Von Paulette Lenert über Yuriko Backes bis Joëlle Welfring: Die Parteien greifen bei der Besetzung von Ministerposten zunehmend auf Quereinsteiger zurück. Der Trend hat Vor- und Nachteile. Vor allem bekräftigt er aber die Vorherrschaft des Parteienstaates.

Man solle aufhören, so zu tun, als ob « den Parteien der Staat gehört », sagte François Bausch vergangene Woche bei der Vorstellung der neuen Umweltministerin Joëlle Welfring. Es sei ganz normal, dass Ministerposten auch von Menschen besetzt werden, die fachliche Kompetenz aufweisen und bisher nicht im Verdacht einer parteipolitischen Färbung standen, so der grüne Vizepremier vor der Presse.

Der Unterton der Rechtfertigung war klar: Man solle die Personalie nicht kritisch hinterfragen, sondern die Parteistrategen von Déi Gréng vielmehr für ihren Mut loben, dass sie eine Außenseiterin der politischen Arena für die Nachfolge von Carole Dieschbourg als Umweltministerin nominierten. Nach dem Motto: « Seht her, uns geht es gar nicht um Posten oder Parteipolitik, sondern allein um die Sache. »

In der Tat kann man Joëlle Welfring, einer Umweltwissenschaftlerin und langjährigen hohen Beamtin in der Umweltverwaltung, den nötigen Sachverstand nicht absprechen. Die 47-Jährige ist zudem nicht das erste Beispiel dafür, dass Luxemburgs Parteien bei der Besetzung hoher Posten den Weg der strengen parlamentarisch-demokratischen Logik verlassen. Auch Yuriko Backes (DP) und Paulette Lenert (LSAP), und zuvor Pierre Gramegna (DP), hatten vor ihren Ministerämtern keine politische Erfahrung. Auch sie wurden als Persönlichkeiten dargestellt, die allein wegen ihrer Kompetenzen ausgewählt wurden.

Zwischen Kompetenz und Legitimität

Die Erfahrungen ihrer Koalitionspartner dürften auch bei der Entscheidung der Grünen eine Rolle gespielt haben. Denn die Attraktivität dieser parteipolitischen Importe liegt auf der Hand: Man präsentiert der Öffentlichkeit neue, unverbrauchte Kandidaten, die als unabhängige Fachleute gelten. Hinzu kommt ein gewisser Überraschungseffekt; Gramegna 2013, Lenert 2018, Backes Anfang dieses Jahres und auch jetzt Joëlle Welfring hatten nur die wenigsten Beobachter der Regierungspolitik auf der Rechnung.

Ausgerechnet Déi Gréng fanden offenbar keine Person in den eigenen Reihen, die sich als kompetente Umweltpolitikerin aufdrängte oder der man dieses Amt zutraute. »

Die wohlklingende Rhetorik, die mit der Nominierung von Außenseitern einhergeht, hat aber eben auch eine Kehrseite. Denn bei all den Genannten handelt es sich um Regierungsmitglieder, die zum Zeitpunkt ihrer Ernennung über keine demokratische Legitimation verfügten. Sie wurden ursprünglich im ganz kleinen Kreis einer Parteiführung auserkoren, später durch reguläre Gremien lediglich bestätigt. Die breite Öffentlichkeit wird dagegen jedes Mal vor vollendete Tatsachen gestellt.

Richtig ist zwar, dass Luxemburgs Regierung nicht unmittelbar aus der Abgeordnetenkammer hervorgeht. Die Tradition der parlamentarischen Demokratie besagt dennoch, dass die Exekutive ihre Legitimität aus den durch Wahlen bestimmten politischen Kräfteverhältnissen schöpft. Ist man nicht gewählt, muss man sich diese Anerkennung erst noch erarbeiten. Daran ändert auch die feierliche Vereinnahmung durch eine Regierungspartei nichts. Die mangelnde Legitimation ist der Hauptgrund, warum die Technokratie, also die oft verschmähte Herrschaft der Sachverständigen, im direkten Spannungsverhältnis zur (parlamentarischen) Demokratie steht.

Bezirksproporz und andere Probleme

Hinzu kommt: Der Rückgriff auf politisch unbeschriebene Blätter ist oftmals schlicht eine Reaktion auf den Personalmangel der Parteien. Am Beispiel der Grünen lässt sich dies wohl am leichtesten veranschaulichen. Ausgerechnet Déi Gréng fanden offenbar keine Person in den eigenen Reihen, die sich als kompetente Umweltpolitikerin aufdrängte oder der man dieses Amt zutraute. Durch frühere Regierungsumbildungen ist die Personaldecke der Partei außerordentlich dünn. Acht der neun aktuellen Mitglieder der grünen Fraktion haben noch keine volle Legislaturperiode im Parlament verbracht.

Zusätzlich kompliziert wurde die Nachfolgersuche durch parteiinterne Streitigkeiten. Der Bezirksproporz, sonst der heilige Gral bei der Suche nach einem Ministernachfolger, wurde bei den Grünen bereits umgangen, als Felix Braz 2019 aus gesundheitlichen Gründen aus der Regierung ausschied. Damals wurde Henri Kox aus dem Osten ins Kabinett berufen, obwohl der große Wahlbezirk Süden eigentlich einen Kandidaten zugute hatte.

Auch jetzt war diese naheliegende Lösung keine Option. Wäre etwa Fraktionschefin Josée Lorsché Ministerin geworden, wäre Felix Braz laut Verfassung erster Ersatzkandidat für das Parlament gewesen. Der ehemalige Vizepremier fühlt sich jedoch von Teilen seiner Partei verraten, weil diese ihn – so sein Empfinden – als Minister frühzeitig fallen gelassen hätten.

Die neue grüne Umweltministerin Joëlle Welfring ist das rezenteste Beispiel einer Quereinsteigerin, die sich erst noch in der Arena der Spitzenpolitik beweisen muss. (Foto: Mike Zenari)

Auch im Zentrumsbezirk war die Berufung eines gewählten Parlamentsmitglieds mit Problemen verbunden. François Benoy und Djuna Bernard gelten zwar als Nachwuchstalente der Partei. Doch bei ihrer Nominierung hätte mit Paul Polfer ein ausgesprochener Kritiker der Regierungspolitik, der mittlerweile sogar aus der Partei ausgetreten ist, ins Parlament nachrücken können. Angesichts der hauchdünnen blau-rot-grünen Mehrheit von einem einzigen Sitz war auch dies für die Strategen von Déi Gréng von Beginn an keine reale Option.

Allein diese Planspiele verdeutlichen, wie schwer die personelle Lage ist, in der sich die Partei wegen einer Kombination aus Schicksalsschlägen und eigenem Unvermögen befindet. Dabei spielt auch das Primat der Realpolitik eine Rolle, das vor allem von Vizepremier François Bausch vorgegeben wird. Die Berufung einer hohen Beamtin sendet nämlich immer auch ein Signal der politischen Kontinuität aus. Eineinhalb Jahre vor den nächsten Wahlen wird es kaum noch große politische Initiativen geben – ein weiteres Argument für die Quereinsteiger-Variante.

Technokratinnen mit Parteikarten

Der Außenseiter-Bonus ist aber schnell wieder verflogen. Denn die neue Ministerin erklärte prompt ihren Eintritt in die grüne Partei und den Willen zur Kandidatur bei den kommenden Parlamentswahlen. Genau genommen gehört das Umweltministerium also weiter Déi Gréng, um die Logik von François Bausch zu bemühen. Diese formale Politisierung einer früheren Beamtin geschah auch im Fall von Yuriko Backes und der DP. Die Parteien wollen natürlich sicherstellen, dass die soeben beförderten Akteurinnen auch dauerhaft Teil ihrer politischen Familie sind. Gleichzeitig entziehen sie den Betroffenen so aber auch direkt die ursprünglich so gelobte Unabhängigkeit.

Dass die Berufung von Außenseitern in die Regierung in Luxemburg in Mode kommt, liegt aber auch an einer anderen Person. Auch Liberale und Grüne erhoffen sich offenbar eine Nachahmung des « Paulette-Lenert-Effekts » – also den Aufstieg einer profilierten Beamtin, die in den Ministersessel gehievt wird und schon bald alle eingesessenen Politiker in den Umfragen hinter sich lässt. Vor den Wahlen von 2018 war Paulette Lenert noch als Erste Regierungsrätin für die Verwaltungsreform zuständig. Kaum vier Jahre und eine Pandemie später ist sie formal die Nummer 2 in der Regierung und wird in manchen Medien schon als kommende Premierministerin gehandelt.

Ein vorbildlicher Fachmann macht noch keinen erfolgreichen Politiker und eine nachweislich kompetente Beamtin muss allein deshalb noch keine gute Ministerin sein. »

Die Vorzüge von sogenannten Technokraten liegen aber nicht nur im Potenzial ihrer politischen Verwandlung. Sie haben das politische Handwerk nämlich oft aus einer anderen Perspektive gelernt als die Parteisoldaten, die sonst in die höchsten Sphären der Macht vordringen. Paulette Lenert, Yuriko Backes und Joëlle Welfring kennen die Regierungsmaschinerie aus dem Effeff. Sie wissen, wie Verwaltungen ticken und worauf es bei der Umsetzung von politischen Entscheidungen ankommt. Zumindest das haben sie vielen Berufspolitikern voraus.

Andererseits unterliegt die Beförderung von hohen Beamten zu Ministern auch einem grundlegenden Paradox. Denn ihre Fähigkeiten, die sie in den Augen der Parteien auszeichnen, bleiben weiter gefragt. Hohe (politische) Beamte sollen die Prozeduren kennen, die Regierungspolitik in Gesetze gießen und dafür sorgen, dass ihre politischen Vorgesetzten keine allzu vermeidbaren Fehler machen. Wechseln sie selbst ins politische Metier, werden sie unweigerlich an anderer Stelle fehlen und müssen sich mitunter selbst adäquat ersetzen.

Politikmanagement und andere Qualitäten

Das Profil des Ministers ist dagegen ein ganz anderes. Regierungsmitglieder geben in der Regel im Einklang mit Partei-, Koalitions- und Staatsräson die politische Richtung vor. Sie sollen nicht nur verwalten, sondern gestalten und realisierbare Visionen formulieren, an denen sich ihre Wähler, aber auch ihre Mitarbeiter im Alltagsgeschäft orientieren können. Angesichts sich häufender Regierungsumbildungen könnte man denn auch argumentieren, dass es in Luxemburg weniger an kompetenten Beamten und potenziellen Fachpolitikern mangelt, sondern eher an erfahrenen politischen Führungspersönlichkeiten.

So sind die für die verschiedenen Jobs notwendigen Begabungen auch grundlegend anders gelagert. Ein vorbildlicher Fachmann macht noch keinen erfolgreichen Politiker und eine nachweislich kompetente Beamtin muss allein deshalb noch keine gute Ministerin sein. Oder zugespitzter formuliert: Um in einem politischen Spitzenamt dauerhaft erfolgreich zu sein, kommt es nicht vorrangig auf Kompetenz und Sachkenntnis an.

Im politischen Geschäft sind vor allem Tugenden wie Durchsetzungsvermögen, Überzeugungskraft, taktisches Vorgehen, aber auch Authentizität und eine kluge Kommunikation gefragt. Hinzu kommt zunehmend die Anforderung eines effektiven Managementstils. Nicht zuletzt muss man auch mit der dauerhaften Präsenz, und mitunter mit Kritik, in der Öffentlichkeit umgehen können – ein Phänomen, das hohen Beamten in Luxemburg in der Regel erspart bleibt.

Politisch unbeschriebene Blätter auf hohen Posten: Yuriko Backes (l.) und Paulette Lenert (r.) verkörpern durchaus einen neuen Trend in der luxemburgischen Politik. (Foto: Mike Zenari)

Mit diesen Aspekten des Politikerdaseins tun sich wiederum viele Quereinsteiger zusehends schwer. Paulette Lenert und Yuriko Backes etwa sind bisher nicht mit Äußerungen aufgefallen, die im Verdacht einer klaren politischen Positionierung stehen. Sie kommunizieren sehr zurückhaltend und vermeiden Festlegungen. In Teilen der Bevölkerung mag diese Haltung gut ankommen, weil sie einem Zeitgeist entspricht, dem sich auch so manche Berufspolitiker verschrieben haben. Doch gleichzeitig verkennt sie den Kern von dem, was Politik letztlich ausmacht, nämlich die Auseinandersetzung mit handfesten und meist widersprüchlichen Interessen.

An den klassischen Ansprüchen des politischen Geschäfts scheiterte übrigens auch Carole Dieschbourg. Der ehemaligen Ministerin wurde nicht ein Mangel an Sachkenntnis zum Verhängnis, sondern schlicht ihr nachlässiges Management von politischen Affären. Sie ließ es zu, dass ihr am Ende einer prozeduralen Affäre keine andere Wahl als der Rücktritt blieb. Ihre jetzige Nachfolgerin war daran übrigens nicht ganz unbeteiligt. Als langjährige stellvertretende Direktorin der Umweltverwaltung war es eigentlich auch Joëlle Welfrings Job, die Ministerin vor folgenreichen Fehltritten zu bewahren.

Einverleibung durch den Parteienstaat

Gibt es in Luxemburg also einen Trend zur Technokratie? In manchen Ländern ist dieser Trend ein Weg, um die Politik vor dem Verdacht von Korruption und Misswirtschaft zu befreien. Oft geht es aber vielmehr um die kreative Neubesetzung von Posten nach nüchternen politischen Kriterien. Das gilt noch mehr für ein Land, das allein wegen seiner überschaubaren Größe keine endlosen personellen Ressourcen aufweist. Dabei fällt die Wahl zunehmend auf Personen, die schnell einsatzbereit sind, die aber – zumindest in der Hoffnung der federführenden Parteien – politisch kontrollierbar bleiben.

Angesichts der Lage der Regierungsparteien ist die Technokratisierung vielmehr eine aus der Not geborene Einverleibung von hohen Beamten durch den Parteienstaat. »

Dass sich diese Fälle häufen, liegt aber eben daran, dass den Parteien jener Nachwuchs fehlt, der sich über traditionelle Wege für die höchsten Sphären der Macht aufdrängt. Gerade dieser Regierung ist das politische Spitzenpersonal in atemberaubender Geschwindigkeit abhanden gekommen. Während Blau-Rot-Grün in der ersten Legislaturperiode drei Minister austauschen musste, ist Carole Dieschbourg bereits das sechste Regierungsmitglied, das seit 2018 zurückgetreten ist.

Angesichts der personellen Lage der Regierungsparteien ist die Technokratisierung vielmehr eine aus der Not geborene Einverleibung von hohen Beamten durch den Parteienstaat. Denn wenn es allein um Kompetenz gehen würde, wie sowohl Grüne als auch Liberale bei den entsprechenden Nominierungen betonten, dann könnten die Auserwählten auch parteilos bleiben. Stattdessen beteuern Luxemburgs beförderte Technokraten, dass sie sich fortan in die Niederungen von Parteitagen, Bezirksproporz und Wahlkampfveranstaltungen begeben werden.

Ob sie alle diese doch bedeutenden Rollen- und Szenenwechsel meistern werden, bleibt abzuwarten. Doch sollten die Parteien sich nicht darauf verlassen, dass das Experiment jedes Mal glückt. Vorsorglich gilt es, auch die Kompetenzerweiterung beim bestehenden politischen Personal zu fördern. Zum Einen, damit der klassische Weg, per Wahl ins Parlament zu kommen und sich von dort aus für die regierungspolitische Gestaltung zu empfehlen, nicht völlig aus der Mode kommt. Vielleicht aber auch, damit die Wähler nicht die Parteistrategen beim Wort nehmen und noch weitere alteingesessene Politprofis durch kompetente Außenseiter ersetzen wollen.


Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Artikels hieß es, dass unter bestimmten Voraussetzungen Roberto Traversini im Südbezirk als Abgeordneter der Grünen nachrücken könnte. Das ist so nicht korrekt. Die entsprechende Passage wurde deshalb angepasst.