Der Cum-Ex-Skandal ist ein dreister Steuerraub. Einer der Hauptakteure betrog den dänischen Staat mindestens um 1,2 Milliarden Euro. Im komplexen Netzwerk des Briten Sanjay Shah spielte Luxemburg eine entscheidende Rolle. Das könnte strafrechtliche Folgen haben.
Es ist ein unscheinbares Bürogebäude im Viertel Limpertsberg. Hierhin führen mehrere Spuren in einem Steuerskandal, der mehrere europäische Länder über 55 Milliarden Euro gekostet hat, wie 19 Medien Ende Oktober in den „Cum-Ex-Files“ berichteten. Doch an der Adresse 121, avenue de la Faïencerie gehören die beteiligten Gesellschaften zu hunderten Briefkastenfirmen, die dort von Dienstleistern verwaltet werden.
Der Sicherheitsmann am Empfang schaut erst in einer meterlangen Liste, dann in einem Ordner mit dutzenden Seiten nach. Dann findet er die Namen und bestätigt, dass es die richtige Adresse ist.
Firmen, die zwar nur einen Namen und eine Adresse haben, aber dennoch Millionengeschäfte machen, sind in Luxemburg keine Seltenheit – auch nach Luxleaks. Ungewöhnlicher ist der Mann, der dahinter steckt: Es ist Sanjay Shah, ein Mastermind der Cum-Ex-Affäre. Der britische Investmentbanker soll den dänischen Staat um mindestens 1,21 Milliarden Euro erleichtert haben.
Wie das System funktioniert, lesen Sie hier: Fragen und Antworten zum Cum-Ex-Skandal.
Der „verrückte Hund“ unter den Cum-Ex-Drahtziehern
Es sei alles legal gewesen, beteuert er allerdings. Die Summe von 1,21 Milliarden bestätigte Shah selbst. Skat, die dänische Steuerbehörde, geht dagegen von einem Schaden von bis zu 1,65 Milliarden Euro aus, fasst die dänische Zeitung „Berlingske“ zusammen. In Belgien erbeutete Shah laut „De Tijd“ 201,5 Millionen Euro.
Unter den Drahtziehern der Cum-Ex-Geschäfte gilt Shah als „verrückter Hund“, sagte einer der Beteiligten der „Zeit“. Als zu waghalsig gelten seine Geschäfte, zu großspurig sein Lebensstil. Er lud Popstars wie Lenny Kravitz und Snoop Dogg auf Charity-Events nach Dubai ein, wo er seit einigen Jahren lebt.

Dem kleinen, aber wenig feinen Cum-Ex-Kreis ist allerdings eines gemeinsam. Sie inszenieren im großen Maßstab den Kauf und Verkauf von Aktien. Ziel ist es, sich von Verwaltungen die Quellensteuer auf Dividenden erstatten zu lassen, die sie allerdings nie gezahlt haben.
Dänische Behörden forschen in Luxemburg nach der Beute
Sanjay Shah perfektionierte das System bis zum Extremen und verdiente enorme Summen. „Er brauchte nur einen Drucker“, um Millionen aus den Steuerkassen zu holen, sagen Insider. Seit 2015 versuchen die dänischen Behörden das Geld von Shah zurückzuholen.
Mindestens 60 Millionen Euro flossen aufgrund von dubiosen Aktiendeals an zwei Firmen, die ihren Sitz in Limpertsberg haben. Die Gesellschaften Trillium Capital Sàrl und Aesa Sàrl gehören zu insgesamt 15 Unternehmen, von denen die dänische Steuerbehörde die entwendeten Summen zurückverlangt, berichtet der dänische Fernsehsender „TV 2“.
Ein zentraler Knotenpunkt
Zentraler Baustein der Geschäfte von Sanjay Shah war sein Londoner Hedgefund Solo Capital. Rundherum baute er ein Netzwerk an Gesellschaften und Fonds auf – die Solo Group. Diese Gruppe gehört der Luxemburger Holding Aesa, die Shah im Juli 2012 mithilfe des Dienstleisters Alter Domus gründete. Zur Solo-Gruppe zählen mindestens drei Firmen, an die Gewinne aus den Cum-Ex-Geschäften geflossen sind: Old Park Lane Capital, Telesta Markets und Novus Capital Markets.
Aesa ist demnach ein wichtiger Knotenpunkt in Shahs Netzwerk. Ein Hinweis darauf ist auch, dass seine Ehefrau Usha Geschäftsführerin zwischen Juni und November 2015 war. Auch sie soll laut den dänischen Ermittlungen Geld aus den Cum-Ex-Deals erhalten haben.
Die im Luxemburger Handelsregister hinterlegten Jahresberichte geben allerdings keinen Aufschluss über eigene Aktivitäten von Aesa. Das Verteilen der in Dänemark erbeuteten Summen via Luxemburg könnte allerdings strafrechtliche Folgen haben. Die dänische Zeitung „Politiken“ berichtet, wie Aesa in Transaktionen in Zypern verwickelt war, die Geldwäsche entsprechen.
Steuerhinterziehung in schweren Fällen ist außerdem eine sogenannte Vortat der Geldwäsche. Sprich Geldtransfers im Zusammenhang mit Steuerhinterziehung können den Tatbestand der Geldwäsche erfüllen – mit entsprechend hohen Strafen.
Gekaufte Banken, um den Geldregen zu verteilen
Auch im Fall der zweiten Luxemburger Gesellschaft, Trillium Capital, gibt es Vorwürfe der Geldwäsche. Shah wollte alle Etappen der dubiosen Aktiengeschäfte in Eigenregie betreiben. Zu diesem Zweck kaufte er sich bei zwei deutschen Banken ein: der Münchener Dero Bank und der Hamburger Varengold Bank. Beide Deals liefen zum Teil oder ganz über die Holdinggesellschaft Trillium Capital, vormals VEM Holding. Die Banken dienten Shah dazu, hohe Millionenbeträge möglichst unbeobachtet zu verschieben.
Gegründet wurde Trillium Capital im Dezember 2014 mithilfe eines Fonds von den Britischen Jungferninseln (BVI) und einem Mittelsmann von Sanjay Shah. Teils über britische Firmen, teils über BVI-Offshorefirmen wurde das Eigenkapital auf 30 Millionen Euro angehoben. Erst im August 2017 taucht Shah offiziell als einer der Geschäftsführer der Holding auf.
Im Sommer 2014 kaufte Shah erstmals Anteile von Varengold. 2015 erfolgt dann die Übernahme der Dero Bank, damals noch unter dem Namen VEM Aktienbank. Über diesen Weg hielt Shah mindestens ein Viertel der Varengold Bank, wie aus einem Geschäftsbericht hervorgeht. Weitere Anteile hielt Shah über eine weitere Gesellschaft in Dubai. Im Juli 2015 wurde er Mitglied im Aufsichtsrat der Bank.
Mit einer Bilanzsumme von 600 Millionen Euro 2015 war Varengold eine kleine Bank, aber eben auch ein vollwertiges Finanzinstitut. Der wahre Grund für die Übernahme zeigte sich nur zwei Monate später: Im September 2015 transferierte Shah 222 Millionen Euro von seinem Londoner Hedgefonds Solo Capital an eine weitere seiner Gesellschaften. Woher das Geld stammte, ließ er im Dunkeln. Bei der Hamburger Staatsanwaltschaft ging deshalb eine Anzeige wegen Geldwäsche ein, berichtet das „Handelsblatt“. Im Juli dauerten die Ermittlungen weiter an.
Ab Mitte 2015 vervielfältigen sich die Ermittlungen gegen Shah
Auch die Dero Bank beschäftigt die Staatsanwälte. Im Februar fror die deutsche Finanzaufsicht Bafin den Geschäftsbetrieb der Bank ein. Der offizielle Grund: „drohende bilanzielle Überschuldung“. Die inzwischen insolvente Bank war jedoch in Cum-ex-Geschäfte verstrickt und deutsche Staatsanwälte ermitteln gegen die Verantwortlichen, wie das „Handelsblatt“ berichtete.
Die zahlreichen Ermittlungen gegen Aesa und Trillium Capital sorgten offensichtlich für Nervosität beim Dienstleister Alter Domus, der beide Firmen verwaltete. Im Februar 2016 beendete das Unternehmen die Domizilierung von Aesa und Trillium Capital. Die Mitarbeiter von Alter Domus traten von ihren Posten als Geschäftsführer zurück.
Die späte Reaktion des Dienstleisters Alter Domus
Zu diesem Zeitpunkt war allerdings längst klar, dass Staatsanwälte in mehreren Ländern sich für die Geschäfte von Sanjay Shah interessierten. Mitte 2015 wandte sich einer von Shahs Mitarbeitern an die britische Steuerbehörde, um mögliches Fehlverhalten zu melden. Im November 2015 durchsuchte die britische National Crime Agency die Büros von Shahs Hedge Fund Solo Capital, was durch einen Bericht der „Financial Times“ öffentlich wurde.
Warum sich Alter Domus so spät von Shah trennte, beantwortete ein Firmensprecher auf Nachfrage von REPORTER hin nicht. Das Unternehmen äußere sich nicht zu Kundenbeziehungen. Im Juni 2016 zogen Aesa und Trillium Capital zum Dienstleister Hoche Partners in Limpertsberg um und sind dort weiterhin domiziliert. Eine Anfrage zu dieser Geschäftsbeziehung ließ das Unternehmen bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Konsequenzen in Luxemburg blieben bisher aus
In Großbritannien sind die Gesellschaften Sanjay Shahs weitgehend in Konkurs und unter der Kontrolle von Insolvenzverwaltern. In Luxemburg sind Aesa und Trillum Capital dagegen weiterhin aktiv. Shah ist seit Oktober einer der Geschäftsführer von Aesa. Konsequenzen seiner Geschäfte gab es in Luxemburg vonseiten der Behörden nicht. Eine Anfrage zur Amtshilfe betreffend Aesa von der dänischen Justiz habe es bisher nicht gegeben, heißt es von der Luxemburger Staatsanwaltschaft.
Doch das Schicksal seiner Luxemburger Gesellschaften ist kaum Shahs Hauptsorge. Ihm droht aktuell eine zweijährige Haftstrafe an seinem Wohnsitz Dubai. Der Grund: ein geplatzter Scheck.