Journalisten zur Seite stehen, die aufgrund ihrer Enthüllungen verklagt, bedroht oder eingeschüchtert werden: Das ist das Ziel der belgischen Vereinigung Xpress. Ein Gespräch mit dem Gründungsmitglied Thierry Denoël.
Interview: Charlotte Wirth
Herr Denoël, wieso haben Sie Xpress gegründet?
In letzter Zeit wurde mehrfach gegen Journalisten geklagt und es wurden auch Beschwerden gegen Journalisten in unserem Umfeld vor den belgischen « Conseil de déontologie journalistique » gebracht. Dabei geht es um große investigative Recherchen, etwa den Publifin-Skandal um den Geschäftsmann und ehemaligen Bürgermeister der Stadt Ans, Stéphane Moreau. Die Journalisten David Leloup und Tom Cochet, die die Affäre aufgedeckt haben, wurden systematisch bedroht, gegen sie wurden gleich mehrere Beschwerden und Klagen eingereicht. Wir wollen Journalisten, aber auch Whistleblowern und anderen Quellen helfen, die brutal und systematisch schikaniert werden.
Zur Person
Thierry Denoël ist investigativer Journalist beim belgischen Magazin Le Vif/L’Express. Dort schreibt er insbesondere über Wirtschaftsthemen, etwa über Belgiens Umgang mit den libyschen Gaddafi-Fonds. Zusammen mit den Journalisten Mehmet Koksal und Bram Souffreau hat er « Xpress » gegründet, um Journalisten, Quellen, und Hinweisgeber zu unterstützen.
Wie kann Xpress konkret helfen?
Unser erstes Ziel ist es, Einschüchterungsversuche öffentlich zu machen. Das ist bereits ein Weg, um zurückzuschlagen. Denn wenn ein Journalist schikaniert wird, steht er zumeist alleine da. Die Öffentlichkeit weiß davon in der Regel nichts. Auf die Fälle aufmerksam zu machen, schafft auch eine gewisse Solidarität. Wir vermitteln den Betroffenen, dass sie nicht alleine sind. Den Fall von David Leloup haben wir etwa bereits auf unserer Homepage offen gelegt. Wir wollen die Betroffenen aber auch finanziell unterstützen, ihnen beratend zur Seite stehen und ihnen juristische Hilfe anbieten, etwa durch ehrenamtliche Anwälte. Auch eine psychologische Unterstützung wäre vorstellbar. Man denke nur daran, was Halet, Deltour und Perrin im Zuge der Luxleaks-Affäre durchgemacht haben. Und wir könnten zum Beispiel dafür sorgen, dass die Recherchen der betroffenen Journalisten weitergeführt werden – etwa durch Stipendien oder Journalistenfonds. Zudem wollen wir die Öffentlichkeit für die Bedrohung von Journalisten und Hinweisgebern sensibilisieren. Es geht also nicht nur darum, Journalisten zu helfen, sondern auch deren Quellen, sowie Whistleblowern. Gerade sie sind zur Zeit auf sich alleine gestellt.
Wie entscheiden Sie, welche Fälle Sie aufgreifen?
Wir haben in unseren Statuten klare Kriterien ausgearbeitet, nach denen wir uns richten. Und letztlich entscheidet dann der Vorstand über die Anfragen. Wir wollen eine Dynamik ins Rollen bringen und hoffen, dass viele Journalisten den Weg zu uns finden. Unser Wunsch wäre es, dass in anderen Ländern ähnliche Initiativen entstehen. Dass man also ein Netzwerk aufbauen kann. In Italien gibt es bereits seit langem ein ähnliches Projekt, aber dort sind die Probleme nochmals andere: Dort ist es insbesondere die Mafia, die Journalisten bedroht.
Haben Sie das Gefühl, dass die Einschüchterung von Journalisten zunimmt?
Die Beschwerden vor dem Deontologierat hier in Belgien haben ganz klar zugenommen. Und immer mehr davon erweisen sich als unbegründet. Vor wenigen Jahren wurde vielleicht ein Drittel zurückgewiesen. Heute befindet der Rat rund die Hälfte der Beschwerden für gegenstandslos. Problematisch ist auch, dass es immer mehr die öffentlichen Behörden sind, die Beschwerde einreichen. Natürlich haben wir in letzter Zeit in Belgien viele Skandale aufgedeckt. Aber das ist auch im Geiste der Zeit, in Frankreich etwa sieht man eine ähnliche Entwicklung mit Mediapart und anderen Medien. Auch die Art, wie über die Presse geredet wird, hat sich deutlich verändert. Das liegt nicht nur an Donald Trump. Auch in Europa wird die Presse zunehmend von Politikern zum Feindbild erklärt, etwa in Ungarn oder in Italien. In Belgien ist das noch anders, und trotzdem: Die Hemmschwelle sinkt. Als wir über die in Belgien beschlagnahmten libyschen Regierungsgelder geschrieben haben, die abhanden gekommen sind, hat uns der Minister Didier Reynders der „Fake News“ beschuldigt. Das ist bedrückend. Die Reaktionen auf das, was Journalisten veröffentlichen und aufdecken, sind insgesamt aggressiver geworden.