Haftbefehle, Anklagen und eine anstehende Prozesswelle: Die deutsche Justiz macht ernst in der Aufarbeitung der Cum-Ex-Affäre. In den Dokumenten taucht Luxemburgs Finanzplatz immer wieder auf. Die hiesigen Töchter der Warburg-Bank spielten bei den obskuren Aktiendeals eine besondere Rolle.
Es ist der 14. Oktober 2014. In 14 Ländern werden Büros, Wohnhäuser und Banken zeitgleich von Polizisten, Staatsanwälten und Steuerfahndern durchsucht, um Beweise in einem der größten Steuerbetrugsskandale Europas zu sichern. In ganz Europa? Nicht ganz, denn in Luxemburg verläuft die Aufarbeitung schleppend.
Dokumente, die Reporter.lu vorliegen, zeigen: Die Staatsanwaltschaft Köln richtete im Juli 2014 ein Rechtshilfeersuchen an die Luxemburger Justiz. Durchsuchungen von Büros von Treuhändern, Fondsverwaltern, der Warburg-Bank an der Place Dargent und selbst der Finanzaufsicht CSSF sollten am 14. Oktober 2014 gleichzeitig mit den Razzien in ganz Europa stattfinden. Doch ein Aktenvermerk von August 2015 gab an: „Das Rechtshilfeersuchen Luxemburg [hat] noch nicht seine Erfüllung gefunden.“
Die Episode ist bezeichnend für die mühsame Aufarbeitung der Cum-Ex-Affäre in Luxemburg. Angesichts laufender Gerichtsverfahren im Ausland könnte die Rolle des hiesigen Finanzplatzes in diesem Jahr jedoch deutlich umfassender ans Licht kommen als bisher.
Am Landgericht Bonn läuft aktuell ein Prozess gegen den Manager der Hamburger Privatbank « Warburg » Christian S. Unter den weiteren angeklagten Warburg-Managern ist laut „Handelsblatt“ auch Detlef M., der für die Luxemburger „Warburg Invest“ tätig war und weiterhin hierzulande arbeitet. Gegen zwei mutmaßliche Cum-Ex-Drahtzieher erließ die deutsche Justiz Haftbefehle: den deutschen Steueranwalt Hanno Berger und den neuseeländischen Aktienhändler Paul Mora. Ihnen könnte dieses Jahr ebenfalls der Prozess gemacht werden.
Steuergeheimnis über alles
Die Zusammenarbeit dieser Gruppe in mindestens einem Fall sollte Gegenstand der Hausdurchsuchungen im Jahre 2014 sein. Es geht um mutmaßliche Cum-Ex-Geschäfte, die über die beiden Luxemburger Investmentfonds (FIS-Sicav) « Sheridan » und „Sheridan Solutions“ liefen. Die entsprechenden Ordner schlummerten dem Vernehmen nach noch Jahre später in den Regalen der betroffenen Büros.
Wir haben keinen Einfluss auf Luxemburg, um da irgendwelche Informationen zu bekommen. Wir bekommen keine. »Günther Hallmann, deutscher Steuerfahnder
Warum die Razzien nicht stattfanden, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Die Staatsanwaltschaft Köln verwies auf Nachfrage von Reporter.lu auf das Steuergeheimnis. Laut Insidern ist es aber auch das Luxemburger Steuer- bzw. Bankgeheimnis, das die Rechtshilfe bisher verhinderte.
„Wir haben keinen Einfluss auf Luxemburg, um da irgendwelche Informationen zu bekommen. Wir bekommen keine. Die berufen sich auf das Bankgeheimnis und dann bricht für uns da die Kette ab“, klagte der Wuppertaler Steuerfahnder Günther Hallmann vor dem „Cum-Ex“-Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages. Ein Vorwurf, den der heutige beigeordnete Generalstaatsanwalt Jeannot Nies 2016 gegenüber dem „Luxemburger Wort“ zurückwies. Mit einer großen Einschränkung: Um Rechtshilfe zu leisten, müsse der Tatbestand des Steuerbetrugs in Luxemburg erfüllt sein.
Das deutsche Rechtshilfeersuchen von 2014 beschuldigte die Verdächtigen in Luxemburg allerdings der Steuerhinterziehung. Das wird eine Stufe unter dem Steuerbetrug angeordnet und erlaubte zu diesem Zeitpunkt im Prinzip keine Rechtshilfe der Luxemburger Justiz. Allerdings betonte die Anfrage die „systematische Vornahme betrügerischer Handlungen“ und den „bedeutenden Umfang“, womit sie in einem Graubereich landete. Erst mit der Steuerreform 2017 erlauben die Luxemburger Gesetze auch in Fällen von Steuerhinterziehung Rechtshilfe, erklärt die Juristin Marie Marty in einem Fachartikel.
Hoch gepokert und alles verloren
Das Geschäftsmodell der Luxemburger Sheridan-Fonds war im Prinzip sehr einfach. Die Schweizer Privatbank Sarasin sammelte bei ihren sehr vermögenden Kunden Kapital ein, das in die Fonds investiert wurde. Die Sheridan-Fonds stellten das Geld wiederum US-Pensionsfonds zur Verfügung. Es folgte ein aufwändig organisierter Handel mit Aktien deutscher Konzerne. Am Ende beantragten die Pensionsfonds bei den deutschen Steuerbehörden die Erstattung der Quellensteuern auf den Dividenden der gehandelten Aktien. Es waren diese Gelder aus der deutschen Staatskasse, die den Gewinn darstellten.

Doch Ende 2011 zahlte das deutsche Bundeszentralamt für Steuern die Quellensteuer nicht an die US-Pensionsfonds. Es ging um Hunderte Millionen Euro. Im Jahresbericht 2011 des „Sheridan Solutions“-Fonds lässt sich die Panik erahnen: „Wider Erwarten“ seien die Zahlungen ausgeblieben und deshalb sei auch kein Geld an den Luxemburger Fonds zurückgeflossen. Die Kunden verloren ihren Einsatz – darunter bekannte deutsche Unternehmer wie Carsten Maschmayer („Höhle der Löwen“), Clemens Tönnies (Fleischfabrik-Betreiber und Ex-Präsident des FC Schalke 04) und Erwin Müller (Drogerie Müller). Carsten Maschmayer sagte vor dem Bundestag aus, ihm sei eine Rendite von bis zu zwölf Prozent versprochen worden.
Der „Sheridan Solutions“-Fonds hat vergangenen Dezember endgültig seinen Bankrott erklärt. „Die verschiedenen Gerichtsurteile des letzten Jahres lassen allerdings darauf schließen, dass die Gefahr sehr groß ist, dass die Erstattung der Kapitalertragssteuer abgelehnt wird“, heißt es im letzten Jahresbericht. Die Tatsache, dass der Gewinn aus deutscher Staatskasse kommen sollte, ist kaum verhüllt.
Die zweifelhafte Rolle der Warburg-Bank
Gegenüber dem deutschen Untersuchungsausschuss spielte die Hamburger Warburg-Bank ihre Rolle herunter: Die Luxemburger Töchter MM. Warburg & Co. Luxemburg und Warburg Invest waren „ausschließlich als Dienstleister, namentlich als Depotbank, Register- und Transfer-Agent sowie Zentralverwahrer, tätig.“ Die traditionsreiche Bank betonte außerdem die CSSF habe die Fonds genehmigt. Tatsächlich waren die Sheridan-Fonds bis 2014 von der Finanzaufsicht überwacht worden.
Das Urteil vom Bonner Landgericht von März 2020 zeigt aber eine deutlich aktivere Rolle der Warburg-Bank in anderen Fällen, aber mit gleicher Besetzung. Der als „Mister Cum-ex“ bekannte Steueranwalt Hanno Berger und sein damaliger Kanzleipartner sollen laut den Richtern die Geschäfte konzipiert haben und teils auch die „High net worth individuals“ überzeugt haben, zu investieren. Diese Investments liefen teilweise über die Schweizer Bank Sarasin.

Die komplizierten Cum-Ex-Aktiendeals führten die Händler der « Ballance »-Gruppe durch. Hinter diesem Unternehmen stand Martin S., der in Bonn zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt wurde. Mit „Teston Finance Sàrl“ soll er dem niederländischen Staat einen Schaden von 45 Millionen Euro verursacht haben. Der zweite Mann hinter Ballance war der Neuseeländer Paul Mora, gegen den die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt laut „Handelsblatt“ vor wenigen Tagen einen internationalen Haftbefehl erlassen hat.
Im Fall „Sheridan“ tritt die gleiche Gruppe auf. Die Warburg-Bank wurde im ersten Bonner Prozess zu einer Zahlung von 176,5 Millionen Euro verurteilt. Die anstehenden Prozesse gegen die Warburg-Manager und den Steueranwalt Hanno Berger dürften bei der Aufklärung der Frage helfen, was die Privatbank über die Sheridan-Geschäfte wusste. Das Hamburger Finanzinstitut war kürzlich in die Schlagzeilen geraten, weil Mitinhaber Christian Olearius sich mit dem damaligen Ersten Bürgermeister und heutigen Vizekanzler Olaf Scholz traf und über die Cum-Ex-Steuerschulden sprach.
Gewinnverteilung über Luxemburger Firma
Luxemburg spielte im Geflecht der Cum-Ex-Geschäfte eine entscheidenden Rolle. Hanno Berger und sein Kanzleipartner kassierten nicht nur Provisionen für ihre Beratung, sondern waren auch direkt am Gewinn der zweifelhaften Deals beteiligt. Die Bonner Richter hielten in ihrem Urteil fest, dass die beiden Anwälte diese Gewinnbeteiligung über eine Luxemburger Gesellschaft verwalteten. Es handelt sich dabei laut Informationen von Reporter.lu um „OAK Consultancy Sàrl“.
Laut dem Urteil zahlte die Warburg-Bank dieser Firma für eines von zahlreichen Geschäften 5,5 Millionen Euro. In einem weiteren Fall zahlte die Ballance-Gruppe knapp neun Millionen Euro. Bergers Partner, der inzwischen als Kronzeuge fungiert, soll persönlich 50 Millionen Euro mit Cum-Ex-Geschäften verdient haben.
Die Beteiligung am Gewinn aus mutmaßlichem Steuerbetrug könnte strafrechtliche Folgen für manche der Beteiligten haben. Laut dem Bonner Urteil läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche im Rahmen der OAK-Gruppe.
Hanno Berger, der sich in die Schweizer Berge zurückgezogen hat, sieht sich nach wie vor als Opfer eines Justizskandals, wie er dem Magazin „Capital“ sagte. Er bleibt dabei, dass die Cum-Ex-Geschäfte legal gewesen seien. Sollten er und die anderen Beteiligten jedoch rechtskräftig verurteilt werden, dann wird es für ihre Luxemburger Helfer deutlich unangenehmer. Die Finanzaufsicht CSSF verfolgt die Rechtsprechung sehr genau und wird gegebenenfalls darauf reagieren. Für manch einen Dienstleister könnte es in der regulierten Finanzbranche mit ihren Ehrbarkeitsanforderungen dann eng werden.
Für die Warburg-Gruppe war das Cum-Ex-Debakel laut Insidern einer der Gründe, warum sie ihre Luxemburger Töchter Ende 2017 verkaufte. Die Büros an der Place Dargent, die 2014 von Razzien verschont blieben, stehen heute leer.
Reporter.lu recherchiert weiter zu den Verbindungen zwischen der Cum-Ex-Affäre und dem Luxemburger Finanzplatz. Wenn Sie Informationen zu diesen Geschäften haben, erreichen Sie unseren Reporter Laurent Schmit per E-Mail (öffentlicher Schlüssel) oder über den sicheren Messenger Threema (ID: XJ8W8WWK). Alle Hinweise unterliegen dem Quellenschutz.
Lesen Sie mehr zum Thema


