Als Familienministerin setzte Corinne Cahen viele umstrittene Maßnahmen um. Mit ihrer Politik versinnbildlicht sie sowohl den blau-rot-grünen Tatendrang der frühen Amtsperiode als auch das fortschrittliche Familienbild ihrer Partei. Ein Porträt.
Sie schießt zu schnell, überlegt nicht lange, spricht aus dem Bauch heraus. Besonders in der ersten Hälfte ihrer Mandatsperiode vergisst die frisch gebackene DP-Politikerin immer wieder, was sie vorübergehend nicht mehr ist: Corinne, das Garer Mädchen.
Ihr außerordentlich gutes Wahlresultat bei ihrer ersten Kandidatur katapultierte die heute 45-Jährige nicht nur auf den Posten der Familien- und Integrationsministerin. Es machte sie auch mit einem Fingerschnippen zu einer Person öffentlichen Interesses. Noch mehr als zuvor musste die einstige Geschäftsfrau nun aufgrund ihrer Nahbarkeit und ihrer starken Präsenz in den sozialen Medien für jede Kritik persönlich geradestehen.
Das gilt umso mehr als ihr generelles Auftreten anfangs als eine Mischung aus Unerfahrenheit, Naivität und ihrem ohnehin forschen Charakter daher kam. „Ja, ich bin impulsiv“, gibt sie im Gespräch mit REPORTER offen zu.
Die Ministerin, die sich nicht verbiegen wollte
Die Spontaneität der Ministerin wurde allerdings immer wieder zum Problem. Einen Anfängerbonus gewährte ihr niemand. Auf Facebook und Twitter, aber auch bei Auftritten in traditionellen Medien geriet sie nach spontanen Äußerungen immer wieder in Erklärungsnot. Oder wie es ein Parteikollege beschreibt: „Sie hat immer zu allem eine Meinung und das große Bedürfnis, diese kundzutun. Obwohl Corinne oft die besseren Argumente hat, verliert sie durch ihre Art und Weise.“
Ihre Art und Weise war nicht aufgesetzt. „Ich wollte weiterhin Mensch bleiben“, sagt Corinne Cahen heute. „Politiker sind doch auch nur Menschen. Ich wollte mich nicht verbiegen und wollte so bleiben, wie ich bin.“ Im Nachhinein weiß die DP-Politikerin, dass übereilte und von den Medien hochgeschaukelte Meinungsäußerungen von Spitzenpolitikern eine Eigendynamik entwickeln können.
Verfrühte Ansagen und Krisenkommunikation
Der Einstieg in die Regierung wurde ihr durch ihre nicht immer optimale Kommunikationsstrategie erschwert. Knapp ein Monat nach Amtsantritt polarisierte Corinne Cahen etwa mit klaren Ansagen zu Reformen von Familienzulagen, Kindergeld, RMG und der „Mammerent“. Damit schürte sie nicht nur unnötig und verfrüht die Sorgen der Begünstigten, sondern machte letztlich die ganze Regierung angreifbar.
Über mehrere Wochen wurden die Schlagzeilen von der „Anti-Familienministerin“ dominiert, wie sie von der ADR tituliert wurde. Cahen führe eine „Familienpolitik auf Sparflamme“, titelte das « Luxemburger Wort ». Das war im Januar 2014.
Gleich im April monopolisierte die Familienministerin dann die Aufmerksamkeit der Presse erneut mit unvollständigen und irreführenden Aussagen zur 0,5-Prozent-Abgabe, die auf allen Einkommen erhoben werden sollte. Die Einnahmen würden in die Kindergeldkassen fließen, hieß es anfangs in der Presse. Später wurde daraus eine gewöhnliche, nicht an einen bestimmten Zweck gebundene Steuererhöhung. Corinne Cahen bezog prompt Stellung, trug aber durch widersprüchliche Aussagen nicht zur Deeskalation bei.
Mutterbild und Umgang mit Kritik
Als im Herbst desselben Jahres die Abschaffung der Erziehungszulage („Allocation d’éducation“) von 485 Euro monatlich über 21 Monate und der 16-wöchigen Mutterschaftszulage („Allocation de maternité“) verkündet wurde, entlud sich der Frust erneut über der Familienministerin.

Kindern würde die wertvolle Zeit mit ihren Müttern in einer so wichtigen Entwicklungsphase genommen, so die Kritiker. Mütter würden regelrecht dazu gezwungen, ihre Kleinsten in Fremdbetreuung zu geben. Die Abschaffung des Ersatzeinkommens für Mütter entfachte im 21. Jahrhundert eine Diskussion über „gute“ Mütter, die sich um ihre Kinder kümmerten und eben jenen, die sich eben bloß um die Karriere sorgten.
Nicht erwerbstätige Mütter, die ihre Arbeit in den Dienst der Kindeserziehung gesetzt hatten, zögerten nicht, die Familienministerin öffentlich auch sehr persönlich anzugreifen. Cahen betonte selbst immer wieder ihr eigenes Familienmodell als arbeitstätige Mutter und Politikerin. „Ich hatte mir die Heftigkeit dieser Reaktionen nicht erwartet“, gesteht Corinne Cahen im Rückblick. Diese hätten sie tief getroffen.
„Corinne hat generell Schwierigkeiten damit, mit kritischen Stimmen umzugehen“, heißt es von einem Parteikollegen. „Sie ist schnell gekränkt und rastet schnell aus. Sie weiß aber heute, dass das ihre Schwäche ist und hat seitdem viel an sich gearbeitet.“ Ihre Befürworter beschreiben sie als hochmotivierte Politikerin, die bis zuletzt für ihre Überzeugungen kämpfe.
Liberale Ideologie in der Umsetzung
Generell war die Abschaffung der Erziehungszulage sicherlich jene Maßnahme, für die Corinne Cahen die meiste inhaltliche Kritik einstecken musste. Das könnte auch daran liegen, dass ihre Notwendigkeit aus Sicht der Ministerin nicht von Beginn an angemessen erklärt wurde. Erst im Rückblick auf die gesamte Legislaturperiode wird die Reform aber als Teil einer liberalen familien- und sozialpolitischen Gesamtstrategie sichtbar.
Beispiel Kindergeld: Der Vorschlag eines einheitlichen Betrages sollte hier nicht nur einen Bruch zum altbewährten CSV-Modell darstellen, das bis dato kinderreiche Familien proportional stärker unterstützt hatte. Ganz bewusst warb die DP für ein modernes Familienbild, für das Modell der erwerbstätigen, unabhängigen Frau. Es war durchaus eine Kampfansage an die typisch konservative, oft als „Kinder-Küche-Kirche“ stilisierte, Familienpolitik der vergangenen Regierungen.
Der Gegenwind war vorprogrammiert, und er weht bis heute. Die « Allocation d’éducation » gehört jedenfalls zu jenen Maßnahmen, die die CSV im Fall einer Rückkehr in die Regierung wiedereinführen wollen – zumindest in einer abgeschwächten, « sozial gestaffelten » Version.
Dass eine Mutter bisher vom Staat einen Anreiz bekam, nahezu drei Jahre für jedes Kind nicht mehr arbeiten gehen zu müssen, passt jedoch immer noch nicht in das Weltbild der Familienministerin. Das große Gegenargument der konservativen Opposition, man solle den Frauen doch zumindest die Wahlfreiheit lassen, lässt sie ebenso nicht gelten. « D’Politik dierf de Leit kee Sand an d’Aen streeën », entgegnete sie. Eine Karrierelücke von mehreren Jahren, eine finanzielle Abhängigkeit von ihrem Mann und ein hohes Armutsrisiko im Fall einer Scheidung, seien unverantwortlich. Erziehungszulage hin oder her: Es sei der falsche Anreiz, so die von Cahen unmissverständliche verfolgte liberale Ideologie.
Elternurlaub als Umschwung
Was die Streichung der Hilfen für junge Mütter mit einer wirtschaftsliberalen Politik zu tun hat, sollte erst viel später einleuchten. Cahen gehört jedenfalls zu jenen, die ein ganzheitliches liberales Verständnis von Politik vertreten. Ihre Familienpolitik startete als Kulturkampf, hatte aber nicht zuletzt das pragmatische Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern.
An dieser Stelle kam die Reform des Elternurlaubs ins Spiel. Während junge Mütter zur Erwerbstätigkeit ermutigt wurden, sollten Männer ihrerseits vermehrt in die Verantwortung der Kinderbetreeung genommen werden. Der innerhalb von einem Jahr von 70 Prozent mehr Männern in Anspruch genommene Elternurlaub und die erhöhten Urlaubstage für Väter bei der Geburt eines Kindes („Pappecongé“) entsprechen für die DP dem heutigen Zeitgeist. Männer sollen sich schlicht gleichberechtigt in die Kindererziehung einbringen, so die Devise.

Corinne Cahen feierte ihre Reform als eine „faire Verantwortungsverteilung in der Kindererziehung“. Für die Umsetzung dieser größeren Gleichberechtigung investierte sich die Ministerin mit Leib und Seele und schreckte auch nicht vor schwierigen Verhandlungen mit einem Teil der traditionellen DP-Wählerschaft zurück, dem Patronat. Den Umschwung auf der Beliebtheitsskala schaffte Cahen trotz der Flexibilisierung des Elternurlaubs aber nicht wirklich.
Hinzu kommt, dass nicht alle von ihr in den vergangenen fünf Jahren angekündigten Maßnahmen umgesetzt wurden. Die Einführung von Selektivitätskriterien bei den Familienzulagen, die sozial schwache Familien zusätzlich unterstützen soll, lässt bis heute auf sich warten. Der verbesserte Gesetzesentwurf zur angekündigten Staffelung der Familienbeihilfen wurde nach vielem hin und her erst diesen Sommer im Parlament eingereicht. Sozial schwachen Familien kam Corinne Cahen inzwischen mit einer neuen Berechnungsmethode der Teuerungszulage für Haushalte („allocation de vie chère“) entgegen – 2.200 Familien kamen so zusätzlich in den Genuss der staatlichen Hilfe. Das Kindergeld und die Chèques-Service werden zudem künftig im Zwei-Jahres-Rhythmus an die Entwicklungen des mittleren Einkommens angepasst.
Warum die DP Corinne Cahen braucht
Dennoch sind es die erfolgreichen Reformen, die die Wahlkämpferin Cahen darin stärken, weiterhin „auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen“, wie sie sagt. Sie setzt dabei auf die Hoffnung, dass die Mehrheit der Wähler und Wählerinnen dann doch die globale Familienstrategie der DP erkannt und verstanden hat. Dass sich der Kreis für die erwerbstätige Mutter mit dem neuen Elternurlaub und einer 20-stündigen Gratis-Betreuung von Kindern im Alter von ein bis drei Jahren schließt.
Junge Eltern in « der Rush hour ihres Lebens » sollen dank Corinne Cahens Maßnahmen und Vorschlag eines « Congé parental Plus » an die Partei gebunden und zur neuen Zielwählerschaft der DP werden.
Die eigenen Reihen hat die inzwischen zur DP-Präsidentin gekürte Quereinsteigerin durchaus überzeugt. Die von Corinne Cahen umgesetzte Familienpolitik wurde maßgeblich durch das DP-Wahlprogramm und das Koalitionsabkommen vorgegeben. Die Partei brauchte an der Spitze des zuständigen Ministeriums eine meinungs- und willensstarke Politikerin, eine Mutter, die das angepriesene Familienmodell selbst vorleben konnte.
Nicht zuletzt dank ihr verkündet die Partei heute schließlich in ihrem Wahlprogramm stolz: „Die DP hat eine Modernisierung der Familienpolitik eingeläutet.“ Auch die schärfsten Kritiker von Cahen müssen wohl oder übel anerkennen, dass einige ihrer Reformen bleiben werden. Und über ihre eigene professionelle Zukunft muss sich die ehemalige Geschäftsführerin mehrerer Schuhgeschäfte ohnehin keine Sorge machen – Karrierelücken gibt es in ihrem Lebenslauf immerhin keine.