In Diekirch plant ein privater Bauträger eine Seniorenresidenz, die bei vielen Einwohnern auf Kritik stößt. Ob das Projekt einen gemeinnützigen Zweck erfüllt, ist aus mehreren Gründen umstritten. Damit steht auch die Legitimität der von der Gemeinde erteilten Baugenehmigung infrage.
In der Rue de l’Hôpital in Diekirch sollen schon bald die Bagger anrollen. Die « Seniorenresidenz Nordstad » ist kein gewöhnliches Bauprojekt. Auf einem Grundstück von 46 Ar sollen 37 Wohneinheiten für Menschen ab 60 Jahren sowie Menschen mit einer Beeinträchtigung entstehen. Die Kaufpreise für eine Zwei-Zimmer-Wohnung liegen zum Teil über 900.000 Euro. Die Preise befinden sich demnach deutlich über dem Durchschnittswert für eine Wohnung der gleichen Größe in der Gemeinde.
Die Gemeinde Diekirch erteilte bereits Ende November 2018 eine erste Baugenehmigung. Im Juni 2019 wurde dann eine zweite Genehmigung erteilt. Einige Bürger hinterfragen, ob die politischen Verantwortlichen der Gemeinde das Großprojekt zu Recht bewilligt haben. Wie der Bürgermeister Claude Haagen (LSAP) auf Nachfrage von REPORTER bestätigt, wurden gegen die Entscheidung der Gemeinde zwei Beschwerden und eine Klage eingereicht. Doch dahinter verbergen sich mehrere Punkte, welche die Zweifel der Bürger schüren.
Privates Projekt für allgemeinen Nutzen?
An erster Stelle steht die Frage, inwiefern das Bauprojekt einen gemeinnützigen Zweck erfüllt. Das Gebäude wird auf einem Grundstück gebaut, das ausschließlich für Gebäude mit öffentlichem Nutzen (« utilité publique ») bestimmt ist und kollektive Bedürfnisse abdecken soll. Laut großherzoglicher Verordnung aus dem Jahr 2017 fallen darunter Wohnungen, die sich innerhalb von medizinischen oder paramedizinischen Strukturen befinden, Altenheime, Internate, Wohnungen für Studenten, Sozialwohnungen sowie Wohnungen für Flüchtlinge oder Dienstwohnungen.

Auch im Bebauungsplan ist das Grundstück als Teil der « Zone de bâtiments et d’équipements publics » (BEP) vermerkt. Die Hoffnung einiger Kritiker: Erfüllt das Projekt den hier vorgesehenen Endzweck nicht, könnte die Baugenehmigung der Gemeinde von einem Gericht als ungültig erklärt werden.
Wenn die Bebauungspläne der Gemeinde vage formuliert sind, ist der Interpretationsspielraum des Bürgermeisters sehr groß. »Experte für kommunale Bebauungspläne
Die große Frage lautet also: Ist das private Bauvorhaben mit dem öffentlichen Nutzen vereinbar? Im Fall eines klassischen Altenheims, sprich eines « Centre intégré pour personnes âgées » (CIPA), wäre die Antwort eindeutig positiv. Doch diese Kriterien erfüllt die geplante « Seniorenresidenz Nordstad » nicht.

Anfangs wurden die geplanten Wohnungen in Diekirch als « Logement encadré » vermarktet. Das Projekt wird von der « Seniorenresidenz Diekirch SARL » geleitet, die wiederum der privaten Immobilienagentur « Immo Weydert & Welter SARL » gehört. Um die Vermarktung kümmert sich die « Immobilière Pierre Weydert SA“. Wie REPORTER berichtete, hat dieses Unternehmen bereits mehrfach Einzelwohnungen als « Logement encadré » an ältere Menschen vermarktet, ohne dass die Seniorenresidenzen über die dafür nötige Zulassung des Familienministeriums verfügten.
Im Gespräch mit REPORTER sprach die zuständige Ministerin Corinne Cahen (DP) jüngst von Missbräuchen unter dem Deckmantel des « Logement encadré » in einigen Seniorenresidenzen, « bei denen Menschen die Katze im Sack verkauft wurde“. Die Namen der betroffenen Einrichtungen wollte sie nicht nennen.
Der Dachverband der Pflegedienstleister COPAS reichte Ende 2018 wegen irreführender Werbung der « Immobilière Pierre Weydert S.A. » eine Klage vor Gericht ein. Die COPAS verlor in erster Instanz und legte daraufhin Berufung ein. Unterdessen vermarktet die Immobilienagentur weiter Wohnungen für Senioren – unter dem Begriff « Betreit Wunnen » bzw. « Logement adapté ».
Seniorenwohnungen als lukrative Geldanlage
Die Frage, ob ein Projekt dem Allgemeinwohl dienlich ist, unterliegt in erster Linie der Einschätzung des Bürgermeisters bei der Vergabe der Baugenehmigung. Für Bürgermeister Claude Haagen (LSAP) bestehen keine Zweifel an der « utilité publique » des geplanten Gebäudes. « Die Wohnungen sind für Menschen gedacht, die die Bedingungen für ein ‘Logement encadré’ erfüllen », sagt er. « Ich denke, dass der Bauträger eine amtliche Genehmigung des Familienministeriums für ein ‘Logement encadré’ hat. »
Eine Webseite der Regierung listet die anerkannten betreuten Wohnungen des Landes auf. Eine Seniorenresidenz in Diekirch ist dort nicht aufgeführt. Nicht nur das: Laut Informationen von REPORTER hat das Familienministerium den besagten Immobilienmakler davor gewarnt, den Begriff „Logement encadré“ weiter zu nutzen. Man wolle verhindern, dass fälschlicherweise mit dieser rechtlich geschützten Bezeichnung zur Verwirrung und Gutgläubigkeit der älteren Bevölkerung beigetragen und zum Wohnungkauf angeregt werde, heißt es.
Auch ein Privatunternehmen kann ein Gebäude für einen öffentlichen Nutzen bauen. Sonst dürfte ja auch keine private Baufirma ein Krankenhaus bauen. »Bürgermeister Claude Haagen (LSAP)
Inwieweit eine Residenz, die aus 37 private Wohneinheiten besteht, unter das Prädikat des allgemeinen Nutzens fällt, stellen jetzt einige Anwohner infrage. Zumal diese Wohnungen nicht ausschließlich von Menschen über 60 Jahren oder einer Beeinträchtigung erworben werden müssen. „Auch Kapitalanleger sind herzlichst eingeladen, sich dieses zukunftsorientierte Projekt präsentieren zu lassen, welches eine gute Rendite verspricht“, hieß es Anfang September in einer Werbeanzeige der Immobilienagentur im « Luxemburger Wort ».
Eine Frage der Zuständigkeiten
Für die Einhaltung der kommunalen Bebauungspläne ist das Innenministerium zuständig. Die Frage, ob eine solche Residenz überhaupt auf einer Zone für Gebäude mit öffentlichem Nutzen errichtet werden darf, wollte dieses auf Anfrage hin nicht pauschal beantworten. Die Tatsache, dass ein Gebäude von einer Privatfirma gebaut werde, sei für das Kriterium der « utilité publique » nicht ausschlaggebend, betont der Leiter für kommunale Bebauung im Ministerium, Frank Goeders.
Dennoch ist er in einem Punkt kategorisch: „Ausgeschlossen sind klassische Wohnungen. Dies bedeutet in der Praxis, dass bei der Erstellung der Baugenehmigung geprüft werden muss, ob es sich um eine sogenannte Residenz mit Einzelwohnungen, ein Altersheim oder eventuell eine Seniorenresidenz handelt. » Eine Seniorenresidenz kennzeichne sich unter anderem durch speziell für Senioren eingerichtete Wohnungen mit Gemeinschaftsräumen, sagt er.
Bezüglich der Baugenehmigung, die einige Anwohner anfechten, unterstreicht Frank Goeders aus dem Innenministerium: „Die Baugenehmigung muss mit den Bauvorschriften konform sein.“ Dabei müsse sich der Bürgermeister allerdings auf seinen Kompetenzbereich beschränken. Alles, was in den Zuständigkeitsbereich eines Ministeriums falle, etwa die Vergabe von Zulassungen als « Logement encadré », liege nicht im Kompetenzbereich eines Bürgermeisters und sei demnach auch nicht von ihm zu entscheiden.
Opposition bemängelt Intransparenz
Für den LSAP-Bürgermeister Claude Haagen ist unterdessen klar: « Auch ein Privatunternehmen kann ein Gebäude für einen öffentlichen Nutzen bauen. Sonst dürfte ja auch keine private Baufirma ein Krankenhaus bauen. » Doch der Vergleich hinkt, denn im Fall der privaten Seniorenresidenzen, die zum Teil deutlich über Marktpreisen verkauft werden, fließt der Gewinn aus den Wohnungsverkäufen in private Hände.
Mehrere Gemeinderäte von Diekirch beschweren sich unterdessen im Gespräch mit REPORTER über die Intransparenz des Schöffenrats in dieser Angelegenheit. Zum Bau der Residenz habe es bisher nur wenige Informationen gegeben, so ein Gemeinderatsmitglied der Opposition, das anonym bleiben will. « Wie das Endresultat aussehen wird, sehen wir erst, wenn das Gebäude steht. Wir werden da komplett im Dunkeln gelassen. » Die LSAP stellt in Diekirch nicht nur den Bürgermeister, sondern mit absoluter Mehrheit im Gemeinderat auch alle Schöffen.
Weite Auslegung des Denkmalschutzes
Ein weiterer strittiger Punkt: Das Grundstück liegt in einer kommunal geschützten Zone, in der sich jeglicher Neubau in den aktuellen Bestand des unmittelbaren Umfeldes integrieren muss. Gleich neben der geplanten Seniorenresidenz steht etwa das « Pensionnat Notre-Dame de Lourdes », das 1907 errichtet wurde. Dieses Gebäude wurde vom « Service des sites et monuments nationaux » 2018 unter Denkmalschutz gestellt.

Im allgemeinen Bebauungsplan von 2016 wurde festgehalten, dass eine Renovation oder ein Neubau in dieser Zone den bestehenden Charakter der Umgebung nicht beeinträchtigen darf. Dennoch wird dort nun eine neue Residenz gebaut, die laut den Plänen etwa doppelt so groß wie das Pensionat werden soll. Auf der Seite der Immobilienfirma, die die Wohnungen vermarktet, ist klar erkennbar, dass das Gebäude in einem modernen Baustil entstehen wird. Die Parzelle ist rund 60 Meter breit, das Gebäude wird sich über drei Stockwerke erstrecken. Dem Neubau soll außerdem ein Gebäude weichen, das von der Gemeinde als erhaltenswert klassiert wurde.

Ob eine solche Auslegung des Denkmalschutzes mit dem allgemeinen Bebauungsplan PAG in jedem Punkt übereinstimmt, ist fraglich. Denn im PAG von Diekirch ist so einiges unpräzise formuliert. « Wenn die Bebauungspläne der Gemeinde vage formuliert sind, ist der Interpretationsspielraum des Bürgermeisters sehr groß », so die Einschätzung eines Experten für kommunale Bebauungspläne.
Zwei große Bauprojekte in einem
Die Plakate, die das Bauprojekt der Seniorenresidenz in der Rue de l’Hôpital in Diekirch vorstellen, lassen in einem weiteren Punkt aufhorchen. Diese stehen nämlich nicht auf dem Grundstück, auf dem die Seniorenresidenz entstehen soll, sondern auf der Parzelle des « Pensionnat Notre-Dame de Lourdes » nebenan. Die Plakate zeigen einerseits die zukünftige Bauform der Seniorenresidenz und andererseits die zukünftige Renovierung des Pensionats selbst.
Fest steht: Sowohl das Grundstück für die Residenz als auch das Grundstück, auf dem das Pensionat steht, wurden vor Kurzem von den Schwestern der Doctrine Chrétienne an die Firmen « Seniorenresidenz Diekirch SARL » und « MR Diekirch SARL » verkauft. Beide Firmen gehören der « Immo Weydert & Welter SARL » . Die Geschäftsführer und wirtschaftlichen Eigentümer für beide Firmen sind die selben Personen.
Im alten « Pensionnat » soll eine Maison-Relais entstehen. Die Gemeinde hat eine Konvention mit « MR Diekirch SARL » unterschrieben, die festhält, dass die Gemeinde Diekirch die Maison-Relais im Pensionat während 25 Jahren mieten kann. Laut Vertrag, der REPORTER vorliegt, ist ein jährlicher Mietpreis von rund 1.350.000 Euro festgehalten. Das sind über 110.000 Euro im Monat. Im Vertrag gibt es ebenfalls eine Kaufoption*. Dafür soll der Wert des Gebäudes nach Fertigstellung der Renovation gelten. Das Übereinkommen wurde am 6. Juni 2019 unterschrieben. Am 14. Juni 2019 stellte die Gemeinde eine neue Baugenehmigung für die Seniorenresidenz nebenan aus.
Im Lichte der beiden Bauprojekte wirft die Opposition in Diekirch die Frage auf, ob der Bürgermeister möglicherweise bewusst im Interesse des Immobilienmaklers gehandelt hat. Auf die Frage, ob ihm nicht aufgefallen sei, dass die zwei Firmen von den gleichen Geschäftsführern geleitet werden, sagt Bürgermeister Claude Haagen: « Das fällt nicht in meinen Kompetenzbereich ». Es sei nicht seine Aufgabe, einzelne Firmen zu durchleuchten oder infrage zu stellen. Er erteile lediglich Baugenehmigungen, für alle, die sich an die Vorschriften halten. Die Antwort auf die Frage, ob sich jeder an die Vorschriften gehalten hat, wird in Diekirch jedoch erst einmal eine Angelegenheit der Gerichte sein.
* Korrektur: Der jährliche Mietpreis, den die Gemeinde für die Maison Relais laut Vertrag zahlen muss, liegt nicht bei 135.000 Euro, sondern bei 1.345.000 Euro. Das wären 112.000 Euro pro Monat.
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