Knapp vor dem Ende ihrer ersten Regierungsbeteiligung zeigen Déi Gréng deutliche Zeichen von Erschöpfung. Der Schock über den Tod von Camille Gira verdeckt tiefere Schwächen: Eine ausgedünnte Personaldecke, müde Parteimitglieder und mangelnde Durchsetzungskraft. Eine Analyse.
Die Symptome sind deutlich: Erst am Dienstag schmiss die Co-Parteipräsidentin Françoise Folmer hin – drei Wochen vor dem Wahlkongress ihrer Partei und mitten in den Verhandlungen über das Programm. Auch Spitzenkandidatin im Norden will sie nicht mehr sein. „Man muss loslassen, wenn man den Bogen überspannt“, begründete sie ihren überraschenden Schritt. Der Tod von Camille Gira habe sie nachdenklich gestimmt und sie sei sich ihrer eigenen Überlastung bewusst geworden, so Folmer.
Die Partei geht geschwächt in den Wahlkampf und zeigt ein deutliches Burn-out-Risiko: zu ehrgeizige Ziele, mangelnde Ressourcen, fehlender Einfluss und eine vergiftete Arbeitsatmosphäre. Gute Umfragewerte im Politmonitor ändern an den strukturellen Problemen wenig.
Denn Françoise Folmer ist nicht die einzige Grüne, die die Lust an der Politik verloren hat. Ende März kündigte der grüne Abgeordnete Claude Adam seinen Rücktritt aus dem Parlament an. Einer der Gründe, die er dem „Luxemburger Wort“ nannte: „die Motivation [ist] nicht mehr so groß ist wie zu Beginn“. Anfang März gab die grüne Fraktionschefin Viviane Loschetter bekannt, im Herbst nicht mehr erneut zu kandidieren.
Jean „Muck“ Huss trat im vergangenen Herbst im Protest gegen die Koalition mit der CSV aus der Lokalsektion Esch/Alzette aus. Am Mittwoch fehlte er ebenfalls bei der Feier von 35 Jahre Déi Gréng – eine Partei, die er 1983 mitgegründet hatte. Christiane Wickler blieb nur anderthalb Jahre in der Chamber, bevor sie fand, dass ihr Posten als Chefin des Pall-Center mit dem Abgeordnetenmandat zeitlich unvereinbar sei.
Personaldecke mit Löchern
Diese Abgänge dünnen die Personaldecke der Grünen extrem aus. Die Partei war gezwungen, Claude Turmes aus dem Europaparlament zurückholen, um noch eine realistische Chance zu haben, den Sitz im Norden zu verteidigen. Turmes kämpfte mit den Tränen, als er am Dienstag seine Nominierung als Staatssekretär annahm. Und das hatte nicht nur mit dem Verlust seines Freundes Camille Gira zu tun, sondern auch mit dem für ihn persönlich so schweren Abschied aus Brüssel.
Den Grünen mangelt es an Kandidaten mit gewissem Bekanntheitsgrad und politischer Erfahrung. So ist etwa auffällig, dass 32 der 60 grünen Kandidaten für die kommenden Parlamentswahlen sich den Wählern 2013 noch nicht gestellt hatten. Das kann man nun als Erneuerung sehen. Immerhin haben zehn der 32 Neulinge ein kommunales Mandat. Und die Jonk Gréng stellen 14 Kandidaten – doppelt so viel wie beim letzten Wahlgang.

Ob das reicht, um in Luxemburgs äußerst personalisiertem Wahlsystem Erfolg zu haben, ist jedoch mehr als fraglich. Loschetter, Folmer (damals auch noch Zentrumskandidatin) und Adam hatten 2013 knapp 13.000 persönliche Stimmen gesammelt. Das entsprach elf Prozent aller Stimmen und über einem Viertel der persönlichen Stimmen der Grünen im Zentrum.
Auch den Aufbau von neuen Gesichtern schaffen die Grünen nur bedingt. Der Glücksgriff Carole Dieschbourg, die von der Kleinunternehmerin zur „Klimaqueen“ (dixit Turmes) avancierte, ist ein Einzelfall. Durchaus bekannte junge Grüne wie Gina Arvai, Paul Matzet, Jan Guth, Manuel Huss oder Philippe Schockweiler kandidieren aus unterschiedlichen Gründen dieses Jahr nicht mehr. Guth ist inzwischen zu Déi Lenk gewechselt.
Der Lokalproporz siegt
Mit Stéphanie Empain soll das Carole-Dieschbourg-Wunder nun auch im Norden gelingen. Sie ersetzt Folmer als Spitzenkandidatin neben Claude Turmes, wie Déi Gréng am Donnerstag offiziell bestätigten. Die Parteistrategen sehen in ihr die ideale Kandidatin: Die junge Unternehmerin verkauft Stoffwindeln und berät Eltern zu deren Einsatz. Sprich: Sie hat ein ökologisches Start-up aufgebaut. Pluspunkt: Sie wohnt in Erpeldingen bei Wiltz, eine Gegend, in der die Grünen aktiver werden wollen.
Soweit die Strategie und der PR-Sprech. Die Realität: Empain scheint selbst in der Partei kaum bekannt zu sein. Und Wiltz ist eine tiefrote Gemeinde, wo es nicht einmal eine grüne Lokalsektion gibt. 2013 holte die LSAP dort 36 Prozent der Stimmen, Déi Gréng ganze fünf. Bei den Gemeindewahlen gab es keine grüne Liste. Kurz: Eine unbekannte Kandidatin soll Stimmen holen in einer Gegend, die ein hartes Pflaster für die Grünen ist.
Wichtiger war bei der Entscheidung wohl aber der Lokalproporz. Die andere mögliche Spitzenkandidatin Giny Deltgen kommt nämlich aus Diekirch, genau wie Claude Turmes. Zweimal Diekirch an der Spitze ging nicht. Dabei war Deltgen immerhin bereits Kandidatin bei den Gemeindewahlen. Die 22-jährige Svenja Birchen wurde nachträglich nominiert, damit es auch eine Kandidatin aus Ettelbrück gibt. Und dann spielt auch die Parität: Der Abgeordnete Gérard Anzia konnte nicht zum Spitzenkandidaten neben Turmes werden, weil die Statuten der Partei ausdrücklich eine Frau und einen Mann an der Spitze der Listen vorschreiben.
Wer hat Angst vor Doppelmandaten?
Die Grünen setzen ganz offensichtlich darauf, sich langfristig lokal zu verankern. 32 Kandidaten haben ein kommunales Mandat, 12 davon im Schöffenrat ihrer Gemeinde.
Das ist erstaunlich, denn im Wahlprogramm 2013 hieß es unmissverständlich: „Doppelmandate abschaffen“. Nun sind auch andere Parteien ähnlich inkonsequent wie die Grünen. Doch niemand wird bestreiten, dass es zeitraubend ist, sowohl im Gemeinderat als auch im Parlament seine Arbeit ordentlich zu machen. Das gilt gerade für eine Partei, in der sich die Rücktritte aus „Zeitmangel“ häuften.
Die Mühen der Basisdemokratie
Zu den Ressourcen, die eine Partei für einen erfolgreichen Wahlkampf braucht, gehören nicht nur die Kandidaten, sondern alle Parteimitglieder. Und auch hier machen die Grünen keine gute Figur. Zwar gewann die Partei im vergangenen Jahr 200 neue Mitglieder, doch bei der Mobilisierung hapert es.
Als es beim außerordentlichen Kongress am Dienstag darum ging, Claude Turmes als neuen Staatssekretär zu nominieren, kamen nicht ausreichend Mitglieder, um endgültig zu entscheiden. Das Problem: Die grüne Basisdemokratie kennt keine Parteidelegierten. Das Quorum lag bei 138, es erschienen aber nur 124 der 732 Mitglieder. Nun haben die Mitglieder sechs Arbeitstage Zeit, die Abstimmung zugunsten Turmes zu bestreiten. Konkret muss Turmes also mindestens eine Woche warten, bevor der Großherzog ihn vereidigen kann.
Für eine Partei, die nach dem tragischen Tod von Camille Gira eigentlich geeint sein sollte, gibt das kein gutes Bild ab. Als es 2013 darum ging, über die Regierungsbeteiligung abzustimmen, war das Quorum kein Problem: Der Saal im Neimënster war zu klein, damit alle Platz fanden. Auch bei der Jubiläumsfeier am Mittwoch waren über 200 Mitglieder anwesend. Man muss eben Prioritäten setzen.
Die lieben Kollegen
Und auch die Atmosphäre zwischen Parteikollegen war schon einmal besser. Laut RTL war Françoise Folmer alles andere als erfreut über die Art und Weise, wie sich ihre Partei für Turmes und damit auch gegen sie entschied. Jean Huss beklagte im Herbst ein autoritäres Vorgehen der Partei bei der Entscheidung für eine Koalition mit der CSV in Esch.
In der Koalition ist die Stimmung nicht besser. LSAP und DP ließen die Grünen bei der fehlgeschlagenen Wahl ihrer Kandidatin für den Staatsrat ins Messer laufen. Dieschbourg konnte sich im Dossier der Steinwollfabrik Knauf gegen Wirtschaftsminister Schneider profilieren. Doch im urgrünen Dossier Tanktourismus bremsen die Koalitionspartner offensichtlich. Dafür sei jetzt keine Zeit mehr, wiegelte François Bausch kürzlich ab. Damit fällt diese Aufgabe für den designierten neuen Staatssekretär weg.
Ein bisschen Kreislaufwirtschaft, ein bisschen Landesplanung: Diese Schwerpunkte will Turmes in seinem halben Jahr als Staatssekretär bearbeiten, sagte er in seiner Kongressrede am Dienstag. Aufbruchstimmung klingt anders.