Der Wirtschaftsminister verteidigt die geplante Joghurtfabrik in Bettemburg mit einem Verweis auf die hohen Steuern, die der Molkereikonzern in Luxemburg zahlt. Doch er überschätzt die Einnahmen um das Hundertfache.

„Déi Firma Fage huet iwwer 60 Millioune Steieren an de leschten zwee Joer bezuelt, ouni een Dëppche Jughurt hei ze produzéieren“, sagte Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) am Freitag im Streitgespräch auf RTL Telé. Es ist sein Hauptargument für die Joghurtfabrik, die der Molkereikonzern in Bettemburg bauen will.

Nur: Schneiders Zahlen stimmen nicht. Dabei ist es kein einmaliger Ausrutscher. Bereits anlässlich seiner Bilanzpressekonferenz am 10. August sprach er von 60 Millionen Euro. „Das Unternehmen zahlt das Äquivalent eines neuen Lyzeums“, sagte er damals.

450.000 Euro statt 60 Millionen

Ein Blick in die Jahresberichte von Fage zeigen, dass Schneider die Steuereinnahmen deutlich überschätzt. Der Molkereikonzern gibt in der Bilanz der Luxemburger Muttergesellschaft für 2017 keine Ausgaben für die Körperschaftssteuer an. Für das Jahr 2016 verzeichnet das Unternehmen 0 US-Dollar, für 2015 20.677 US-Dollar. Etwas anders sieht es bei der Vermögenssteuer aus. Fage zahlte hier deutlich höhere Summen: 2017 waren es 99.871 Dollar und 2016 immerhin 433.620 Dollar.

2017 gab Fage im Jahresbericht an, weltweit Steuerausgaben von elf Millionen Dollar zu haben. Im Jahr zuvor verrechnete das Unternehmen Steuerkredite, sodass keine Abgaben fällig wurden. Vergangenes Jahr verzeichnete Fage in Luxemburg einen Umsatz von 108 Millionen Euro und einen Gewinn nach Steuern von 27 Millionen Euro.

Egal wie man es dreht und wendet: Fage zahlte keine 60 Millionen Euro an Steuern in Luxemburg. Rechnet man die bekannten Summen an Vermögenssteuern zusammen, dann sind es etwa 530.000 Dollar, umgerechnet 450.000 Euro. Also weniger als ein Hundertstel der Summe, die der Wirtschaftsminister nennt.

Allerdings ist Fage ein guter Kunde des Finanzplatzes: Laut Jahresbericht gab der Konzern 2017 44.000 Dollar für Steuerberater aus, 300.000 Dollar für Rechtsberatung und 616.000 Dollar für Buchprüfer. Es ist anzunehmen, dass zumindest ein Teil davon an die Big Four in Luxemburg floss. EY Luxemburg war etwa 2017 der Buchprüfer des Konzerns.

Die Vorauszahlungen von Fage

Die im Unternehmensregister hinterlegten Dokumente zeigen, dass Fage 2017 und 2016 jeweils 22.150,52 Dollar an Körperschaftssteuer in Luxemburg vorstrecken musste. Die Vorauszahlung bei der Vermögenssteuer betrug 2017 knapp 400.000 Dollar und etwa 750.000 Euro im Jahr davor. Allerdings ist das eine vorläufige Besteuerung, denn die Prüfung der Jahre 2012 bis 2017 durch die Luxemburger Steuerverwaltung stehen noch aus. Die Null in der Bilanz bei den Steuerausgaben bedeutet, dass der Konzern davon ausgeht, die vorgestreckten Summen in späteren Jahren verrechnen zu können.

Eine Zahl aus dem Nichts

Der Sprecher des Ministers konnte auf Anfrage von REPORTER nicht erklären, woher Schneider die Zahl der 60 Millionen Euro hat. Weitere Erklärungen blieben bis zur Veröffentlichung dieses Beitrags aus.

Immerhin der andere Teil von Schneiders Vergleichs – der Preis eines Lyzeums – stimmt in der Größenordnung. Tatsächlich investierte der Staat etwa 60 Millionen Euro in die Renovierung des Lycée Michel Rodange, aber 113 Millionen Euro in das Lycée agricole in Gilsdorf, berichtet „L’Essentiel“.

Diese Größenordnung müsste einen Wirtschaftsminister stutzig machen. Denn es gibt in Luxemburg nur sehr wenige Unternehmen, die den Gegenwert eines Lyzeums innerhalb von zwei Jahren an Steuern zahlen. 2014 gab es lediglich zwei Firmen, die zwischen 40 und 50 Millionen Euro an Körperschaftssteuern zahlten. Zwei weitere Unternehmen zahlten zwischen 30 und 40 Millionen Euro. Das zeigt ein Bericht des Wirtschaft- und Sozialrats. Neuere Zahlen gibt es nicht.

Die Folgen von Luxleaks

Die Joghurtfabrik sei eine Folge von Luxleaks, sagt der Wirtschaftsminister. „Wir reisen mit dem Pilgerstab zu allen Firmen, die in Luxemburg sind, um sie zu überzeugen, Substanz nach Luxemburg zu bringen“, so Schneider. Fage habe sich deshalb entschieden, eine Joghurtfabrik für den Benelux-Raum in Luxemburg zu bauen.

Im Oktober 2012 – mitten in der Schuldenkrise – verlegte das ursprünglich griechische Unternehmen seinen Sitz nach Luxemburg. Das sorgte für bittere Kommentare in der griechischen Presse, wie das „Lëtzebuerger Land“ berichtete. Der damalige Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker nannte es „unmoralisch“, dass „kleine Leute“ unter der Sparpolitik litten und große Vermögen ins Ausland flüchteten.

Das Ende von Steuernischen und eine rasche Entscheidung

Tatsächlich nutzt der Molkereikonzern intensiv die Luxemburger Steuernischen. Dazu zählte vor allem die sogenannte „Patentbox“, die 80 Prozent der Einkünfte aus geistigem Eigentum steuerfrei lässt. Die US-Steuerbehörde befand die Sparmodelle von Fage für unzulässig. Die US-Tochterfirmen zahlten Millionen nach Luxemburg für die Nutzung von Markenrechten. Fage musste schließlich  zehn Millionen Euro Steuern nachzahlen.

Die „Patentbox“ schaffte die Regierung Ende 2015 auf internationalen Druck hin ab – mit einer Übergangsperiode bis 2021. Die Änderung trat am 1. Juli 2016 in Kraft. Etienne Schneider kündigte am 28. Juli 2016 an, dass Fage eine Fabrik in Luxemburg bauen wolle. Einen Monat zuvor hatte das Unternehmen das Grundstück in der Industriezone in Bettemburg erworben.

Etienne Schneider lässt in seinen Wahlkampfreden durchblicken, dass Fage noch mehr Steuern in Luxemburg zahlen würde, sobald es auch eine Produktion in Luxemburg gibt. Das ist allerdings alles andere als sicher. Fage sitzt weltweit auf einem Berg von knapp 60 Millionen US-Dollar an steuerlichen Verlustvorträgen. Das sind Verluste des Unternehmens aus den Jahren zuvor, die es nutzen kann, um mögliche Gewinne in den nächsten Jahren auszugleichen und so keine oder kaum Steuern zu zahlen.