Die EU will strenger gegen die Marktmacht von Amazon, Google und Co. vorgehen. Vertrauliche Dokumente aus den Verhandlungen des Rates zeigen jedoch: Luxemburg verhandelt in Brüssel im Sinne der mächtigen Konzerne.
Von Charlotte Wirth und Till Hoppe *
Die Erwartungen sind groß. Brüssel hat sich dazu entschieden, Konzernen wie Amazon, Facebook und Google strengere Regeln aufzuerlegen. Insbesondere drei Gesetze mit den Kürzeln DMA (« Digital Markets Act »), DSA (« Digital Services Act ») und DGA (« Digital Governance Act ») sollen helfen, die Digitalriesen stärker zu kontrollieren und gegen die Marktdominanz dieser Konzerne vorzugehen.
Während Parlament und Rat ihre Verhandlungspositionen ausloten, fällt besonders ein Land aus dem Rahmen: Luxemburg. Obwohl die Mehrheit der Mitgliedstaaten auf ein ambitioniertes Instrument drängt, steht die hiesige Regierung auf der Bremse. Das jedenfalls zeigen interne Protokolle zum DMA, die uns vorliegen. Luxemburg hat sich bei den Verhandlungen intensiv eingebracht – nicht etwa, um sich für ein strenges Gesetz einzusetzen, sondern um den Text abzuschwächen.
Beim DMA geht es um eine stärkere Regulierung von digitalen Diensten und Online-Plattformen. Der Text zielt auf die Reglementierung von sogenannten « Gatekeepern » ab. Gemeint sind besonders mächtige Plattform-Unternehmen wie Amazon, Facebook (künftig: Meta) und Google, die den Markt beherrschen und ihren Wettbewerbsvorteil auf Kosten anderer Unternehmen ausnutzen.
Das Gesetz über digitale Märkte soll zum Beispiel dafür sorgen, dass große Plattformen transparenter über ihre Algorithmen kommunizieren und eigene Produkte in Rankings nicht besser platzieren. Die EU will dabei hart mit den Konzernen ins Gericht gehen. Es geht um Strafen, die bis zu zehn Prozent des globalen Jahresumsatzes eines Konzerns betragen können.
Regulierung von Cloud-Plattformen
Doch ähnlich wie bei Steuerdeals mit Amazon handelt Luxemburg auch in den Beratungen um den DMA im Sinne der Digitalkonzerne. Zufall? Der Onlinehandel- und Cloud-Riese Amazon hat seine Europazentrale im Großherzogtum. Gleichzeitig wirbt die Regierung intensiv um die Ansiedlung eines großen Rechenzentrums von Google in Bissen.
Luxemburgs Regierung streitet die Vorwürfe ab, wonach sie versuche, die Regulierung der Digitalkonzerne zu verwässern. Man unterstütze die Bestrebungen der Europäischen Kommission, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. Die Regierung setze sich für eine maximale Harmonisierung der Regeln und einen funktionierenden EU-Binnenmarkt ein. „Dadurch sollen kleinere und mittelgroße Plattformen gegenüber digitalen Großunternehmen konkurrenzfähig werden.“ Auch dafür finden sich Anhaltspunkte.
Einige Punkte lassen jedoch aufhorchen. Dazu gehört, dass Luxemburg gemeinsam mit drei anderen Mitgliedstaaten verhindern wollte, dass Cloud-Dienste auf die Liste der zu regulierenden „Core Platform Services“ kommen, sprich, dass sie unter die Regulierung fallen. Auf diesem Markt gebe es mehr Wettbewerb als etwa bei App-Stores, argumentieren die Luxemburger Beamten. Dabei wird auch das Cloud-Geschäft von einigen, wenigen Unternehmen bestimmt – darunter die weltweit größten Cloud-Anbieter Amazon und Google. Im Rat konnten sich Luxemburg und seine Mitstreiter damit allerdings nicht gegen die anderen Mitgliedstaaten durchsetzen.
Verhandlungen mit doppelter Zunge
Ein weiteres Beispiel: Der Kern des DMA ist ein Katalog von Verpflichtungen, die für sogenannte Gatekeeper-Plattformen gelten sollen. Luxemburg aber plädierte ähnlich wie Irland dafür, diese unter Vorbehalt zu stellen: Der Schutz von „Integrität, Sicherheit und Qualität der Dienste“ müsse mitberücksichtigt werden. Das ist übrigens eines der Hauptargumente der Tech-Industrie. Insbesondere Apple-Chef Tim Cook warnt lautstark vor den Risiken des sogenannten « Sideloading », das es erlaubt, Software aus anderen Quellen als dem hauseigenen AppStore auf iPhones und Co. herunterzuladen.
Für die angestrebte Harmonisierung der Regeln in der EU sei es nötig, so Luxemburg, dass der DMA als unmittelbar bindendes EU-Recht nationale Gesetze mit ähnlicher Stoßrichtung ersetze. Gleichzeitig hat sich Luxemburg dafür stark gemacht, dass kein nationales Gesetz weiter gehen dürfte als das EU-Gesetz. Will heißen: Kein Land darf strenger mit den « GAFA » (Google, Amazon, Facebook, Apple) ins Gericht gehen als der DMA. Während eine einheitliche Anwendung der Regeln für ein gutes Funktionieren des EU-Binnenmarktes wichtig ist, bedeutet das allerdings auch: Wie stark die Digitalriesen kontrolliert werden, hängt vom DMA ab, den Luxemburg an einigen Stellen zu verwässern versucht.

Während der Kommissionsvorschlag vorsieht, dass das Gesetz bereits sechs Monate nach Inkrafttreten umgesetzt werden muss, wollte Luxemburg diese Zeitspanne auf 18 Monate verlängern. Der Zeitrahmen sei „angemessener“, um die Implementierungsmaßnahmen einzuführen, so Luxemburgs Argumentation laut den Verhandlungsprotokollen. Gleichzeitig hätten Unternehmen deutlich mehr Zeit, sich auf die Änderungen einzustellen.
Besonders eindrücklich: Luxemburg hat sich für eine Eingrenzung der Marktuntersuchungen eingesetzt. Es geht dabei um den Artikel 16 des Gesetzes, der als größte Waffe gegen die Konzerne gilt. Er gibt der Europäischen Kommission weitreichende Kompetenzen, um gegen Konzerne vorzugehen, die sich systematisch nicht ans Gesetz halten. In solchen Fällen kann die Kommission Marktuntersuchungen vornehmen und Maßnahmen gegen die Konzerne einleiten, die bis zu deren Zerschlagung reichen können.
Während Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich mehr Mitsprache darüber fordern, wann die EU-Exekutive solche Untersuchungen einleiten kann, zeigen die Verhandlungsprotokolle: Luxemburg und Irland hielten dagegen. Luxemburg wollte etwa verhindern, dass nur ein einzelner Mitgliedstaat die Kommission dazu aufrufen könnte, eine Marktuntersuchung zu prüfen oder einzuleiten. Vielmehr sollten dazu „drei oder mehr Staaten“ nötig sein. Alles andere sei „unverhältnismäßig“, merkte Luxemburg in den Verhandlungen an.
„Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“
Die Opposition kritisiert die Positionierung der hiesigen Regierung. „Luxemburg versucht einerseits seinen schlechten Ruf loszuwerden, andererseits spielt es den Lobbyisten für amerikanische Firmen“, sagt die frühere Vizepräsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding (CSV), die sich damals intensiv mit der Regulierung der Tech-Giganten beschäftigte. Nach außen halte die Regierung Werte und Datenschutz hoch, „aber bei den Verhandlungen im Hinterstübchen spielen diese keine Rolle mehr“, so die aktuelle CSV-Abgeordnete.
„Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“: Das sei offenbar die Verhandlungstaktik der Luxemburger Regierung, sagt Sven Clement (Piraten). Überraschend sei die Regierungsposition nicht. Schließlich habe die gleiche Regierung dagegen geklagt, dass Amazon in Luxemburg Steuern zahlen müsse.
Erst im Oktober hatte der Abgeordnete eine parlamentarische Anfrage an Finanzminister Pierre Gramegna (DP) gestellt. Sven Clement wollte wissen, ob Google, das den Bau eines Datenzentrums in Luxemburg plant, im Gegenzug Steuervorteile erwarten könne. Die Antwort: Nein. „Es ist ja klar, dass man dann etwas anderes anbieten muss, um den Konzern ins Land zu locken. Google kommt nicht, weil die Wiesen so grün sind und die Sonne so schön scheint“, sagt Clement. Abgesehen von einer vorteilhaften Verhandlungsposition im Rat bliebe da nicht mehr viel als Lockmittel.
Unklar sei, welchen Vorteil sich Luxemburg auf lange Sicht erhoffe, so Sven Clement. „Google bringt keine wirtschaftliche Substanz nach Luxemburg. Das Datenzentrum wird keine qualifizierten Arbeitsplätze schaffen.“ Es handele sich höchstens um ein Prestigeprojekt zum Nation Branding.
Nette Gesten und « schlechte Politik »
Googles Niederlassung ist alles andere als unumstritten. Seit fast vier Jahren laboriert der Konzern am Bau eines Datenzentrums in Bissen bei Mersch. Erst im März dieses Jahres hat das Innenministerium entsprechende Änderungen am Teilbebauungsplan der Gemeinde abgesegnet. Im Juni wurde dieser vom Gemeinderat angenommen.
Das Projekt sorgt bis heute für deutliche Kritik, insbesondere wegen seiner Umweltauswirkungen. Es führte zu politischen Verwerfungen, dem Rücktritt des Bürgermeisters bis hin zu Klagen vor dem Verwaltungsgericht. Aktuell läuft die für den Bau nötige Umweltverträglichkeitsprüfung.
Auffällig ist aber, dass sich Google kaum darum zu bemühen scheint, die Planung voranzutreiben. Vom Umweltministerium geforderte Umweltstudien zum Projekt wurden bisher nicht eingereicht. Auch der konkrete Bauplan fehlt weiterhin. Im Gegenteil: Es ist vielmehr das Wirtschaftsministerium, welches sich um Googles Einzug in Luxemburg bemüht. Die Beziehungen zwischen Google und Luxemburg kamen eher auf staatliche Vermittlung hin zustande als auf Initiative des Internetkonzerns. Es war der damalige Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP), der über eine Agentur an den Konzern herangetreten war.
Luxemburg hilft dabei, dass die Probleme nicht gelöst werden. Und das im Interesse der großen Firmen. Das ist schlechte Politik. »Viviane Reding, CSV-Abgeordnete
Google ist kein Einzelfall, sondern eher ein Déjà-Vu. Bereits mehrmals hatte Etienne Schneider versucht, große Konzerne ins Land zu holen, ist allerdings regelmäßig gescheitert. Dabei mangelte es nicht an netten Gesten: Um den Joghurtproduzenten Fage nach Luxemburg zu locken, hat das Wirtschaftsministerium etwa eigens ein Grundstück von 26,7 Millionen Euro erworben – obwohl der Konzern mit Sitz in Luxemburg gerade mal 450.000 Euro Steuern zahlte.
Vor diesem Hintergrund dürfte es kaum überraschen, dass Luxemburg auch jetzt in die Trickkiste greift. Letztlich hat das Wirtschaftsministerium jedes Interesse daran, Google nicht zu vergraulen, will es seinen Ruf als attraktiver Wirtschaftsstandort nicht gänzlich verlieren.
Dabei dürfte eine stärkere Reglementierung der Digitalkonzerne Luxemburg (und Irland) eigentlich nutzen. Sie sind die Länder, in denen die GAFA ihren Sitz haben und in denen es demnach am meisten zu reglementieren gibt. « Wir brauchen die europäischen Regeln. Alleine sind wir zu klein, um diese Firmen reglementieren zu können », kritisiert die Abgeordnete Viviane Reding. Doch Luxemburg mache die konstruktive Arbeit am Text kaputt oder bremse sie zumindest stark aus. „Luxemburg hilft dabei, dass die Probleme nicht gelöst werden. Und das im Interesse der großen Firmen. Das ist schlechte Politik.“
* Dieser Artikel basiert auf einer Kooperation mit « Europe.Table ». Die ganze Recherche zu den « Geheimnissen des Rats » lesen Sie bei « Investigate Europe ».