Der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer legt an diesem Dienstag sein Amt nieder. Er wird Innenminister in der neuen deutschen Regierung. Und bestätigt die Eigenständigkeit der CSU – ein Status, den einige Wähler nicht mehr hinnehmen wollen.

Der König dankt ab. Er verlässt die Heimat für das Heimatministerium, tauscht München gegen Berlin. Zehn Jahre herrschte Horst Seehofer in Bayern, am Ende gleicht sein Abgang einer Flucht. Die Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU) traut ihm nicht zu, die absolute Mehrheit bei der kommenden Landtagswahl im Herbst zu halten. Doch in der Niederlage gelingt Seehofer, was in der CSU heilig ist: Er festigt den Sonderstatus der Partei.

Seehofer hat seiner Partei vier Regierungsposten besorgt. Neben drei Ministerien ringt er Angela Merkel noch die Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt ab. Er selbst bekleidet ein gestärktes Innenministerium. Nicht schlecht für eine Partei, die bundesweit nur knapp sechs Prozent der Wählerstimmen zählt. Dabei sah es nach der Bundestagswahl düster aus für die CSU. 38,8 Prozent der Zweitstimmen in Bayern, das schlechteste Wahlergebnis seit 1949. Zwischen Horst Seehofer und seinem designierten Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, Markus Söder, bricht der Machtkampf aus.

Der Streit an der Parteispitze ist bezeichnend für die Besonderheit der CSU. In keinem anderen Bundesland wäre das Interesse an einem Machtwechsel so groß. Die meisten deutschen Ministerpräsidenten kennt fast niemand. Carsten Sieling? Dietmar Woidke? (Brandenburg) Oder Stephan Weil? (Niedersachsen) Die breite Öffentlichkeit kann mit diesen Namen wenig anfangen. Anders in Bayern: Franz Josef Strauß, Edmund Stoiber, Horst Seehofer – der Ministerpräsident des Freistaats ist in der Regel Parteichef der CSU. Und die spielt eine Rolle, die einzigartig ist in der deutschen Politik.

Das Strauß’sche Leitmotiv

CDU und CSU treten gemeinsam bei Wahlen an, die Christsozialen in Bayern und die CDU im Rest der Bundesrepublik. Das Erfolgsrezept funktioniert, die Union hat fünf Bundeskanzler hervorgebracht. Doch die CSU ist mehr als nur eine starke Schwesterpartei. Sie bekleidet eine Sonderstellung, die auf ihren Vorgänger zurückzuführen ist.

Nach dem Ersten Weltkrieg entsteht die Bayerische Volkspartei (BVP). Sie spaltet sich von der Zentrumspartei ab, dem katholischen Vorgänger der CDU, und will „bayrische Sonderinteressen“ vertreten. 1945 gründen ehemalige BVP-Mitglieder die CSU – ihre Interessen, insbesondere die Betonung des Föderalismus und des bayrischen Sonderstatus’, setzen sie fort.

Nach der ersten Bundestagswahl gründen CDU und CSU 1949 ihre Fraktionsgemeinschaft. Die Parteien bestätigen sie nach jeder Wahl neu. Nur einmal, nach der Bundestagswahl 1976, steht die Union kurzzeitig vor dem Aus: Im Machtkampf mit Helmut Kohl will CSU-Chef Franz Josef Strauß die Zusammenarbeit mit der CDU nicht fortzusetzen. Der „Kreuther Trennungsbeschluss“ hält weniger als einen Monat. Die Christsozialen ziehen zurück, als die CDU droht, künftig auch in Bayern anzutreten. Der Streit wird jedoch essenziell für die Eigenständigkeit der CSU.

Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben!“Franz Josef Strauß

Unter Strauß wird die CSU zum konservativen Gewissen, zum rechten Flügel der Union. Zu dem eigenen, auf Bayern gerichteten Selbstverständnis gesellt sich ein weiteres: „Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben!“, sagt Strauß 1986, als die Republikaner in Bayern Wahlerfolge feiern. Während die CDU sich als Volkspartei zur Mitte orientiert, drängt die CSU die rechtskonservative Konkurrenz über den Rand des politischen Spektrums.

Ihre Sonderstellung und ihr Selbstverständnis demonstriert die CSU in den letzten Jahren immer wieder. Als die Alternative für Deutschland (AfD) erste Wahlerfolge feiert, entgegnet die CSU ihr mit dem Strauß’schen Leitsatz. Doch die Wähler legitimieren die AfD demokratisch– erst in den Landtagen, dann im Bundestag.

Und die CSU? Hat das Bedürfnis, unbedingt das Ende des konservativen Spektrums zu sein. Sie schiebt sich mit Seehofer an der Spitze nach rechts. In der Flüchtlingspolitik fährt er einen scharfen Kurs. Er zieht nicht mit der Kanzlerin, sondern gegen sie. Merkel würde einen solchen Affront von keinem anderen Koalitionspartner zulassen, doch die CSU darf. Die Obergrenze für Flüchtlinge ist während Monaten ein Streitpunkt zwischen den Schwesterparteien. Und schafft es am Ende doch in den Koalitionsvertrag.

Eingeschränkte Wahlfreiheit?

Die Sonderstellung der CSU gefällt längst nicht jedem – vor allem denen nicht, die deswegen in ihrer Wahlentscheidung eingeschränkt sind. Die Fraktionsabsprache der Union bedeutet, dass die Christdemokraten in Bayern keine Liste aufstellen. Wer die CDU unterstützen will, muss der CSU seine Stimme geben. Rainer Roth will das ändern. Der Nürnberger Jurist kämpft dafür, die CDU auch in Bayern wählen zu können. „Die Wahlfreiheit ist ein Grundrecht“, sagt er, „und ich verlange vom Staat, mir dieses Recht zu ermöglichen.“

Wäre die CSU bundesweit wählbar, hätte die AfD deutlich weniger Stimmen bekommen.“Rainer Roth

Roth und seine Frau Christine stehen hinter der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, verabscheuen aber die der CSU. Vor der Bundestagswahl 2017 legen sie beim Verwaltungsgericht Wiesbaden Klage gegen den Bundeswahlleiter ein – ohne Erfolg. Das Gericht sieht für das Begehren keine Rechtsgrundlage, weil wegen der föderalen Struktur Deutschlands keine Bundeslisten vorgesehen sind.

Für Roth ist das nicht das Ende, denn mit seiner Forderung ist er nicht allein. Er hat eigener Aussage nach hunderte Zuschriften von Gleichgesinnten erhalten. „Und es geht in beide Richtungen. Auch Menschen aus Sachsen kommen auf uns zu, weil sie die CSU wählen wollen.“ Dass die Bürger bei der Wahl der Parteien limitiert sind, habe schlussendlich das Wahlresultat verzerrt, so Roth. „Wäre die CSU bundesweit wählbar, hätte die AfD deutlich weniger Stimmen bekommen.“

Rainer Roth will mit seinem Anliegen bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. „Es geht um die Frage: Habe ich als Bürger überhaupt einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Wahlfreiheit?“ Doch das zuständige Gericht sieht nur zwei Möglichkeiten, wie er sein Ziel erreichen kann. Entweder wird das deutsche Wahlrecht reformiert oder die CDU tritt freiwillig in Bayern an. Beides ist unwahrscheinlich. Um ihren Sonderstatus muss sich die CSU vorerst keine Sorgen machen.