Der Kauf einer dem Alter angepassten Wohnung scheint für viele Senioren eine interessante Alternative zum Altersheim. Doch hinter den privaten Angeboten für « betreutes Wohnen » verbergen sich zum Teil fragwürdige Geschäftsmodelle. Der politische Wille zu mehr Kontrolle fehlt weiterhin.

„Meine Frau und ich waren komplett gesund, als wir hier im Dezember 2016 einzogen. In dieser Wohnung sind wir beide krank geworden.“ Herr Walter* sitzt in seinem Sessel und schaut in sein Wohnzimmer. „Styropor, Plastik, Laminat: Das Billigste vom Billigsten“, sagt er. „Und das bei den Kaufpreisen. Wir sind hier alle übers Ohr gehauen worden.“

Als das Ehepaar Walter vor knapp zehn Jahren die Entscheidung traf, in die geplante « Seniorenresidenz » in Mertzig zu investieren, glaubten sie den Versprechungen aus dem Werbeprospekt: Sie stellten sich vor, Teil eines Projekts mit einer altersgerechten Infrastruktur zu werden. Mit gleichgesinnten Bewohnern im hausinternen Restaurant gemeinsam zu essen, Spielnachmittage miteinander zu verbringen und bei Bedarf gesundheitlich versorgt zu werden.

« Betreit Wunnen – Logement adapté », heißt das Konzept der federführenden Immobilienagentur, die quer durch das Land für solche Residenzen wirbt. Den Käufern, der « Generation 60+ », werden die Wohnungsprojekte als attraktive Alternative zum gewöhnlichen Altersheim präsentiert. Doch nicht wenige der Bewohnerinnen und Bewohner bereuen später ihre Kaufentscheidung. Denn die Leistungen entsprechen entweder nicht dem, was sie sich erwarteten oder sind nur zu beträchtlichen Aufpreisen zu erhalten.

Bürgermeister spricht von « Täuschung »

So auch im Fall der « Seniorenresidenz » in Mertzig. Der Kaufpreis habe sich im Nachhinein als völlig überhöht herausgestellt, erzählt Herr Walter. Auch die Nebenkosten stünden in keinem Verhältnis zu den Leistungen. « Wir haben ständig Ärger mit den externen Pflegediensten und der Hausverwaltung », betont er. Viele der versprochenen Dienstleistungen hätten sich nach und nach als leere Versprechungen entpuppt. „Wir wurden betrogen und keiner kann verantwortlich gemacht werden. Diese Hilflosigkeit macht wütend“, fasst er die Lage zusammen.

Der Bauherr hat mit dem Geld unserer älteren Bevölkerung gespielt, er hat sie mit Versprechungen, die nicht gehalten wurden, getäuscht. »Mike Poiré, Bürgermeister der Gemeinde Mertzig

„Ein ganz trauriges Thema“, sagt Mike Poiré, als er von Reporter.lu auf die Stimmung in der « Seniorenresidenz » angesprochen wird. Der Bürgermeister des rund 2.300-Einwohner-Dorfes kann die Sorgen der Bewohner und Bewohnerinnen gut verstehen: Statt des versprochenen Restaurants ist eine Kindertagesstätte in die Räumlichkeiten gezogen. Die vier Ladenflächen im Untergeschoss, in denen die Bewohner bereits einen Friseur, einen Physiotherapeuten oder auch einen Blumenladen sahen, stehen bis heute leer. Und die Pauschale für die Pflegedienste, die auch ohne Bedarf gezahlt werden muss, liegt bei mehreren hundert Euro monatlich. „Das Preis-Leistungs-Verhältnis in dieser Residenz ist völlig schief“, urteilt auch der Bürgermeister.

Mertzig taucht wegen der geringen Anzahl an Kauftransaktionen pro Jahr nicht in den Statistiken des « Observatoire de l’Habitat » auf. Doch laut Bürgermeister Mike Poiré lagen die Kaufpreise für die Wohnungen in der Seniorenresidenz um ein Drittel höher als sonst in der Gemeinde üblich. 707.000 Euro hat Herr Walter für seine 116 Quadratmeterwohnung bezahlt, das sind über 6.000 Euro pro Quadratmeter. „Der Bauherr hat mit dem Geld unserer älteren Bevölkerung gespielt, er hat sie mit Versprechungen, die nicht gehalten wurden, getäuscht“, so Mike Poiré.

Verantwortung für das Dilemma übernehmen, will der Bürgermeister jedoch nicht. „Ich habe das Projekt von meinem Vorgänger geerbt“, sagt er. „Es handelt sich um Immobilien auf dem freien Markt, da hat die Gemeinde im Nachhinein keine Handhabe mehr.“

Das Geschäft mit den « Seniorenresidenzen »

Ihren Lebensabend hatten sich die Walters jedenfalls anders vorgestellt. Ebenso wie die meisten der Bewohnerinnen und Bewohner des von der Agentur « Immobilière Pierre Weydert » vermarkteten « logement adapté » in Mertzig.

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass solche private « Seniorenresidenzen » für Unmut sorgen. Ein anderes Projekt in Diekirch, an dem der Unternehmer Pierre Weydert ebenfalls beteiligt ist, wurde kürzlich vom Verwaltungsgericht gekippt. Die Richter waren zum Schluss gekommen, dass die Baugenehmigung für eine geplante Seniorenresidenz in der Stadt zurückgezogen werden müsse. Der Grund: Das Kriterium des öffentlichen Nutzens sei nicht erfüllt und verstoße somit gegen den allgemeinen Bebauungsplan (PAG). Reporter.lu berichtete 2019 erstmals über die Angelegenheit.

Die Ladenflächen in der « Seniorenresidenz » in Mertzig stehen seit Jahren leer und versinnbildlichen für manche Bewohnerinnen und Bewohner die Fragwürdigkeit des ganzen Projektes. (Foto: Eric Engel)

Dabei antworten die Geschäftsmodelle der Residenzen durchaus auf einen gesellschaftlichen Trend. Die Frage nach einem Umzug im Alter stellen sich viele Menschen. Sie stehen dann vor der Entscheidung, eventuell ihr Familienheim zu verkaufen und in eine altersgerechte Wohnung zu investieren. Doch die vom Ministerium anerkannten Alten- und Pflegeheime sind nicht immer eine Option. Zum einen sind die Plätze begrenzt, zum anderen wünschen sich zumindest nicht akut pflegebedürftige Senioren oft eine Wohnstruktur, die zwar an ihre Bedürfnisse angepasst ist, sie jedoch weiterhin autonom und selbstständig leben lässt.

Immobilienagenturen haben das Bedürfnis nach angemessenen Wohnformen für ältere Menschen längst als lukratives Geschäft erkannt. Das Angebot an nicht reglementierten Seniorenwohnungen boomt. Geworben wird mit Wohnmodellen, die einerseits die Vorteile einer gemeinschaftlichen Wohnform versprechen und andererseits die Individualität und Selbstständigkeit potentieller Käufer groß schreiben. Dabei werden die strahlenden Gesichter aus den Hochglanzprospekten gerne zur Projektionsfläche. Umso ernüchternder ist es, wenn die Fassade zu bröckeln beginnt und der Kauf sich für viele Betroffene als Mogelpackung entpuppt.

Verwirrung durch kaum geschützte Begriffe

Was können Betroffene konkret tun? Oder wie können ähnliche Fälle in Zukunft verhindert werden? Das Familienministerium argumentiert ähnlich wie die Gemeinde und verweist auf das Gesetzesvorhaben 7524 zur Qualität der Dienstleistungen für ältere Menschen. Durch das neue Gesetz sollen zumindest all jene Strukturen geschützt und stärker reglementiert werden, die über eine Zulassung des Ministeriums verfügen. Hierbei handelt es sich um 30 integrierte Zentren für ältere Menschen, 22 Pflegeheime und elf so genannte „Logements encadrés“ mit insgesamt etwa 6.000 Betten.

Die fertiggestellten privaten « logements adaptés » in Mertzig, Berdorf oder Kehlen gehören demnach nicht dazu. „Das Wort ‘Seniorenresidenz’ taucht in unseren Gesetzestexten überhaupt nicht auf“, präzisiert Claude Sibenaler, der im Familienministerium für die Belange von Senioren verantwortlich ist, im Interview mit Reporter.lu. Doch gerade die unterschiedliche Benennung von Immobilien für ältere Menschen sorgt bei den Betroffenen für Verwirrung. Nicht immer ist sofort ersichtlich, ob es sich um eine vom Ministerium zugelassene Struktur handelt oder eben nicht.

Wir wurden betrogen und keiner kann verantwortlich gemacht werden. Diese Hilflosigkeit macht wütend. »Ein Bewohner der « Seniorenresidenz » in Mertzig

In dieser Lage überbieten sich Immobilienfirmen auf dem freien Markt mit neuen Wortschöpfungen, die Senioren täuschen können. Während der Begriff „Logement encadré“ zwar geschützt ist, sind es „betreit wunnen“ oder „logement adapté“ nicht. Die Begriffe sind frei nutzbar, was sich dahinter tatsächlich verbirgt, und was nicht, liegt allein im Ermessen der Bauträger.

Im geplanten Gesetz sollen nun zumindest alle vom Ministerium zugelassenen Strukturen einheitlich als „Wohnstrukturen für ältere Personen“ klassifiziert und in einem Register aufgeführt werden. Die ursprünglich im Regierungsprogramm vorgesehene Neudefinition eines „logement encadré“ ist jedoch „wegen der Schwierigkeiten in der Praxis“ verworfen worden. Damit könnte das Problem der Verwechslungsgefahr zwischen den unterschiedlichen Modellen bestehen bleiben.

Politik verweist auf den « freien Markt »

Die Reglementierung von Immobilien für ältere Menschen, die ohne ministerielle Zulassung auf dem Markt sind, findet in dem Gesetzentwurf ohnehin nur am Rande Erwähnung. So sieht Kapitel 8 nur vor, dass solche Gebäude gewisse Anforderungen bei der Zugänglichkeit sowie dem Notfallsystem erfüllen müssen. „Mehr können wir nicht tun“, sagt der hohe Beamte aus dem Familienministerium. „Bei vielen Immobilien, die auf dem freien Markt für Senioren konzipiert werden, handelt es sich um reine Miteigentümerschaften.“

Das in den Werbeprospekten suggerierte, abwechslungsreiche Gemeinschaftsleben in der « Seniorenresidenz » in Mertzig entpuppt sich für viele Bewohner als Illusion. (Foto: Eric Engel)

Damit wälzt die Regierung die Verantwortung letztlich auf den freien Immobilienmarkt ab. Auch Gemeinden können oder wollen ihre ältere Bevölkerung nicht vor missverständlichen Immobilienangeboten bewahren. Jüngstes Beispiel ist die Reaktion des Bürgermeisters von Diekirch, Claude Haagen (LSAP), auf das besagte Urteil des Verwaltungsgerichts. Claude Haagen möchte nun – gemeinsam mit den verantwortlichen Bauunternehmern Pierre Weydert und Tom Welter – Berufung gegen das Urteil einlegen, wie das « Luxemburger Wort » jüngst berichtete.

Begrenzter Schutz der Verbraucher

Der Rechtsstreit in Diekirch veranschaulicht die unterschiedlichen, oft diametral entgegengesetzten Interessen der Beteiligten eines solchen Bauprojekts. « Werbung ist dazu da, alles schön zu malen », warnt eine Mitarbeiterin aus dem Ministerium für Konsumentenschutz, das in der Vergangenheit bereits Werbevideos des Unternehmers Pierre Weydert auf irreführende Inhalte geprüft hatte. « Wir raten immer Expertenmeinungen einzuholen, bevor in eine Immobilie investiert wird », sagt die Mitarbeiterin. Im Nachhinein Beschwerden einzulegen, sei selten erfolgversprechend.

Das bestätigt auch Navid Poushanchi, Jurist bei der « Union Luxembourgeoise des consommateurs » (ULC): „Probleme zwischen Bauträgern und Käufern machen die meisten Beschwerden aus, mit denen wir zu tun haben“, sagt er. „Wir können zwar eine Vermittlerrolle einnehmen, einen Brief an die Gegenpartei aufsetzen oder auch Teile eventueller Gerichtskosten übernehmen“, erklärt der Jurist. Dennoch rät auch er ausdrücklich zu Vorsicht und genauer Prüfung vor dem Kauf.

Eine Klage zieht Herr Walter nicht in Betracht. « Das dauert doch alles viel zu lange », sagt er. Heute ist er überzeugt, dass der Kauf der Wohnung samt in Aussicht gestelltem « Rundumsorglos-Paket » in Wahrheit eine folgenschwere Fehlentscheidung war. « Im Nachhinein ist man immer schlauer », sagt Herr Walter dazu. « Kaufen würde von uns hier sicher heute keiner mehr. Ich hoffe nur, dass meine Kinder die Wohnung wieder loswerden, wenn ich nicht mehr sein sollte. »

Der Unternehmer Pierre Weydert, dessen Gesellschaft « Immobilière Pierre Weydert S.A. » für die Vermarktung des Konzepts « logement adapté » unter anderem in Mertzig verantwortlich war, ließ eine Anfrage zur Stellungnahme für diesen Artikel unbeantwortet.

* Name von der Redaktion geändert.


Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Artikels wurde der Unternehmer Pierre Weydert als « Bauherr » der « Seniorenresidenz » Mertzig bezeichnet. Das ist nicht korrekt. « Maître d’ouvrage » des Projekts ist die « Seniorenresidenz Mäerzeg Sàrl », in der Pierre Weydert laut dem Handelsregister bis 2014 als Geschäftsführer aufgeführt wurde. Die Immobilienfirma « Immobilière Pierre Weydert S.A. » war zudem für die Vermarktung des Projekts zuständig und ist laut eigenen Angaben auf ihrer Webseite auch verantwortlich für die Plattform « logementadapte.lu », ehemals « logementencadre.lu ».

Nach der Veröffentlichung dieses Artikels meldete sich eine Sprecherin der « Immobilière Pierre Weydert S.A. » und wies darauf hin, dass ein Vergleich zwischen der « Seniorenresidenz » in Mertzig und dem im Artikel ebenso erwähnten, gestoppten Großbauprojekt in Diekirch nicht zulässig sei, weil das Unternehmen nicht Bauherr des Projekts in Mertzig sei. Richtig ist allerdings, dass Pierre Weydert bei beiden Projekten als Geschäftsführer auftrat.

Gleichzeitig entfernte die Firma offenbar das Mertziger Projekt aus der Rubrik « Projets réalisés » von ihrer Webseite. Allerdings lässt sich per Webarchiv-Suche nachvollziehen, dass das Projekt in Mertzig bis vor kurzem durchaus auf der Webseite « logementadapte.lu » aufgelistet war. Auf der gleichen Webseite wird die « Immobilière Pierre Weydert S.A. » als Kontaktadresse für die Seniorenresidenz-Projekte und im Impressum als verantwortliches Unternehmen für die Seite « logementadapte.lu » angegeben.


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