Der Prozess der Verfassungsreform war jüngst von vielen parteipolitischen Manövern geprägt. In den allermeisten Punkten sind sich Blau-Rot-Grün und CSV jedoch nach wie vor einig. Nicht zuletzt in der Frage, dass sie ein Referendum über das neue Grundgesetz unbedingt vermeiden wollen.
Auf einmal ging alles sehr schnell. Die neue Verfassung ist vom Tisch. Stattdessen wolle man jene Punkte, bei denen man sich einig ist, im großen Konsens reformieren, verlautete es von den Koalitionsparteien und der CSV im vergangenen November. Darauf habe man sich in mehreren vertraulichen Verhandlungen geeinigt. « Vertraulich » heißt in diesem Fall: Fernab der Öffentlichkeit, ohne Beteiligung von Parlament und Bürgern, in der altbewährten politischen Dunkelkammer.
Der hinter den Kulissen geschmiedete Deal zwischen den vier größten Parteien ist vor allem Ausdruck der Realpolitik. Durch die Blockade der CSV in Sachen neue Verfassung drohte der Reform, an der Luxemburgs Politik seit einem gefühlten halben Jahrhundert arbeitet, das Aus. Jetzt zeigt sich: Der Großteil der Reform konnte gerettet werden. An einem kompletten Scheitern hatten weder die Koalition noch die größte Oppositionspartei ein Interesse.
Schwarz-blau-rot-grüne Einigkeit
Die Episode zeigt, dass sich Luxemburgs etablierte Parteien bei Bedarf doch zusammenreißen und Kompromisse finden können. So sehr die politische Landschaft seit 2013 auch gespalten ist, so möglich bleibt der übergroße parteipolitische Konsens, der die Politik im Großherzogtum vor dem Machtwechsel hin zur Dreierkoalition lange prägte. Wie schon beim neuen Nationalitätengesetz 2017 oder in der ersten Phase der Trennung von Kirche und Staat fanden die Regierungsparteien und die CSV auch bei der Verfassungsreform einen kleinsten gemeinsamen Nenner.
Es ist ein klassischer Kompromiss, wie er in der Politik fast schon alltäglich ist und zu dessen Erreichung sich jede beteiligte Partei ein wenig bewegen muss. »
Und dieser gemeinsame Nenner heißt: Man erspart sich das eigentlich versprochene Referendum. Wie es übereinstimmend aus Koalitions- und Oppositionskreisen heißt, war dies letztlich der Hauptgrund, warum es zu dem besagten Deal bei der Verfassungsreform kam. Weder der scheidende Vorsitzende der Verfassungskommission Alex Bodry (LSAP) noch der Co-Berichterstatter der Reform Léon Gloden (CSV) widersprachen in den vergangenen Wochen diesem Eindruck.
Die Regierung hat offensichtlich kein Interesse daran, sich nach dem Debakel von 2015 noch einmal in ein Referendum-Abenteuer zu stürzen. Ein negatives Votum wäre nicht nur mit dem definitiven Scheitern der neuen Verfassung, sondern auch mit einer politischen Schwächung der Dreierkoalition einhergegangen. Doch auch die CSV gilt nicht als leidenschaftlicher Befürworter von mehr direkter Demokratie. Ihre Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung bei der Verfassungsreform stellte sich letztlich auch als parteipolitischer Vorwand heraus.
CSV: Vom Verhinderer zum Retter
Im Fall der Christsozialen kommt aber ein weiterer Beweggrund ins Spiel. Durch ihre angedeutete, aber nicht durchgezogene Blockadehaltung schlägt die CSV zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie läuft jetzt nicht mehr Gefahr, in einer großen Kampagne gemeinsam mit Blau-Rot-Grün für das Verfassungsprojekt werben zu müssen. Und doch steht sie in der Öffentlichkeit nicht als kompletter Verhinderer der Reform da.
Im Gegenteil, so könnte man auch argumentieren, hat der Deal hinter verschlossenen Türen den Kern des Projekts gerettet. Zwar kommt es nicht zur Ideallösung, einer komplett neu angeordneten Verfassung. Doch die allermeisten Änderungen des Grundgesetzes, in denen sich alle im Parlament vertretenen Parteien (also auch ADR, Piraten und Déi Lénk) einig sind, sollen nun punktuell umgesetzt werden.
Spätestens an dieser Stelle verraten sich nämlich die « Dealmaker » der großen schwarz-blau-rot-grünen Koalition: Wirft man einen Blick in die Liste von Verfassungsänderungen, bei denen sich die vier Parteien einig sind, so handelt es sich dabei fast ohne Ausnahme um jene Punkte, die auch in der neuen Verfassung stehen sollten. Einzig bei der Neuformulierung der Kompetenzen des Großherzogs sowie der Justiz gebe es noch « Redebedarf », sagt Léon Gloden von der CSV.
« Suboptimal, aber pragmatisch »
Fest steht: Statt einer neuen Verfassung, dem großen Wurf und aus einem Guss geschriebenen Text, soll Luxemburg eine Vielzahl von punktuellen konstitutionellen Reformen erhalten. Das ist gesetzgeberisch zwar anspruchsvoller und angesichts der langen Vorarbeit eigentlich unsinnig. Am Ende dieses Prozesses soll jedoch auch ein in mehreren Dutzenden Punkten angepasstes Grundgesetz stehen, das sich dann durchaus als « neue Verfassung » bezeichnen lassen könnte.
Am Ende könnte nur das Volk dem Comeback der übergroßen Koalition einen Strich durch die Rechnung machen. »
Alex Bodry, der so kurz vor seinem Abschied aus dem Parlament sein Gesicht als « Verfassungsvater » wahren kann, nennt es einen « suboptimalen, aber pragmatischen Ansatz ». Aus der CSV hört man eine ähnliche Einschätzung. Es ist ein klassischer Kompromiss, wie er in der Politik fast schon alltäglich ist und zu dessen Erreichung sich jede beteiligte Partei ein wenig bewegen muss. Man könnte auch sagen: Ein normaler Vorgang, zumal in einem politischen System, das oft als « Konsensmodell » bezeichnet wird.
Reform noch immer nicht am Ziel
Die Verfassungsreform ist nur ein Beispiel dafür, dass dieses Modell bei Bedarf nach wie vor Bestand hat. Die großen Parteien mögen sich zwar in der öffentlichen Arena als verbitterte Gegner inszenieren und wortreich bekriegen. Doch wenn es sein muss, also wenn sie aufeinander angewiesen sind, können sie auch zielgerichtet zusammenarbeiten. Dabei geht es zum Glück nicht immer, wie bei der Verfassungsreform, um die Vermeidung einer stärkeren demokratischen Partizipation.
Doch noch ist der pragmatische Deal nicht am Ziel. Laut der gültigen Verfassung können nämlich entweder mindestens 16 Abgeordnete oder 25.000 Wähler ein verbindliches Referendum über jegliche Reform des Grundgesetzes herbeiführen. Bei der Quote der Abgeordneten lauert dabei wenig Gefahr, denn DP, LSAP, Grüne und CSV verfügen gemeinsam über 52 von 60 Sitzen im Parlament. Am Ende könnte also nur das Volk dem Comeback der übergroßen Koalition einen Strich durch die Rechnung machen.
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