Dürfen Briten in Luxemburg nach dem EU-Austritt noch ein Haus in Perl kaufen? Oder als Selbstständige im Grenzgebiet arbeiten? Und was passiert im Falle eines No-Deals? Der Brexit rückt immer näher – und die Unsicherheit der Betroffenen steigt.
Der EU-Austritt Großbritanniens sorgt für große Unsicherheit, um nicht zu sagen Panik. Die Frage, ob und welchen Deal es geben wird, hängt wie ein Damoklesschwert über allen Betroffenen. Eine Schlagzeile jagt die nächste. Doch genau wie die Verhandlungen, drehen sich auch die Spekulationen über deren Ergebnis im Kreis.
Ein Problem, das bei den Diskussionen über die Irland-Frage in den Hintergrund gerückt ist, sind die Bürgerrechte von britischen Staatsbürgern in der EU. Denn eigentlich wurden die meisten Aspekte davon bereits im März geklärt – etwa welche Prozeduren nötig sind, um ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in den 27 EU-Staaten zu erhalten. Oder, unter welche Sozialversicherung man ab März 2019 fällt.
Wir müssen alles tun, damit die Briten nicht von heute auf morgen zu Drittstaatlern werden.“Außenminister Jean Asselborn
Doch diese Regelungen gelten bloß wenn es zu einem Deal kommt. Und ein wichtiger Punkt stand im März gar nicht erst auf der Tagesordnung. Denn ob Deal oder nicht – wie die Bewegungsfreiheit der Briten innerhalb der EU27 nach dem Brexit geregelt sein wird, ist weiterhin unklar.
Keine Einigung zum Personenverkehr
Bereits vor einigen Wochen kritisierte der britische Botschafter in Luxemburg John Marshall, dass die EU den freien Personenverkehr wie ein Stiefkind behandele. „Westminster war sehr zuvorkommend in allen Fragen, die die EU-Bürger in Großbritannien betreffen. Doch die EU weigert sich, die Bewegungsfreiheit der Briten zu verhandeln.“ Dabei lässt der Botschafter außen vor, dass auch EU-Bürger im Vereinigten Königreich keinen leichten Stand haben.
Wenn man aber zum Beispiel selbstständig ist und seinen Lebensunterhalt mit grenzüberschreitenden Dienstleistungen verdient, hat man ein Problem. »John Marshall, britischer Botschafter in Luxemburg
Bis heute stand die Freizügigkeit allerdings kaum zur Debatte. Dabei geht es konkret um den freien Personenverkehr, sprich darum, unter welchen Bedingungen Briten in der EU nach dem 29. März 2019 von einem Mitgliedstaat in das nächste reisen, grenzüberschreitende Dienste leisten oder etwa in ein anderes EU-Land umziehen dürfen. Dies ist besonders wichtig für Luxemburg, wo der Grenzregion eine besondere Bedeutung zukommt – man denke nur an Shopping-Trips zu Ikea bei Arlon oder den alljährlichen Ausflug zum Trierer Weihnachtsmarkt.
Kein Rosinenpicken bei den Freiheiten
Das jetzige Abkommen klärt lediglich einen Teilaspekt dieser Frage, die besonders für in Luxemburg ansässige oder arbeitende Briten von Interesse ist: Grenzarbeiter dürfen weiterhin in einem EU-Land leben und in einem anderen arbeiten. „Wenn man aber zum Beispiel selbstständig ist und seinen Lebensunterhalt mit grenzüberschreitenden Dienstleistungen verdient, hat man ein Problem“, gibt John Marshall zu bedenken.
Das Kapitel zu den Bürgerrechten hat Löcher. »Fiona Godfrey, British Immigrants in Luxembourg
Auch Fiona Godfrey, Vorsitzende von „British Immigrants in Luxembourg“ und Vize-Vorsitzende von „British in Europe“ macht sich Sorgen. „Das Kapitel zu den Bürgerrechten hat Löcher“, bedauert die in Luxemburg ansässige Britin. Die beiden Bürgerrechtsorganisationen leisten seit dem Referendum Lobbyarbeit in London und Brüssel, um den freien Personenverkehr zu sichern.
Dass dieses Thema in den Hintergrund gerückt ist, liegt jedoch nicht alleine an der EU und dessen Verhandlungsführer Michel Barnier. Denn die Personenfreizügigkeit ist neben dem freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr eine der vier Grundfreiheiten des EU-Binnenmarkts. Die EU machte London bereits zu Beginn der Verhandlungen klar, dass ein „Rosinenpicken“ ausgeschlossen sei: Will die britische Regierung Zugang zu einem dieser Privilegien, muss sie alle akzeptieren.
Angst vor einem „No-Deal“
Die Unsicherheit unter den Briten in Luxemburg ist groß, bestätigt Fiona Godfrey. Das liegt aber nicht alleine am Bürgerrechtskapitel. Insbesondere die Angst vor einem sogenannten „No-Deal“ ist allgegenwärtig.
Aktuell leben laut STATEC rund 5.900 Briten in Luxemburg. „Was passiert mit uns, wenn es kein Abkommen gibt?“, fragt sich Fiona Godfrey. „Sind wir dann von einem Tag auf den anderen illegal?“ Sie schlägt zum Beispiel ein gemeinsames internationales Abkommen der EU vor, das wichtige Grundfragen regeln würde – etwa den Zugang zu Sozialversicherungen und Bankkonten, die Sicherung von Rentenansprüchen oder die Anerkennung von Diplomen und Berufsbescheinigungen.
In vielen EU-Staaten laufen die Vorbereitungen auf ein No-Deal-Szenario in der Tat auf Hochtouren. Frankreich hat bereits einen Vorschlag für ein entsprechendes Gesetz veröffentlicht, das im Fall des Falles in einer sogenannten „procédure accélérée“ verabschiedet werden kann.
Asselborn wünscht sich sanften Übergang
Auch Luxemburg bereitet sich auf einen No-Deal vor, bestätigt Jean Asselborn. Der Außenminister betont im Gespräch mit REPORTER, dass er sich der Sorgen der britischen Staatsbürger in Luxemburg durchaus bewusst sei. Ziel der aktuellen, und zukünftigen Regierung sei es, dass sich für die im Großherzogtum lebenden und arbeitenden Briten so wenig wie möglich verändert.
So habe sein Ministerium in der Abteilung Immigration bereits jetzt Personal aufgestockt, sagt Asselborn. Es gehe unter anderem darum, den Briten ein biometrisches Zertifikat ausstellen zu können, das die Prozeduren vereinfachen würde.
„Wir müssen alles tun, damit die Briten nicht von heute auf morgen zu Drittstaatlern werden“, so der Außenminister. Dies betreffe auch die Bewegungsfreiheit über die Grenzen hinaus. „Wenn sie etwa in Luxemburg wohnen wollen und in Frankreich arbeiten, dann sollen sie das auch in Zukunft dürfen. Ganz egal, wie die Verhandlungen ausgehen.“
Kein Deal ohne Gegenleistungen
Konkrete Vorschläge nennt Asselborn aber keine. Das liege auch daran, dass Luxemburg in seiner Gesetzgebung eingeschränkter sei als andere Mitgliedsstaaten. Eine „procédure accélérée“ wie sie Frankreich anwenden will, gibt es in dieser Form zum Beispiel nicht.
Doch Asselborn stellt auch Forderungen und nimmt die britische Regierung in die Pflicht: „Das alles muss auf Gegenseitigkeit beruhen. Wir können nicht Zugeständnisse machen, ohne Gegenleistungen zu erhalten.“ Dabei geht es vor allem um die Frage, was im Falle eines No-Deals mit EU-Bürgern im Vereinigten Königreich geschieht.
Der britische Botschafter in Luxemburg versucht an dieser Stelle zu beruhigen. Für die britische Premierministerin Theresa May sei klar, dass Staatsbürger aus EU-Staaten weiterhin in Großbritannien bleiben dürfen, erklärt John Marshall.
Immer mehr Briten mit Luxemburger Pass
Jean Asselborn ist sich ohnehin sicher, dass die Verhandlungsführer sich bald über einen Deal einigen können. Im Dezember steht ein Deal, ist der Außenminister überzeugt. „Man muss verstehen, dass der Brexit ein epochaler Einschnitt in die EU-Politik ist. Das benötigt eine gewisse Dramaturgie, auch für Westminster“, erklärt Asselborn die aktuelle Spannungen.
Was dem Außenminister mehr Sorgen bereitet, ist die Frage, was für ein Deal am Ende zustande kommt. Denn sind sich die Verhandlungsführer einmal einig, muss das Abkommen noch vom europäischen- und vom britischen Parlament abgesegnet werden. „Ein wackeliges Abkommen kann bei den Briten leicht durchfallen“, warnt Jean Asselborn. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem „No-Deal No-Deal“ – also einen No-Deal ohne Backup-Plan. „Mit dem britischen Parlament steht und fällt es. Und sagen sie ‚Nein’, haben wir keine Zeit mehr, um irgendwelche Not-Abkommen zu schließen.“
Die Briten in Luxemburg haben indes begonnen, ihren eigenen « Backup-Plan » zu schmieden. Die Organisation « British Immigrants in Luxembourg » ruft seine Mitglieder aktiv dazu auf, die doppelte Staatsbürgerschaft anzunehmen. Laut dem Statec haben die Einbürgerungen der Briten seit dem Brexit stark zugenommen. Während 2015 noch 74 Briten die luxemburgische Nationalität angenommen haben, waren es 2016 bereits 128. 2017 hat sich die Zahl mit 377 Einbürgerungen fast verdreifacht.
Auch Fiona Godfrey will den Doppelpass beantragen. Zum Zeitpunkt des Interviews war sie gerade auf dem Weg zur Post, um ihre Papiere einzureichen.