Bis vor kurzem waren noch alle für ein Referendum. Nun wollen Blau-Rot-Grün und CSV die Verfassungsreform doch lieber ohne Bürgerbeteiligung verabschieden. Das erratische Vorgehen ist bezeichnend für das Demokratieverständnis der großen Verfassungskoalition.

Referendum oder kein Referendum? Diese Frage stellt sich im Grunde schon seit Beginn der Arbeiten an der Verfassungsreform – also seit rund zwei Jahrzehnten. Schon an der Jahrtausendwende reifte in der politischen Klasse nämlich die Idee, dass der Reformbedarf des Luxemburger Grundgesetzes so groß sei, dass eigentlich ein komplett neuer Text her müsse. Während die Vorbereitungen im Parlament begannen, verpflichteten sich die Parteien nach und nach dazu, dass die große Verfassungsreform am Ende vom Souverän, also dem Volk, abgesegnet werden müsse.

« Ich glaube, dass es im 21. Jahrhundert normal sein sollte, dass neben dem Parlament auch die Bürger über ein neues Grundgesetz abstimmen dürfen », brachte Alex Bodry die allgemeine Meinung in der politischen Klasse noch vor den vergangenen Parlamentswahlen auf den Punkt. Wie so viele seiner Kollegen gilt auch der frühere LSAP-Fraktionschef und langjährige Vorsitzende der Verfassungskommission nicht als Fan der direkten Demokratie. Und doch sah er beim Grundgesetz einen besonderen Bedarf der Legitimation durch das Volk.

Mittlerweile wurde sowohl die Idee einer komplett neuen Verfassung als auch das Abhalten eines Referendums verworfen. Stattdessen einigten sich Blau-Rot-Grün und die CSV im Parlament darauf, die Reform auf vier große Kapitel mit Dutzenden Änderungen am Verfassungstext aufzuteilen. Diese vier großen Reformbündel sollen am Ende mit breiter Mehrheit in der Volksvertretung, aber nicht per Volksabstimmung verabschiedet werden.

Ein offensichtliches Glaubwürdigkeitsproblem

Dabei handelt es sich um einen schleichenden, aber fundamentalen Kurswechsel. Innerhalb von drei Jahren haben DP, LSAP, Déi Gréng und CSV ihre Position zum Referendum über die Verfassungsreform ins Gegenteil verkehrt. Dabei ist die Intention klar und nachvollziehbar: Die überwältigende parlamentarische Mehrheit will das Langzeitprojekt Verfassungsreform nach mehreren Rückschlägen endlich zu einem erfolgreichen Abschluss bringen.

Das Motto der einstigen Koalition der ‘demokratischen Erneuerung’ lautet: Wir wollen zwar mehr Demokratie, aber nur wenn das Volk so abstimmt, wie wir es gerne hätten. »

Gleichzeitig liefern die vier größten Parteien jetzt aber all jenen politischen Kräften, die gegen die Reform sind oder darin ein Protestpotenzial erkennen, ein gefundenes Fressen. Die Politik will das Volk lieber außen vor lassen: Es ist die perfekte Steilvorlage, um gegen die neue Verfassung bzw. deren mangelnde demokratische Legitimation zu wettern.

Als « Wortbruch » bezeichnete denn auch die ADR die offensichtliche Wende der vier größten Parteien in Sachen Referendum. In einer Resolution auf ihrem vergangenen Parteitag zitierte die Oppositionspartei genüsslich aus den Wahlprogrammen von CSV, DP, LSAP und Déi Gréng. Darin hatten sich alle vier Parteien unmissverständlich für ein Referendum über die Reform des Grundgesetzes ausgesprochen. Für die Parteien der übergroßen Verfassungskoalition heißt das: Spätestens wenn die ADR einen mit stichhaltigen Argumenten politisch vorführen kann, hat man wohl ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Wortbruch, Scheinargumente und Realpolitik

Zudem sind die Argumente, mit denen die Mehrheitsparteien ihren Kurswechsel begründen, nicht allzu überzeugend. Vor 2018 sei es um eine einzige, umfassende Verfassungsreform gegangen. Jetzt handele es sich um vier separate Reformblöcke, auf die man sich nach langen Diskussionen geeinigt habe, erklärte der Präsident der Verfassungskommission, Mars Di Bartolomeo (LSAP), kürzlich vor der Presse. Deshalb sei ein Referendum auch nicht mehr unbedingt notwendig.

Es ist ein offensichtliches Scheinargument. Denn was Mars Di Bartolomeo nicht dazu sagt: Die einzelnen Änderungen der Verfassungsreform sind mit wenigen Ausnahmen die gleichen wie schon 2018, nur die Vorgehensweise hat sich geändert. Auch die vier großen Reformpakete, die schon bald im Parlament zur Abstimmung gebracht werden könnten, enthalten fundamentale Anpassungen der Verfassungsordnung des Landes. Luxemburg erhält technisch gesehen zwar keine neue Verfassung, doch ihr Text wird nahezu komplett umgeschrieben.

Deshalb ist die Position, wonach man damals für ein Referendum war, und heute nicht mehr, nur schwer zu vermitteln. Die politischen Beweggründe sind aber durchaus nachvollziehbar. Was in der politischen Klasse nämlich nur hinter vorgehaltener Hand geäußert wird: Eigentlich wollte noch niemand wirklich und unbedingt ein Referendum. Der Einsatz für eine stärker demokratisch legitimierte Verabschiedung des neuen Grundgesetzes war keiner tiefen Überzeugung geschuldet, sie geschah eher widerwillig.

Ein bezeichnendes Demokratieverständnis

Spätestens seit dem dreifachen Referendum im Jahr 2015 sind die Fans der direkten Demokratie in Luxemburgs Parteien nämlich rar gesät. Seitdem stellen vor allem die Regierungsparteien das Instrument des Referendums an sich in Frage. Das Motto der einstigen Koalition der « demokratischen Erneuerung » lautet: Wir wollen zwar mehr Demokratie, aber nur wenn das Volk so abstimmt, wie wir es gerne hätten. Doch auch die CSV trägt eine Mitverantwortung, denn sie hat im Laufe des Reformprozesses ebenfalls mehrmals ihre Meinung zu dieser Frage geändert und letztlich das Projekt einer ganz neuen Verfassung gekippt.

Dass die genannten Parteien ihr Versprechen nicht einhalten, ist aber nur vordergründig dem politischen Pragmatismus geschuldet. Die heutige Position ist auch Ausdruck einer generellen Skepsis gegenüber direktdemokratischen Instrumenten. Klar ist: Um die Verfassungsreform überhaupt mit der nötigen Zweidrittel-Mehrheit zu verabschieden, braucht es den Konsens zwischen Blau-Rot-Grün und CSV. Um das Projekt noch in dieser Legislaturperiode durchzubringen und nicht unnötig zu gefährden, will man die Bürger zur Sicherheit nicht nach ihrer Meinung fragen.

Die Volksvertreter trauen dem eigenen Volk schlicht nicht zu, dass es nach gutem Wissen und Gewissen über eine so fundamentale Frage wie eine Verfassungsreform entscheidet. »

Doch auch dieses Vorgehen birgt Gefahren. Es verstärkt nämlich den Eindruck, wonach das Parlament politische Richtungsentscheidungen lieber im Alleingang verabschiedet als die Bürger daran zu beteiligen. Offensichtlich wagt kein Politiker es, klipp und klar zu sagen: Die Volksvertreter trauen dem eigenen Volk schlicht nicht zu, dass es nach gutem Wissen und Gewissen über eine so fundamentale Frage wie eine Verfassungsreform entscheidet.

Eine weitere, zumindest potenzielle Gefahr lauert zudem in einem Passus der aktuellen Verfassung. Laut Artikel 114 liegt die Entscheidung über ein Referendum in Verfassungsfragen nämlich nicht nur bei der Abgeordnetenkammer. Auch wenn spätestens zwei Monate nach der ersten Abstimmung im Parlament mindestens 25.000 eingetragene Wählerinnen und Wähler eine Volksabstimmung beantragen, würde diese das zweite Votum in der « Chamber » ersetzen – und wäre in jedem Fall bindend.

Partizipation als symbolisches Beiwerk

Die große Verfassungskoalition spielt also mit dem Feuer. Dabei hat vor allem sie selbst zu verantworten, dass das Projekt einer komplett neuen Verfassung scheiterte. Das gilt für die Koalitionsparteien, die mit dem Referendum von 2015 die notwendige Überparteilichkeit in Verfassungsfragen bewusst aufs Spiel setzten. Gleiches gilt jedoch auch für die CSV, die der Regierung den möglichen Erfolg einer neuen, modernen Verfassung von Beginn an nicht gönnte.

Spätestens wenn die ADR einen mit stichhaltigen Argumenten politisch vorführen kann, hat man wohl ein Glaubwürdigkeitsproblem. »

Das frühere Bekenntnis zu einem Referendum war ohnehin halbherzig, weil es nie durchdacht und politisch vorbereitet wurde. Denn wenn man dem Volk eine Verfassungsreform zur Abstimmung vorlegen will, kann das nur der letzte Schritt sein. Zuvor müsste das Parlament dafür sorgen, dass die Bürger angemessen informiert und konsultiert werden. Das gilt sowohl für das frühe Stadium, in dem noch Änderungen am Text möglich sind, als auch für die fertige Reform, die zum Referendum gestellt werden soll.

Eine wirklich konsequente Informations- oder gar Konsultationskampagne hat es jedoch nie gegeben. Demnach ist die Absage an das Referendum zumindest in dieser Hinsicht nur logisch. Allerdings wäre es noch nicht zu spät, den Reformprozess demokratischer zu gestalten. Auch wenn die Bürger nicht über die Reform selbst abstimmen sollen, könnten sie zumindest stärker eingebunden werden. Stattdessen plant das Parlament nun eine einzige (in Zahlen: 1) Informationsveranstaltung. Es ist das späte Eingeständnis, dass die politische Partizipation der Bürger von Anfang an nur symbolisches Beiwerk war.

Mehr Demokratie immer noch möglich

Die Parteien könnten auch offensiver für die Reform an sich werben. Denn anders als dies in der Debatte oft dargestellt wird, beschränken sich die geplanten Änderungen des Grundgesetzes nicht auf eine formale « Modernisierung » bzw. auf die bloße Anpassung der Verfassung an die politische Wirklichkeit. Die Reform sieht punktuell tatsächliche Fortschritte vor, die zur Präzisierung der Grundrechte, zu mehr Rechtssicherheit und auch zur Stärkung der Demokratie in Luxemburg beitragen dürften. Um nur zwei Beispiele zu nennen:

1. Laut Artikel 69 der Reformvorlage soll die Abgeordnetenkammer einen Untersuchungsausschuss einberufen, wenn mindestens ein Drittel der Abgeordneten (also mindestens 20 Abgeordnete) diese « commission d’enquête » beantragt. Diese Änderung stellt eine sehr konkrete Aufwertung der parlamentarischen Kontrolle der Regierung dar. Wäre dieser Passus schon heute in Kraft, wäre es beispielsweise mit ziemlicher Sicherheit zu einem Untersuchungsausschuss zu den Infektionsclustern in den Altersheimen oder auch zur systematischen Aufarbeitung der Affäre um den Militärsatelliten LUXEOSys gekommen.

2. Eine stärkere Bürgerbeteiligung verspricht zudem die in Artikel 67 der Reform geplante Volksinitiative. Demnach soll eine Gruppe von mindestens 125 eingetragenen Wählern einen Gesetzesvorschlag ausarbeiten können, der wiederum von mindestens 12.500 Wählern unterstützt werden muss, um im Parlament debattiert zu werden. Dabei handelt es sich wohlgemerkt nicht um eine Petition, sondern um ein reguläres Initiativrecht der Bürger in der Gesetzgebung – also ein durchaus konstruktives Instrument der partizipativen Demokratie.

Dies sind nur zwei Beispiele, die zeigen, dass die Politik eigentlich gute Argumente hätte, um im Volk für die Annahme der Verfassungsreform zu werben – und zwar unabhängig von der Frage, ob es am Ende zu einem Referendum kommt oder nicht.


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