletzten Montag steckten die Verhandlungen der Wirtschaftsminister im Energierat noch in einer Sackgasse. Jetzt führten zwei Verhandlungsrunden im Trilog – sprich zwischen Kommission, Rat und Parlament – zum Erfolg. Oder besser gesagt zu einem für alle Parteien tragbaren Kompromiss: Bis 2030 müssen 32 Prozent des EU-Energieverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen kommen, entschieden die Verhandlungspartner bereits vor einer Woche. Dank einer Revisionsklausel kann das Ziel im Jahr 2023 nach oben korrigiert werden.
„So schnell wie möglich“
Dienstagnacht dann konnte man sich auch auf ein Ziel bezüglich der Energieeffizienz einigen: Hier sollen es 32,5 Prozent sein. Während das Parlament auch hier eine Revisionsklausel durchsetzen konnte, mussten die Abgeordneten dennoch so einige Einschnitte hinnehmen. Das 32,5-Prozent-Ziel ist nämlich nicht bindend. Es handelt sich lediglich um einen Richtwert.
Und auch bei der Governance-Verordnung musste das Parlament nachgeben. Dieser Text regelt, wie die politischen Instrumente im Klimaschutz zum Einsatz kommen. Zwar will man netto Null Emissionen erreichen – doch wann, wollten Kommission und Rat nicht festlegen. „So schnell wie möglich“ war alles, was das Parlament erreichen konnte. Neben den nationalen Energie- und Klimaplänen müssen die Mitgliedsstaaten nun langfristige Entkarbonisierungsstrategien für 2050 ausarbeiten.
Ohne das Parlament wären wir keinesfalls so weit.“Claude Turmes
Die EU-Kommission klopft sich auf die eigene Schulter und präsentiert die Ergebnisse als Paukenschlag. Nun werde die Energieunion zur Realität. Europa könne die Energiewende abschließen und die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens erfüllen. Es sei ein Deal mit ambitiösen Zielen, heißt es von Energiekommissar Miguel Arias Cañete. Dabei wird unter anderem ausgelassen, dass der Spanier, der aufgrund seiner engen Beziehungen zur Ölindustrie auch „Mr Petroleum“ genannt wird, in seinem Vorschlag nur 27 Prozent für beide Ziele gefordert hatte.
Kompromiss à la Turmes
Dass überhaupt oberhalb der 30-Prozent-Marke diskutiert wurde, ist dem Europaparlament zu verdanken. Dieses nämlich forderte sowohl in punkto erneuerbare Energien als auch für die Energieeffizienz deutlich ehrgeizigere Ziele von jeweils 35 Prozent. „Ohne das Parlament wären wir keinesfalls so weit “, lobt sich Claude Turmes (Déi Gréng) gewissermaßen selbst.
Turmes war als Verhandlungsführer des EU-Parlaments über den Vorschlag zur Governance der Energieunion maßgeblich an den Diskussionen beteiligt. Für den „Mr. Energy“, wie der Luxemburger in Brüssel genannt wird, waren die Entscheidungen, die letzten, die er als EU-Parlamentarier begleiten durfte.
Die deutsche Regierung hat uns unser Ziel versaut.“Claude Turmes
Nur wenige Stunden nach dem erfolgreichen Deal wurde Turmes, der sich seit Jahren im EU-Parlament maßgeblich für die Energiewende einsetzte, am Mittwoch als neuer Staatssekretär im Nachhaltigkeitsministerium vereidigt. Die Entscheidungen zur Energiewende haben sich so zur persönlichen Messlatte für sein Erbe als Abgeordneter entwickelt.
„Deutschland neutralisieren“
Vielleicht war Turmes gerade deswegen in den letzten Wochen auf Twitter besonders schreiblustig und hielt sich mit Kritik nicht zurück. Es traf allen voran den deutschen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der mit seiner feindlichen Haltung zur Energiewende ambitiöse Zielsetzungen maßgeblich blockierte.
„Wir müssen Deutschland neutralisieren“ zeigte sich Turmes im Vorfeld der Trilog-Verhandlungen noch kampfeslustig und zugleich frustriert. Denn ohne den deutschen Wirtschaftsminister, so ist sich der ehemalige EU-Abgeordnete sicher, wäre ein 35-35-Ziel möglich gewesen. „Die deutsche Regierung hat uns unser Ziel versaut.“ Damit meint Turmes wohl nicht nur die Energieziele, sondern auch sein persönliches Vermächtnis als Abgeordneter im EU-Parlament.
Die Ansichten des CDU-Ministers stehen im starken Kontrast zu denen von Turmes. Altmaier hält dessen Forderungen bloß für ein weiteres Musterbeispiel der Realitätsfremdheit des Parlaments. Ziele von 30 Prozent seien weder realisierbar noch finanzierbar, betonte der Deutsche kurz vor dem Energierat. Damit war klar: Die Bundesregierung stellt sich gegen das ehrgeizige Bestreben von Schweden, der Niederlande, Spanien, Luxemburg und co.

Altmaiers Argument, die anvisierten Ziele seien nicht realisierbar, lässt Turmes nicht gelten. „Was ist schon realisierbar, wenn die Wälder brennen?“ Europa müsse den Mut aufbringen und in die Zukunft investieren. „Wer hätte zum Beispiel vor Jahren gedacht, dass wir heute so viel mit Solarenergie erreichen können?“, meint der Optimist.
« Angstrhetorik » der Energielobby
Deutliche Kritik kommt vom Europäischen Umweltbüro (EEB). In diesem EU-Umweltverband sind sowohl der Mouvement écologique als auch „Natur an Ëmwelt“ Mitglied. Roland Joebstl vom EEB sieht Aussagen wie die von Altmaier als „rückwärtsgewandt“, „unverantwortlich“ und „reine Angstrhetorik“.
Es gibt gute Gründe dafür, dass zum Beispiel die Niederlande sich so stark für die Klimawende einsetzen. Das flache Land kämpft um seine Existenz. »Roland Joebstl
Das 32-Prozent-Ziel für erneuerbare Energien sei weder ausreichend, noch schwer umsetzbar, so Joebstl weiter. Der Energieexperte kritisiert, dass noch heute europaweit in fossile Energien investiert würde. „Wenn man Paris ernst nimmt, ist das Geldverschwendung“, insistiert er. Die Kapitalanlagen in nicht-nachhaltige Energien führt Joebstl vor allem auf eines zurück: Die starke Lobby der Energiekonzerne, der sich auch Altmeier nicht entgegensetzen wolle. Damit bremst Berlin jedoch nicht nur die eigene Energiewende, sondern auch die der gesamten EU. Denn wie auch Joebstl im Vorfeld der letzten Verhandlungen betonte: „Nur mit Deutschland sind hohe Ambitionen möglich.“
Fünf vor zwölf…
Um die 2030-Klimaziele von Paris zu erreichen, ist die Energiewende unabdingbar. Sie müsste mit noch viel größeren Schritten erfolgen. Denn weder 27-27, noch 32-32,5, noch 35-35 werden ausreichen, um die Erderwärmung zu verlangsamen. Deswegen zeigen sich die Klimaschützer über die Effizienz-Ziele besonders enttäuscht, forderte das EEB doch ein robustes Paket mit verbindlichen Zielen. Mindestens 40 Prozent wären nötig gewesen, um die Klimaziele zu erfüllen.
Um zu verstehen, was auf dem Spiel steht, ist der Umkehrschluss für Roland Joebstl unumgänglich. Man nehme zum Beispiel das Ziel von 32 Prozent für erneuerbare Energien. Das bedeute, dass die 68 übrigen Prozent aus Öl, Kohle und Atomkraftwerken stammen. Das ist laut Joebstl angesichts der unmittelbaren Konsequenzen fatal. „Es gibt gute Gründe dafür, dass zum Beispiel die Niederlande sich so stark für die Klimawende einsetzen. Das flache Land kämpft um seine Existenz.“
Schneider tut das mit Knauf ja auch inzwischen leid.“Claude Turmes
In der Tat steht der Zeiger auf fünf vor zwölf, wie ein geleakter Entwurf des neuen UN-Klimaberichts zeigt, der der Nachrichtenagentur REUTERS vorliegt. Darin steht unter anderem, dass die globale Erderwärmung bis 2040 die Schwelle von 1,5 Grad überschreiten wird. Die Pariser 2030-Versprechen seien demnach viel zu schwach, um den Trend aufzuhalten. Denn dazu müssten die erneuerbaren Energien bis 2050 auf mindestens 60 Prozent steigen und die Nutzung fossiler Energie um zwei Drittel fallen, warnt der UN-Klimarat IPCC. Vor diesem Hintergrund erscheinen die gerade ausgehandelten Kompromisse der Europäer besonders schwach.
Schulterklopfen für Schneider
In der Europäischen Kommission scheint diese Dringlichkeit aber immer noch nicht angekommen zu sein, wie das allgemeine Selbstlob zeigt. Die „schnelle und weitreichende Transition in der Weltwirtschaft“, zu der die UN in ihrem Bericht aufruft, bringen die jüngsten Entscheidungen nicht.
Claude Turmes wird seinerseits nun nicht mehr für die grüne Revolution kämpfen können, jedenfalls nicht mehr als Abgeordneter im EU-Parlament. Nun muss er, zumindest was Luxemburgs Rolle betrifft, vorerst auf das Wohlwollen von Vizepremier und Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) hoffen, denn die meisten Kompetenzen in der Energiepolitik liegen in Schneiders Ressort. Der Grünen-Politiker spricht sich seit jeher für robuste Pläne und Strategien der luxemburgischen Regierung aus.
Auch angesichts der jüngsten Diskussionen um die Ansiedlung von Knauf und anderen Industrieunternehmen scheint rot-grüner Knatsch in manchen Dossiers vorprogrammiert. Könnte man denken. Denn von Turmes gibt es für den LSAP-Minister vorerst ein, wenn auch verhaltenes, Lob. Die Zusammenarbeit mit der Regierung im Energiedossier sei sehr gut gewesen und Luxemburg ein proaktiver Vorreiter.
Öffentlicher Knatsch, wie der zwischen Umweltministerin Carole Dieschburg (Déi Gréng) und Schneider, scheint es jedenfalls vorerst nicht zu geben. „Schneider tut das mit Knauf ja auch inzwischen leid“, sagt Turmes. Ein bisschen Schmeichelei zum Anlass des Wechsels in die Regierung dürfte der Weiterverfolgung seiner bisherigen Agenda jedenfalls nicht schaden.