Mit vereinten Kräften wollen die ADR und die aus dem Referendum entstandene Protestbewegung « Wee 2050 » in die Parlamentswahlen ziehen. Sie sehen sich als Vertreter der Mehrheit des Volkes. Das sind sie nachweislich nicht.

„Mir sinn déi politesch Mëtt.“ Das Motto der Initiative „Wee 2050/Nee 2015“ ist bereits so griffig wie ein Wahlspruch. Gut möglich, dass die ADR sich den Slogan bei den Wahlen im Oktober zu eigen machen wird. Man hat ohnehin den Eindruck, dass mit der vor zwei Wochen angekündigten Kooperation zwischen Partei und Bewegung zusammenwächst, was längst zusammengehört.

Angefangen hat alles mit dem ersten Date während der Referendumskampagne 2015. Je weiter die politische Kampagne voranschritt, desto näher kamen sich die Gegner des Ausländerwahlrechts. So erzählt es auch die Protestinitiative auf ihrer Homepage. Im Vorfeld des Referendums sei „keine faire und ausgeglichene Debatte möglich“ gewesen. Dank der Macht der sozialen Medien habe man es allerdings geschafft, die „Stimme der politischen Mitte“ zu erheben und das Volk noch rechtzeitig „wachzurütteln“.

Die ADR erzählt den Gründungsmythos der angestrebten rechten Sammlungsbewegung ganz ähnlich. Nur sie habe beim Referendum „die 80 Prozent des Volkes vertreten“, rief Gast Gibéryen einst den Mitgliedern auf einem Parteikongress zu. „Nur die ADR“, ist dabei nicht nur ein gefälliger Seitenhieb gegen die in dieser Frage zögerlicher agierende CSV, sondern vor allem ein machtvolles rhetorisches Mittel. Es soll heißen: „Nur wir vertreten die Interessen des wahren Volkes.“

„Vertreter der Mehrheit des Volkes“

Dieser politisch-moralische Alleinvertretungsanspruch ist gewissermaßen die Quintessenz des modernen Populismus, wie es nicht erst der deutsche Politologe und Autor Jan-Werner Müller (Was ist Populismus?) feststellte. Léonie de Jonge, luxemburgische Politikwissenschaftlerin an der Universität Cambridge, nennt es den „Wir-gegen-sie“-Diskurs. In Luxemburg würde die ADR dieses „Stilmittel der Populisten“ öfter gebrauchen als andere Parteien.

Vor dem Referendum hatte die ADR den proto-populistischen Diskurs für sich wiederentdeckt und mithilfe der sie treibenden Anhänger von „Nee 2015“ verinnerlicht. Entscheidend war aber das Resultat der Volksbefragung. Denn erst als feststand, dass die Luxemburger die Einführung des Ausländerwahlrechts mit 80 Prozent – bzw. um genau zu sein, mit 78,02 Prozent – abgelehnt hatten, war der Mythos der Bewegung der „politischen Mitte“, die sich ihr Volk wieder zurückholte, geboren. Und das national-identitäre Lager bekam Schnappatmung.

Auch Fred Keup, der Wortführer der Nein-Kampagne, macht sich diesen Diskurs zu eigen. Im Gespräch mit REPORTER macht er das deutlich. Was heißt „politische Mitte“? Nach kurzem Nachdenken kommt der Satz: „Wir vertreten das, was die Mehrheit des Volkes denkt.“ Besser könnte man die Überzeugung derer, die sich durch das dreifache Nein beim Referendum zu höherer politischer Aktivität berufen fühlten, wohl nicht auf den Punkt bringen.

„Latenter Überfremdungsdiskurs“

Und dabei beschränkt sich Keup nicht nur auf das Ausländerwahlrecht. Auch bei der Frage der Luxemburger Sprache oder der Wachstumskritik, also seinen heutigen Hauptthemen, vertrete seine Bewegung die Mehrheit des Volkes. Auf die Frage, wie man das denn wisse, argumentiert Keup hier allerdings lediglich mit „Umfragen“. Auch die Ablehnung der Kritik des „unkontrollierten Wachstums“ bewege sich im Bereich „zwischen 60 und 90 Prozent“, behauptet der Mann, der auf der ADR-Liste im Süden für die Parlamentswahlen kandidieren soll.

Dabei fällt auf, dass Keup den Begriff „Wachstum“ nicht wie gewöhnlich in erster Linie in ökonomischer Hinsicht verwendet. Für ihn ist Wachstum gleich Bevölkerungswachstum. Die wirtschaftliche oder gar die soziale Komponente interessiert ihn weniger. Wenn er von „unkontrolliertem Wachstum“ spricht, meint er die „Tausenden Menschen“, aber vor allem die „8.000 Grenzgänger“, die das Land jedes Jahr mit Hinblick auf den Verkehr, die Infrastrukturen und die Umwelt „verkraften“ müsse.

Wie will man dieses Wachstum bremsen? Keup kennt die Grenze des guten politischen Geschmacks ganz genau. Und er macht stets kurz davor halt. „Da muss man schauen, was möglich ist“, sagt er. Aber so viel steht fest: Für Geburtenkontrolle oder eine Ein-Kind-Politik für Luxemburger Familien treten weder Keup noch die ADR ein.

Die ADR und auch Keup führen zwar einen latenten Überfremdungsdiskurs, sind aber nicht extrem und auch nicht ausländerfeindlich.Léonie de Jonge, Politologin

Mit seinen grenzbewussten Thesen bestätigt Keup allerdings die Auffassung von Populismusforschern, wonach die ADR nicht mit rechtspopulistischen Parteien in Europa vergleichbar ist. Auch für Léonie de Jonge, die über den Vergleich des Rechtspopulismus in den Benelux-Staaten promoviert, ist ein Vergleich mit Parteien wie der „Alternative für Deutschland“ (AfD) oder dem „Front National“ abwegig. « Die ADR und auch Keup führen zwar einen latenten Überfremdungsdiskurs, sind aber nicht extrem und auch nicht ausländerfeindlich. »

Wenig überraschende Kooperation

Eine Radikalisierung wie im Fall der AfD sieht die Politologin ebenso nicht. Zu den Gründen zählt sie die aufmerksame und mehr als anderswo bisher erfolgreich auf politische Korrektheit bedachte politische Öffentlichkeit – also sowohl der anderen Parteien als auch der Medien. Und auch die ADR selbst ist laut de Jonge „meistens sensibel“ was Grenzüberschreitungen betrifft. Der Parteiausschluss von Joé Thein sei dafür nur ein Beispiel.

Die besagte Kooperation bei den kommenden Wahlen sei jedenfalls für beide Seiten sinnvoll, so de Jonge. In die ADR bringe Fred Keup „all seine Fans mit“. Und der 37-Jährige habe im Gegensatz zu seinen Mitstreitern beim „Wee“ selbst „eine reale Chance, ins Parlament einzuziehen“. Da die ADR auch in der Vergangenheit Probleme hatte, ihre Wahllisten mit aussichtsreichen Kandidaten zu besetzen, sei die Zusammenarbeit mit den Referendumsgegnern kein überraschender Schritt.

Auch wenn die Entwicklung hin zum Radikalismus einer AfD nicht wahrscheinlich ist, so stehen die Alternativdemokraten doch vor einem Scheideweg. Richtet man sich realpolitischer aus, damit eine Koalition mit der CSV und Claude Wiseler zumindest nicht für immer unmöglich bleibt? Oder nähert man sich mit der freundlichen Übernahme des oder aber durch den « Wee 2050 » wieder konsequenter der Grenze zur rechtspopulistischen Partei, die in Fundamentalopposition zu allen anderen steht? Die internen Auflösungserscheinungen der vergangenen Jahre konnten dank der Profilierung als reinste « Anti-Gambia-Partei » zwar gestoppt werden. Doch spätestens wenn die Gründungsgeneration um Gast Gibéryen abtritt, wird sich die Frage des künftigen Kurses des einstigen Aktionskomitees ganz neu stellen.

Der Denkfehler der Referendumsgewinnler

Sowohl der ADR- als auch Keups Diskurs zeigen indes: Seit dem Referendum sind die „80 Prozent“ für die vereinigten Vertreter der Nein-Kampagne wie in den Stein der alten Festungsmauern gemeißelt. Das gilt für das Ausländerwahlrecht wie für die mit großer parlamentarischer Mehrheit beschlossene Reform des Staatsbürgerschaftsgesetzes. „Mir sinn enttäuscht, datt mat der Erofsetzung vun den Sproochekenntnisser, d’CSV matt der Gambiaregierung sech géint déi politesch Mëtt gestallt huet“, lautete bei letzterer Reform die Reaktion des „Wee 2050“.

Populismus heißt für mich, dass man Dinge in der Sprache anspricht, die im Volk auch verstanden wird.Gast Gibéryen, ADR-Abgeordneter

Spätestens an dieser Stelle unterläuft Gibéryen, Keup und Co. allerdings ein grundlegender Denkfehler. Sie sind überzeugt: Weil sich fast 80 Prozent gegen das Wahlrecht für Nicht-Luxemburger bei Parlamentswahlen ausgesprochen haben, vertreten sie die Mehrheit des Volkes auch in anderen Fragen. Dabei verkennen sie – ob bewusst oder nicht – die komplexe Natur einer demokratischen Abstimmung. Denn: 80 Prozent haben zwar mit Nein gestimmt, aber das ist noch lange nicht ein Ja für die Agenda von ADR, „Nee/Wee“ und Co. Andere aussagekräftige Prozentzahlen sollte man jedenfalls nicht vergessen: Die ADR erzielte bei den vergangenen Wahlen landesweit 6,64 Prozent, über 90 Prozent des Volkes wählten andere Parteien.

Die Gründe für die überdeutliche Ablehnung der dritten Frage des Referendums sind vielfältig. Vor allem aber ist die demokratische Manifestation der damaligen Ablehnungshaltung sehr punktuell. Und die Überzeugung, die « Nee »-Kampagne vertrete die « 80 Prozent » letztlich eine Illusion.

Nur zur Erinnerung: Luxemburgs Wahlberechtigte haben am 7. Juni 2015 über eine sehr konkrete, und nebenbei auch nicht ganz unkomplizierte Frage abgestimmt, nämlich: „Befürworten Sie die Idee, dass ausländische Mitbürger das Recht erhalten, sich fakultativ in die Wählerlisten einzuschreiben, um sich als Wähler an den Wahlen zur Abgeordnetenkammer zu beteiligen, und dies unter der besonderen doppelten Bedingung, während mindestens zehn Jahren in Luxemburg gewohnt und sich vorher bereits an Kommunal- oder Europawahlen in Luxemburg beteiligt zu haben?“

Die Überwindung der « 80 Prozent »

Dass eine Mehrheit im Volk gegen jegliche politische Integration von Nicht-Luxemburgern ist, geht daraus ebenso wenig hervor wie, dass die Luxemburger mehrheitlich ein Aussterben ihrer Sprache und Identität befürchten. Das sollte man sich hin und wieder in Erinnerung rufen, wenn Politiker oder Protestfiguren behaupten, sie würden die wahren Interessen des Volkes oder eine vermeintlich klar zu umreißende „politische Mitte“ vertreten.

Und doch greift der Populismusvorwurf bei der ADR und der durch das Referendum entstandenen Protestbewegung freilich zu kurz. An dieser Stelle sei freilich an die eher entspannte Populismusdefinition von Gast Gibéryen erinnert, die er dem „Luxemburger Wort“ einmal verriet. „Populismus gibt es in allen Parteien. Für mich ist das jedenfalls kein Schimpfwort. Populismus heißt für mich, dass man Dinge in der Sprache anspricht, die im Volk auch verstanden wird.“

Jeder populistische Diskurs baut immer auf realen politischen Stimmungen auf. Genau wie es Gibéryen einst ausdrückte: Der Diskurs des „Nur wir…“ wird im Volk verstanden. Das gilt offensichtlich auch für Fred Keup. Der zum Politiker gewordene Geografielehrer hat offensichtlich den Nerv eines Teils der luxemburgischen Bevölkerung getroffen. Bei wie vielen Luxemburgern dieses Gefühl vorherrscht, offenbarte sich jedoch nicht beim Referendum 2015, sondern wird sich erst viel klarer am Abend des 14. Oktobers zeigen. Dabei wären die vereinigten Vertreter der „politischen Mitte“ wohl statt mit 80 Prozent auch schon mit acht Prozent zufrieden.