Immer wieder sprechen luxemburgische Politiker von der Notwendigkeit, das Wirtschaftswachstum zu begrenzen. Wie das konkret geschehen soll, sagen sie jedoch nicht. Dabei wäre es genau diese Debatte, die Luxemburg dringend führen müsste. Eine Analyse.
« Ein Land, das auf blindes Wirtschaftswachstum setzt, treibt sich selbst in den Ruin, denn bereits heute übersteigen die sozialen und ökologischen Kosten des Wachstums bei weitem den ökonomischen Nutzen »: Die nüchterne Analyse aus dem Wahlprogramm von 2013 gefiel den Grünen so gut, das sie den Satz exakt so noch einmal in ihr Programm zu den Wahlen 2018 schrieben. Zugegeben: Der Satz klingt tatsächlich ziemlich gut.
Ob sich Luxemburg in den seitdem vergangenen fünf Jahren dem Ruin genähert hat, liegt natürlich im Auge des Betrachters. Jedoch lässt sich objektiv feststellen: Nach den Jahren der Finanzkrise hat die Konjunktur wieder kräftig angezogen. Und unabhängig davon, was man von der Bilanz von Déi Gréng als Regierungspartei hält, hat sich das luxemburgische Wirtschaftsmodell in den vergangenen Jahren nicht von Grund auf gewandelt.
In der Diagnose sind sich alle einig
« Nachhaltiges Wachstum », « moderates Wachstum », « qualitatives Wachstum »: Auf den wachstumskritischen Diskurs haben die Grünen längst kein Monopol mehr. Die Wachstumskritik ist zumindest in Luxemburg nicht mehr nur ein Anliegen von linksalternativen Träumern. Alle Parteien, von Déi Lénk bis ADR sind sich einig in der Analyse, dass das Wachstum in Luxemburg Grenzen hat, die bereits heute spürbar sind.
Besonders im luxemburgischen Kontext lassen sich dabei die unterschiedlichen Aspekte des Wachstums nicht trennen. Die gemeinhin aufgeführten Symptome des « blinden Wirtschaftswachstums » – Stau, Wohnungsmangel, Umweltverschmutzung, etc. – haben natürlich auch mit dem rasanten Anstieg der luxemburgischen Bevölkerung zu tun. Wirtschaftliches und demografisches Wachstum gehen hier Hand in Hand.
Alle kritisieren das Wachstum, aber keiner will es tatsächlich eindämmen. Dabei gäbe es natürlich Wege, um das Wirtschaftswachstum zu bremsen. »
Das luxemburgische Modell, wie es in den vergangenen drei Jahrzehnten aufgebaut wurde, ist jedenfalls auf die Attraktion von ausländischem Kapital und die Schaffung von tausenden Arbeitsplätzen pro Jahr angewiesen. Diese Arbeitsplätze werden eben zum Großteil von Einwanderern oder Grenzgängern übernommen. Die mit diesem Wirtschaftsmodell einhergehende Dynamik führt einerseits zu einem vergleichsweise hohen Wohlstand von vielen Menschen im Land. Doch sie hat auch politische Herausforderungen zur Folge, die der Politik immer bewusster werden.
Die unangenehme, aber letztlich unumgängliche Frage lautet: Wenn das Wachstum die Ursache von vielen Problemen im Land ist, müsste man dann nicht Maßnahmen ergreifen, die das Wachstum bremsen? Und, wenn ja: Welche Maßnahmen könnten das sein?
Von der Diagnose zur möglichen Therapie
Die Idee, dass ein Staat bewusst das Wirtschaftswachstum bremsen will, hat durchaus etwas von einem Gedankenexperiment – besonders im Fall Luxemburgs. Das sieht auch François Bausch so. « Das Wachstum ist nicht das Problem », sagte der grüne Minister einst im Interview mit dem « Lëtzebuerger Land ». Er wüsste nicht, wie man das Wachstum senken könnte, « in einer kleinen und extrem offenen Volkswirtschaft wie unserer, die zu 80 Prozent exportabhängig ist ». Und er sehe auch « niemanden, der politisch dafür eintritt ».
Unabhängig davon, dass Bausch wohl die Lektüre der grünen Wahlprogramme seit den 1980er Jahren erfolgreich verdrängt hat, hat er natürlich in einem Punkt Recht. In der Tat setzt sich niemand für eine Bremsung des Wachstums ein – offensichtlich auch die Grünen in der Regierung nicht. Und auch die mangelnde politische Vorstellungskraft, wie man Wachstum bremsen könnte, ist auf den ersten Blick nachvollziehbar.
Was die Befürworter des aktuellen Wachstumsmodells gerne vergessen: Auch ihre Argumentation beruht auf dem gleichen Gedankenexperiment wie die der Wachstumskritiker. »
Gleichzeitig unterstreicht die Aussage das Problem der luxemburgischen Wachstumsdebatte. Alle kritisieren das Wachstum, aber keiner will es tatsächlich eindämmen. Dabei gäbe es natürlich Wege, um das Wirtschaftswachstum zu bremsen. So wie Regierungen sich – zu Recht oder nicht – einbilden, dass sich Wachstum durch politische Maßnahmen ankurbeln lässt, so könnte man sich theoretisch auch das Gegenteil vorstellen.
Um es konkret zu machen: Man könnte zum Beispiel die Steuern für Unternehmen anheben oder zumindest bestimmte attraktive Steuernischen schließen. Man könnte strengere Umwelt- und Naturschutzauflagen für bestimmte Industriebetriebe auf den Weg bringen. Man könnte Immobilienbesitz und anderes Vermögen stärker besteuern. Kurz: Man könnte die ökonomische Attraktivität des luxemburgischen Standorts verringern und damit das wirtschaftliche und demografische Wachstum begrenzen.
Auf dem Weg zu einer wahrhaftigen Debatte
Auf den ersten Blick dürften diese Maßnahmen radikal erscheinen. Doch letztlich befinden sie sich durchaus im Mainstream der luxemburgischen Parteienlandschaft – zumindest in der Theorie der alle fünf Jahre geschriebenen Wahlprogramme. In der Praxis verlässt jedoch keine der bisherigen Regierungsparteien den bewährten Pfad des ungezügelten Wachstums. Wachstumskritik kommt zwar rhetorisch gut an. Dieser Kritik politische Taten folgen zu lassen, ist weitaus unangenehmer.
Denn die Folgen einer wachstumshemmenden Politik lassen sich auch in der Theorie durchspielen. Weniger Wachstum bedeutet – zumindest kurzfristig – weniger Steuereinnahmen, weniger politische Verteilungsmasse, womöglich weniger Wohlstand, heißt es. Doch letztlich ist es alles andere als ausgemacht, dass sich eine kurzfristige Verlangsamung des Wirtschaftswachstums langfristig negativ auf ein Land auswirkt. Was die Befürworter des aktuellen Wachstumsmodells gerne vergessen: Auch ihre Argumentation beruht auf dem gleichen Gedankenexperiment wie die der Wachstumskritiker.
Solange die Politik bei der Diagnose stehen bleibt, hat die im vergangenen Wahlkampf kurz angeklungene Wachstumsdebatte ihren Namen nicht verdient. »
Der Kapitalismus beruht zwar auf dem Ziel eines andauernden Wirtschaftswachstums. Doch zu viel und zu schnelles Wachstum kann für ein Land, seine Menschen und seine Umwelt zu langfristigen Kollateralschäden führen. In dieser Diagnose sind sich so gut wie alle politischen Strömungen in Luxemburg einig. Solange die Politik aber bei der Diagnose stehen bleibt, hat die im vergangenen Wahlkampf kurz angeklungene Wachstumsdebatte ihren Namen nicht verdient.
Wie könnte eine ebenso realistische wie verantwortungsvolle wachstumskritische Politik aussehen? Auch an dieser Stelle können vielleicht die Grünen und ihr Wahlprogramm weiterhelfen: « Der Erfolg unseres Landes ist eine Gemeinschaftsleistung aller. Darauf können wir stolz sein. Wir stehen heute allerdings vor einer Situation, die ein Weiterdenken erfordert », heißt es dort. Und: « Es wird Zeit, dass wir unsere Sozialversicherungen, unsere Arbeitsmarktpolitik, unseren Lebensstil und unsere Wirtschaftspolitik so einrichten, dass sie auch mit weniger Wachstum auskommen. »
Zugegeben: Klingt wieder ziemlich gut.