Auf ihrem Kongress versuchte die Führungsriege der CSV, Einheit und Entschlossenheit zu demonstrieren. Die einst so stolze Volkspartei will sich inhaltlich stärker profilieren. Den von ihrem Parteivorsitzenden entfachten Richtungsstreit trägt sie jedoch nicht offen aus. Eine Analyse.

Frank Engel neben Martine Hansen. Der Parteipräsident steht, die Fraktionsvorsitzende sitzt. Martine Hansen dreht Frank Engel den Rücken zu, dieser redet auf sie ein, sie blickt kurz auf, dann geht Engel wieder und setzt sich auf seinen Platz. Frank Engel wird auf die Bühne gebeten, der erste « digitale Nationalkongress » der CSV kann beginnen.

Die Szene ist symptomatisch für die Lage der CSV. Zwischen Fraktion und Partei weht ein kalter Wind. Nach seinem Alleingang im ausgehenden Sommerloch, als er unter anderem eine Erbschafts- und Vermögensteuer forderte, ist Frank Engel in der eigenen Partei isolierter denn je. Der Parteichef wurde zurückgepfiffen und öffentlich kritisiert. Seine Rede vor dem CSV-Kongress am Samstag in Zolwer wurde demnach mit einer gewissen Spannung erwartet.

Allerdings spricht zuerst Marc Fischbach, der den Vorsitz des Parteitags übernommen hat, die internen Divergenzen an. „In unserer Volkspartei gibt es kein Thema und keine Idee, die es nicht wert sind, offen und ehrlich ausgesprochen und ausdiskutiert zu werden“, sagt der frühere Bildungsminister und Ombudsmann. Als Elder Statesman der Partei ruft er zu Besonnenheit auf, „persönliche Befindlichkeiten“ sollen intern ausdiskutiert werden.

Mehr oder weniger interne Divergenzen

„Das, was nicht so gut ist, sollen wir im Sommer liegen lassen und das ist das Bild von der Nichtgeschlossenheit“, sagte dann Fraktionschefin Martine Hansen in ihrer Rede. Als Antwort auf den unilateralen Vorstoß von Frank Engel will die Partei ihre interne Diskussionskultur verbessern. Die Betonung liegt aber auf « intern ». Denn künftig soll eben vermieden werden, dass die Meinungen frei nach außen getragen werden.

Und allzu offen soll die neue Streitkultur auch nicht sein. Wenige Minuten, nachdem die Fraktionsvorsitzende mehr Geschlossenheit gefordert hatte, stellte sie nämlich erneut klar, dass ihre Partei gegen die Einführung einer Erbschaftssteuer in direkter Linie sei. Eine solche Maßnahme stehe im Konflikt mit der „DNA unserer Partei“, die sich für eigenständige und verantwortungsvolle Familien einsetze, so Martine Hansen.

Alle anwesenden Politiker, Parteichef Frank Engel inklusive, vermieden es letztlich erfolgreich, den schwelenden Konflikt um die Deutungshoheit in der CSV offen auszutragen. (Foto: CSV)

Frank Engel ließ es sich später nicht nehmen, auf die Rede der Fraktionschefin zu reagieren, mit der er in „fast allen Punkten“ einverstanden sei. „Es gab nur einen Teil der Rede, wo wir uns nicht einig werden konnten, aber es zukünftig werden“, sagte der Parteipräsident etwas kryptisch. Damit deutete Engel allerdings erneut an, dass er zumindest punktuell nicht auf Parteilinie ist.

Doch es blieb letztlich bei Andeutungen. Nachdem er vehement die Wohnungsbaupolitik der Regierung kritisierte, stellt Frank Engel die rhetorische Frage, ob eine Erbschafts- oder Vermögenssteuer daran etwas ändern würden. „Nein, machen sie nicht und das habe ich auch nie behauptet, das wäre falsch. » Eine unmissverständliche Aussage, ob er weiter zu seinen parteiintern umstrittenen Forderungen steht, machte der Parteivorsitzende nicht. Engel vermied in seiner Rede den Konflikt, den er selbst heraufbeschworen hatte. Ein Showdown blieb aber auch aus, weil seine Kritiker es ihm gleichtaten.

Der Kommentator aus der ersten Reihe

Dennoch war die Rede des Parteipräsidenten bemerkenswert. Während Martine Hansen auf das alltägliche politische Geschehen im Parlament einging, holte Frank Engel weit aus. Er bewegte sich auf der politischen Metaebene, gab einen Exkurs über das Wesen einer Volkspartei und wandte sich dann seinem bevorzugten Thema zu: dem « Luxemburger Traum ».

„Dieser Traum ist nicht reich zu werden, sondern eine Arbeit zu finden, für diese angemessen bezahlt zu werden und davon gut zu leben – am liebsten in den eigenen vier Wänden“, so der Parteipräsident. Laut Engel kann dieser Traum allerdings für viele nicht mehr erfüllt werden. Erst wenn seine Partei dies wieder ermögliche, könne sie die Bevölkerung wieder überzeugen, dass sie das Vertrauen verdient habe, um zu regieren. Er arbeitet sich rhetorisch an der Regierungspolitik ab, nennt viele Zahlen, kritisiert den „Wachstumszwang“ und beendet seine Rede mit einem Plädoyer für eine glaubwürdigere Klimapolitik.

Die Analyse war somit glasklar. Fraglich bleibt nach diesem Kongress aber mehr denn je, ob Frank Engel derjenige ist, der den Richtungswechsel in seiner Partei verkörpern kann. Sein Problem ist nach wie vor, dass die wirkliche Macht innerhalb der CSV in der Fraktion liegt. Und hier ist der Parteichef außen vor. Mit seinen Positionen trifft Frank Engel unter den 21 Abgeordneten der CSV nur sehr begrenzt auf Zustimmung. Damit verkommt der Parteipräsident zu einem Politikanalysten, einem Kommentator des Geschehens, der zwar Lösungsansätze liefert, aber sie nicht ansatzweise umsetzen kann.

Eine Partei ohne klare Führung

Allerdings ergeht es nicht nur dem Parteipräsidenten so. Als Martine Hansen das Rednerpult betrat, waren mehrere Sitzplätze leer. Die meisten Mitglieder der Fraktion und des Nationalkomitees waren in Zolwer anwesend. Der Rest der Delegierten war per Video-Stream zugeschaltet. Doch zu Beginn der Rede der Fraktionsvorsitzenden rauchten einige noch vor dem Gebäude eine Zigarette oder tauschten sich mit anderen Mitgliedern aus. Erst nach zehn Minuten betraten die letzten Delegierten, darunter der Europaabgeordnete Christophe Hansen und Ex-Spitzenkandidat Claude Wiseler, den Saal.

Während die Fraktionschefin das Krisenmanagement der Regierung rhetorisch sezierte, hielten sich die Reaktionen bei den Parteifreunden stark in Grenzen. Nur als Hansen die Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) kritisierte und beim Abschluss ihrer Rede, erhielt Martine Hansen Applaus. Die Szene stand sinnbildlich für die Lage jener Gruppierung, die immer noch ihre schwindende Bedeutung als letzte Volkspartei des Landes beschwört.

Weder die Rede des Parteipräsidenten noch jene von Fraktionschefin Martine Hansen lösten bei den Delegierten große Reaktionen aus. (Foto: CSV)

Was auf dem Kongress deutlich wurde: Auch die Fraktionsvorsitzende ist als Führungskraft in der CSV nicht unumstritten. In den letzten Monaten war es auch immer wieder Claude Wiseler, der im Parlament wichtige Reden hielt und faktisch als Leader der Fraktion auftrat. Martine Hansen geriet gewollt oder ungewollt in die zweite Reihe. Bei der parteiinternen Debatte über Steuergerechtigkeit ereilte sie das gleiche Schicksal. Es war vor allem ihr Vize, der Finanzpolitiker Gilles Roth, der als Gegenspieler zu Frank Engel auftrat.

Während Frank Engel als Einzelgänger auftritt, kommt Martine Hansen die Rolle der Moderatorin zu. Auch auf dem Kongress am Wochenende versucht sie vor allem, Einheit zu demonstrieren. Ihre Ansprache beendete sie damit, dass man in Zukunft als Fraktion und als Partei stärker zusammenarbeiten müsse. Inhaltlich bleibt von ihrer Rede wenig in Erinnerung.

Arbeitsgruppen statt Konfliktbewältigung

Die offensichtlichen Divergenzen ihres Führungspersonals versucht die Partei hinter sich zu lassen, indem sie programmatische Arbeitsgruppen ins Leben ruft. Diese sollen etwa in der Steuer- und Wohnungsbaupolitik konkrete Vorschläge ausarbeiten, hinter denen sich Partei und Fraktion versammeln können. Es ist für die CSV ein neuer Prozess, der die unterschiedlichen Flügel wieder näher zusammenrücken lassen soll.

Paul Galles will, dass die CSV „eine Partei der Begegnungen“ wird. Sprich ein Ort, an dem verschiedene Menschen frei ihre Meinung äußern können, so der amtierende Generalsekretär. Nachdem sich Generalsekretär Felix Eischen wegen eines Burnouts vorübergehend aus der Politik zurückgezogen hat, trägt Paul Galles die Verantwortung für den parteiinternen Selbstfindungsprozess.

In fünf Arbeitsgruppen sollen die Mitglieder sich in den kommenden Monaten über die Neuausrichtung der Partei austauschen. Die Erbschaftssteuer ist trotzdem bereits vom Tisch. Ein offener Austausch, bei dem es « kein Thema und keine Idee » geben soll, « die es nicht wert sind, offen und ehrlich ausgesprochen und ausdiskutiert zu werden », ist also bereits von Anfang an nicht gegeben.

Zumindest aber hat Frank Engel in Paul Galles so etwas wie einen spirituellen Verbündeten gefunden. Die Individualisierung sei « ein Resultat der neoliberalen Politik in Luxemburg », sagte Galles etwa auf dem Kongress. Seine Rede widmete der frühere Geistliche vor allem der « Solidargemeinschaft » sowie der Bekämpfung von Armut und Klimawandel. Ob das neue christlich-soziale Tandem an der Parteispitze jedoch für die Mehrheit an der Basis (und in der Fraktion) spricht, darf bezweifelt werden. Genauso wie die Perspektive, dass die CSV bei ihrer inhaltlichen Selbstfindung ihre Konflikte auf einmal offen austragen wird.


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