Ob Fonds, Banken oder Versicherungen: Luxemburgs Finanzbranche pflegt enge Beziehungen mit Großbritannien. Nach dem Brexit müssen beide Finanzplätze sich neu aufstellen. Das zukünftige Verhältnis zwischen den Finanzzentren birgt jedoch einige Risiken.
Gibt es einen Deal, gibt es keinen? Die Frage raubt zur Zeit wohl allen den Schlaf, die vom EU-Austritt Großbritanniens betroffen sind. Die Verhandlungen zwischen Brüssel und London befinden sich in einer Sackgasse. Auch beim letzten Brexit-Gipfel Mitte Oktober konnten keine Fortschritte erzielt werden. Besonders die Frage der irischen Grenze wird immer mehr zum unüberbrückbaren Hindernis.
Angesichts dieser Unsicherheiten scheint ein sogenannter „No-Deal“ immer wahrscheinlicher, schrieb EU-Ratspräsident Donald Tusk kürzlich in einem Brief an die EU-Regierungschefs. Dann würde Großbritannien die EU am 29. März 2019 ohne Abkommen verlassen, das die zukünftige Beziehungen regeln würde.
„Gibt es keinen Deal, dann geht im März nichts mehr. Dann gibt es keinen Übergang“, warnt der CEO der Luxemburger Bankenvereinigung ABBL, Serge de Cillia. Die Luxemburger Finanzakteure verfolgen deshalb die Verhandlungen mit Spannung und Sorge. London ist einer der größten Finanzplätze weltweit. Es ist ein „Hub“ in dem sich alle wichtigen Akteure tummeln.
Viele der richtungsweisenden Entscheidungen für die europäischen Finanzmärkte werden in der Londoner City getroffen. Und egal ob Fondsindustrie, Banken oder Versicherungen – besonders der Luxemburger Finanzplatz hegt sehr enge Beziehungen mit London.
Die Abhängigkeit der Fondsindustrie
Wie wichtig die Beziehungen zwischen Luxemburg und Großbritannien sind, zeigt sich etwa anhand der Fondsindustrie. Hier hat sich Luxemburg auf die sogenannte Delegation von Fonds spezialisiert. Einfach ausgedrückt bedeutet das, dass viele Fonds von grenzüberschreitenden Finanzunternehmen in Luxemburg verwaltet werden. Doch was mit ihnen passiert und wie investiert wird, entscheidet sich nicht immer hier, sondern in Exzellenzzentren außerhalb des Großherzogtums – in vielen Fällen ist das London. 17 Prozent der Initiatoren der in Luxemburg domizilierten Fonds stammen aus Großbritannien. „Das ist viel », so Antoine Kremer vom Verband der Luxemburger Fondsindustrie (ALFI).
Es ist Wunschdenken zu glauben, dass das Verhältnis mit Großbritannien so bleibt.“Serge de Cillia, ABBL
Obwohl Kremer betont, dass sich nicht nur Luxemburg auf die Delegation von Fonds konzentriert, weiß er, dass der hiesige Finanzplatz – genau wie auch Irland – besonders stark vom EU-Austritt Großbritanniens betroffen ist. Während sich Paris und Frankfurt größtenteils auf nationale Fonds konzentrieren, hat Luxemburg sich auf internationale Fonds spezialisiert. „Der nationale Markt reichte für uns nie, wir mussten uns Europa und der Welt öffnen. Deswegen hatten wir die Nase immer vorne », so Antoine Kremer.
Doch das führt zu Abhängigkeit, wie Sabine Dörry vom Forschungsinstitut LISER hervorhebt: „Luxemburg kann es sich kaum leisten jemanden vor den Kopf zu stoßen, denn es hat selbst praktisch kein binnenökonomisches Hinterland.“ Wenn einer seiner größten Partner auf einmal vom EU-Mitglied zum Drittstaat wird, hat das Konsequenzen.
Zahlreiche Finanzunternehmen kommen nach Luxemburg
Der EU-Austritt Großbritanniens wird die Zusammenarbeit zwischen London und Luxemburg nachhaltig verändern, klagt Serge de Cillia: „Es ist Wunschdenken zu glauben, dass das Verhältnis so bleibt. Die Frage ist, wie wir die Beziehungen in Zukunft definieren wollen.“
Bereits jetzt herrscht Bewegung im Finanzsektor. Banken-, Versicherungs- und Fondsunternehmen verlagern ihre Schwerpunkte von Großbritannien in andere EU-Staaten – viele von ihnen nach Luxemburg. So haben etwa Banken und Versicherer wie HSBC, Barclays, JP Morgen oder Northern Trust sowie Asset Manager wie Carlyle und Jupiter ihre Präsenz in Luxemburg ausgebaut.
„Es muss Substanz in Luxemburg vorhanden sein », erklärt Antoine Kremer. Das heißt, die Unternehmen müssen Manager in Luxemburg einstellen. In erster Linie sind die Finanzakteure verpflichtet, die nötigen Lizenzen zu9 beantragen, um auch nach dem Brexit ein festes Standbein in der EU zu haben. Sie sind der erste Schritt zu neuen europäischen Pässen, sprich den Genehmigungen dank derer sie ihre Produkte innerhalb der EU frei verkaufen können. Denn nach dem EU-Austritt Großbritanniens ist die britische Genehmigung wertlos.
Äquivalenzen als wackeliges Standbein
Dabei handelt es sich aber nur um vereinzelte Vorbereitungsschritte, die alle großen Banken, Fondsmanager und Versicherer im Idealfall bereits unternommen haben. Denn die Zeit wird knapp. „Die Luxemburger Finanzmarktaufsicht CSSF hat vor kurzem noch einmal alle Akteure darüber informiert, dass jetzt so langsam der letzte Moment ist, eine Lizenz zu beantragen », verdeutlicht Antoine Kremer den Ernst der Lage.
Zeitgleich hoffen sowohl Antoine Kremer als auch Serge de Cillia auf nachhaltigere und umfassendere Lösungen. Die gibt es jedoch nur, wenn es einen Deal gibt.
Äquivalenz bedeutet nicht ‚gleich sein unter Gleichen’. Es ist eher ein Geschenk der EU auf unbestimmte Zeit.“Sabine Dörry, LISER
Die sogenannten Äquivalenzen sind ein Lösungsvorschlag, der im EU-Rat besonders von Luxemburg und Frankreich vorangetrieben wurde. Dabei handelt es sich um einen Gleichwertigkeitsmechanismus, der den Zugang zu Finanzdienstleistungen regelt.
Wird der Rechts-und Aufsichtsrahmen eines EU-Drittstaates als gleichwertig anerkannt, kann eine eine solche Äquivalenz ausgestellt werden, die den Zugang zu den EU-Märkten vereinfacht. Es handelt sich dabei um einen unilateralen Prozess, bei dem die EU am längeren Hebel sitzt. Brüssel würde dann über die Gleichwertigkeit entscheiden und den Zugang zu den Märkten regulieren.
„Der letzte Rettungsanker“
Das Modell ist nicht neu und wird zum Beispiel von der Schweiz genutzt. Was die EU jedoch vorschlägt ist eine sogenannte „enhanced third country equivalence.“ Doch was sich hinter dem Terminus verbirgt, wisse niemand so genau, meint Sabine Dörry: „Es ist unklar, wie diese ‘Superäquivalenz’ aussehen wird und worauf sie sich erstreckt.“
Die Wirtschaftsgeografin gibt zu bedenken, dass diese Gleichwertigkeiten rechtlich nicht definiert sind. Einmal ausgestellt, kann die EU eine Äquivalenz jederzeit wieder zurückziehen: „Äquivalenz bedeutet nicht ‚gleich sein unter Gleichen’. Es ist eher ein Geschenk der EU auf unbestimmte Zeit.“ Dadurch gäbe es weder Planungssicherheit, noch eine Langzeitperspektive für die zukünftigen Beziehungen. „Es ist gegenwärtig ein rhetorischer Rettungsanker“, moniert Sabine Dörry.
Auch Antoine Kremer weiß nicht, was mit der „enhanced equivalence » gemeint sein soll. „Man könnte sich wünschen, dass sie umfassender ist als die gewöhnliche Gleichwertigkeit. » Denn die aktuellen Regelungen würden der Fondsindustrie nur bedingt helfen. „Für viele Aspekte gibt es hier keine Äquivalenzen, etwa für den UCITS-Bereich. » Also die für Kleinanleger regulierten Fonds, die eine für Luxemburg besonders wichtige Sparte darstellen.
Kremer sieht in dem Vorschlag der EU hauptsächlich einen Vorteil, nämlich dass es schnell gehen könnte. Schließlich haben die Finanzzentren der EU und Großbritanniens am 29. März (noch) den gleichen gesetzlichen Rahmen.
Falschmeldung zu vorläufigem Deal
Doch der Vorschlag einer « enhanced equivalence » birgt gleich ein weiteres Problem. Denn zu den Grundprinzipien der Welthandelsorganisation (WTO), zu deren Mitglieder sowohl die Europäische Union wie Großbritannien gehören, zählt das « Meistbegünstigungsprinzip ». Dieses besagt, dass alle Vorteile und Vergünstigungen, die ein Vertragspartner einem anderen gewährt, unverzüglich und bedingungslos allen WTO-Mitgliedern gewährt werden müssen. Dies würde sich demnach auch auf dieses neue Äquivalenzmodell applizieren.
In der Branche liegen die Nerven blank. Das zeigt nicht zuletzt eine Falschmeldung der britischen « Times » am Donnerstag. Sie meldete, dass die britische Premierministerin Theresa May am Mittwoch einen vorläufigen Deal mit der EU geschlossen hätte, der auf diesem Gleichwertigkeitsprinzip beruht. Die « Times » sprach in ihrem Bericht von einer Art « erweiterten Äquivelenz », die durch einen übergreifenden Handelsdeal geregelt würde. Daraufhin stieg das britische Pfund von 0,9 auf 1,2905 Prozent. Die Meldung, die von allen großen Nachrichtenorganisationen übernommen wurde entpuppte sich später als Falschmeldung.
Unreife Lösungen
Wie prekär das Gleichwertigkeitsmodell ist, wird etwa am Beispiel der Schweiz ersichtlich. Bern kritisiert regelmäßig, Brüssel nutze die Äquivalenzverfahren aus, um Druck auf das Land auszuüben – etwa beim EU-Zugang für die Schweizer Börse. Und ohne Rechtssicherheit ist die Vergabe von Äquivalenzen letztendlich eine politische Entscheidung, befürchtet auch Serge de Cillia. „Äquivalenzen sind ein starkes politisches Instrument.“ Er glaubt, solch unreife Vorschläge seien auch Teil von Michel Barniers Verhandlungstaktik. „Er will es darauf ankommen lassen. Doch uns ist damit nicht geholfen. Wir brauchen Lösungen.“
Im Fondssektor könnte derweil der sogenannte Drittländerpass ein Lösungsansatz sein. Diese Möglichkeit wurde in der EU-Richtlinie über die Verwalter alternativer Fonds (AIFMD) festgehalten. Drittstaaten müssten, um einen solchen Pass zu erhalten, verschiedene Bedingungen erfüllen. Erhalten sie einen Pass, dann könnten sie ihre Fonds zum Beispiel in Luxemburg ansiedeln und hätten Zugang zum EU-Markt.
Äquivalenzen sind ein starkes politisches Instrument.“Serge de Cillia, ABBL
Doch auch diese Lösung hat große Lücken. Denn zum einen gilt die Richtlinie ausschließlich für alternative Investmentfonds – nicht aber für alle anderen Fonds und noch weniger für andere Finanzakteure. Und zum anderen liegt das Projekt Drittländer-Pass zur Zeit auf Eis. „Die EU-Kommission will zuerst abwarten, wie sich der Brexit entwickelt, bevor sie hier neue Möglichkeiten schafft“, erklärt Antoine Kremer. Die EU-Kommission erklärt auf Nachfrage, dass der Drittländer-Pass nur auf Basis eines delegierten Rechtsaktes nach Prüfung durch die ESMA « aktiviert » werden kann. Zur Zeit prüfe man das entsprechende ESMA-Gutachten, so ein Sprecher.
Wenn kein Deal, dann ein Memorandum?
All diese Lösungsvorschläge greifen jedoch nur dann, wenn es zu einem Abkommen zwischen Großbritannien und der EU kommt. Um den Schock auf die Finanzindustrie in diesem Fall so gering wie möglich zu halten, bereitet die Europäische Wertpapier-und Marktaufsichtbehörde ESMA zur Zeit sogenannte multilaterale „Memorandum of Understanding“ vor. Auch dieses Instrument ist nicht neu, sondern die ESMA hat mit vielen Drittstaaten solche Abkommen geschlossen, wie die Behörde auf Nachfrage hin betont.
Ein solches Abkommen würde den Informationsaustausch zwischen der ESMA, den nationalen Finanzaufsichtsbehörden der EU27 und der britischen Aufsichtsbehörde FCA regeln und die Zusammenarbeit zwischen den Finanzzentren regulieren. Über ein Memorandum wolle man sicherstellen, dass die nationalen Finanzaufsichtsbehörden ihre Aufgaben bezüglich Anlegerschutz und Stabiliserung nachkommen und einen geordneten Ablauf der Märkte sicherstellen können, so ein ESMA-Sprecher.
Rechtlich nicht bindend
Für Antoine Kremer ist es wohl eins der wichtigsten Instrumente im Falle eines No-Deals: „Nur so könnten wir weiter Delegationen mit London aufstellen“, so der ALFI-Vertreter in Brüssel.
Doch was das Memorandum genau beinhalten würde ist unklar. Zum jetzigen Zeitpunkt bereitet die ESMA das Dokument lediglich vor. Die europäische Aufsichtsbehörde bestätigt, sie würde sich momentan mit den EU27-Staaten koordinieren. Laufe es auf einen No-Deal heraus, könnten die entsprechenden Abkommen rechtzeit vor März 2019 geschlossen werden. Die Luxemburger Finanzmarktaufsicht CSSF will die Entwicklungen rund um den Brexit auf Nachfrage hin nicht kommentieren.
Jidderee mécht säi Match.“Antoine Kremer, ALFI
Ein Memorandum of Understanding ist jedoch kein rechtlich bindendes Dokument und kann die Folgen eines Hauruck-Austritts bestenfalls abschwächen. Für Serge de Cillia wäre ein solches Memorandum vor allem eine technische Übergangslösung: Sie soll Zeit schaffen, um wiederum solche Äquivalenzen aufzustellen, wie sie auch andere Partnerländer mit der EU haben.
Wie die Brexit-Verhandlungen auch ausgehen – die europäische Finanzindustrie wird sich neu aufstellen müssen. Bereits jetzt konkurrieren Paris, Frankfurt, Dublin und Luxemburg um die Nachfolge von Großbritanniens Finanzsektor. Noch ist unklar, wie sich Luxemburg in Zukunft genau aufstellen wird. Wie Antoine Kremer betont: „Jidderee mécht säi Match.“