Frank Engel fordert einen neuen Kurs seiner Partei und setzt damit seine politische Karriere aufs Spiel. Seine Ablehnung in der CSV liegt jedoch nicht nur an seinem jüngsten umstrittenen Alleingang. Schon vorher begaben sich die Partei und ihr Vorsitzender auf Konfrontationskurs.

Alles begann mit einer harmlosen Interviewanfrage. Das Thema des Gesprächs sollte eigentlich die aktuelle Lage der CSV sein. Schnell stellte sich aber heraus, dass der Parteivorsitzende der CSV etwas Grundsätzliches loswerden wollte. Im Interview mit REPORTER forderte Frank Engel dann eine inhaltliche Neuaufstellung seiner Partei. Er wolle Politik für die « kleinen Leute » machen und dafür den Reichtum im Land stärker besteuern. Konkret nannte der CSV-Präsident unter anderem die klassischen linken Forderungen nach einer Einführung von Erbschaftsteuer, Vermögensteuer und Finanztransaktionsteuer.

Frank Engels Worte waren allerdings keine Ausrutscher oder spontane programmatische Ideen. Gerechtigkeit herstellen und Reichtum besteuern: Dieses Thema zog sich durch das ganze Interview. Deshalb musste der Parteichef auch wissen, welche Reaktionen er damit in den eigenen Reihen hervorrufen würde. Nicht nur forderte Engel einen neuen Kurs, der in allen Punkten gegen die bisherige Programmatik der CSV gerichtet war. Er forderte offen den konservativen Kern seiner Partei, nämlich die Bewahrung des sozial-ökonomischen Status quo heraus.

Nur keine öffentliche Debatte

Dass seine Äußerungen Widerspruch geradezu herausforderten, liegt aber nicht nur an den Vorschlägen selbst. Frank Engel war schon vor diesem Interview in der eigenen Partei ein Außenseiter. Seine überraschende Wahl zum Parteichef im Januar 2019 geschah gegen den Willen des Partei-Establishments. Viele Abgeordnete der Christsozialen warteten nur auf den ersten großen Fehler ihres Vorsitzenden, manche haben ihm längst jegliche konstruktive Zusammenarbeit verweigert.

Für diesen Teil der CSV-Fraktion waren die mit niemandem in der Partei abgesprochenen Forderungen natürlich ein gefundenes Fressen. Sie wiesen den unliebsamen Parteichef schnell in die Schranken. Am allerliebsten würden sie ihn gleich ganz loswerden. Das sagen sie aber wohlgemerkt nicht in der Öffentlichkeit, sondern intrigieren lieber, wie es sich für eine konservative Partei gehört, hinter den Kulissen.

Als Erneuerer seiner Partei wird Frank Engel wohl nicht in die Geschichte eingehen. Doch als Querdenker und disruptiven Animateur der politischen Debatte sollte die CSV ihn aushalten können. »

Allerdings offenbaren die Reaktionen auf den Vorstoß des CSV-Präsidenten auch ein viel tiefer reichendes Problem der luxemburgischen Politik. Denn keiner von Engels innerparteilichen Gegnern setzte sich ansatzweise mit dem inhaltlichen Kern seiner Aussagen auseinander. Niemand lieferte auch nur den Hauch eines Argumentes, warum die stärkere Besteuerung von Reichtum nicht mit der CSV-Programmatik vereinbar sein soll.

Stattdessen wurde der Eindruck innerparteilicher Einigkeit als Totschlagargument benutzt. Die klare Botschaft der CSV-Oberen: Was nicht intern besprochen und von einem abseits der Öffentlichkeit tagenden Parteigremium abgesegnet wurde, darf erst gar nicht öffentlich diskutiert werden. Dementsprechend einigte sich die Fraktion am Wochenende auch darauf, bis auf Weiteres keine Interviews in der Presse zu geben.

Ablehnung ohne Argumente

Auch die politischen Gegner außerhalb der CSV setzten sich nicht auf inhaltlicher Ebene mit Engels Äußerungen auseinander. Dafür versteckten LSAP-Politiker ihre Schadenfreude über das unglückliche Vorgehen des CSV-Präsidenten nicht. Dass Frank Engel eigentlich Dinge ansprach, deren Forderung man von einer sozialistischen Partei erwarten könnte, spielte in den Äußerungen von Kersch, Cruchten und Co. dagegen keine Rolle. Dass ein Politiker durch den Einsatz für linke Politik seine eigene Karriere aufs Spiel setzt, führt bei Luxemburgs Sozialisten offenbar nicht zu selbstkritischer Nachdenklichkeit, sondern zu Heiterkeit.

Wenn Engels Aussagen wirklich so sehr gegen die Ideologie der CSV verstoßen, dann müsste die Partei doch ein Interesse daran haben, sie nicht nur strikt abzulehnen, sondern argumentativ zu bekämpfen. »

Was in den Reaktionen auffällt, ist die konsequente Ablehnung einer inhaltlichen Auseinandersetzung. Der Diskurs der politischen « Mitte » scheint so allumfassend, dass jegliche Abweichung von dieser angeblichen politischen Norm geächtet wird. Was wie die Konsequenz postmoderner Realpolitik anmutet, ist in dieser Form aber durchaus neu: Weil alle großen Parteien der Mitte, also CSV, DP, LSAP und Déi Gréng, sich in den Grundzügen ihrer Politik einig sind, bekommen programmatische Dissidenten erst gar keine Chance, ihre Forderungen mit sachlichen Gegenargumenten zu messen.

Das ist weniger eine schlechte Nachricht für Frank Engel und seine politische Agenda als für die gesamte Debattenkultur. Wenn Erbschaft-, Vermögen- und Finanztransaktionssteuer für die CSV so absurd und unmöglich sind, dann gibt es doch bestimmt gute Argumente dagegen. Wenn Engels Aussagen wirklich so sehr gegen die Ideologie der CSV verstoßen, dann müsste die Partei doch ein Interesse daran haben, sie nicht nur strikt abzulehnen, sondern argumentativ zu bekämpfen.

Dilettantisch bis verzweifelt

Andererseits liegt ein Teil der Verantwortung für die inhaltsarme Auseinandersetzung auch beim CSV-Parteichef selbst. Falls er seine Vorschläge wirklich ernst meint, hätte er anders vorgehen müssen. Seine Partei in einem Interview damit zu konfrontieren, ohne sich auch nur ansatzweise parteiintern um Unterstützer zu bemühen, kann als dilettantisches oder aber verzweifeltes Manöver gewertet werden. Politik ist eben kein Wunschkonzert, sondern ein langwieriger, komplexer und von gegensätzlichen Interessen getriebener Prozess. Und in einer Demokratie erreicht man nichts, wenn man keine Mehrheiten hinter seinen Vorstellungen versammeln kann.

All das weiß auch Frank Engel, zumindest in der Theorie. In der Praxis hat der aktuelle Parteichef der CSV nur wenig politische Erfahrung. Zwar musste er sich in seiner Zeit als Abgeordneter im Europäischen Parlament auch um Mehrheiten bemühen. Allerdings folgt die Politik im EU-Parlament völlig anderen Mustern. Als Parteichef der CSV, zumal ohne Parlamentsmandat und ohne ausreichende Anhängerschaft, gelten für ihn völlig andere Gesetze.

Seine Forderungen mögen demnach in der links-progressiven Wählerschaft einen Nerv treffen. Doch es ist ein schwacher Trost für einen CSV-Präsidenten, zu dessen Aufgaben es gehört, die unterschiedlichen Strömungen der eigenen Partei zusammenzuhalten. Die allermeisten, die Engels Äußerungen jetzt als mutigen Vorstoß befürworten, stehen nämlich nicht im Verdacht, seine Partei zu wählen oder jemals zu unterstützen. Und in der eigenen Partei sind seine Forderungen in der Substanz, und noch mehr in der Form, zum Scheitern verurteilt.

Unvermeidliche Zerreißprobe

Dabei erscheint die Personalie Frank Engel heute mehr denn je als christlich-soziales Missverständnis. Nach der Wahlniederlage von 2018 war die Enttäuschung der CSV-Basis so groß, dass sie den Plan der alten Parteiführung zur personellen Erneuerung durchkreuzte. Mit 54 Prozent setzte sich Engel bei der Wahl zum Parteivorsitzenden knapp gegen Serge Wilmes durch.

Dabei punktete der langjährige EU-Parlamentarier bei den Delegierten vor allem durch sein rhetorisches Talent, das ihm selbst Gegner in der Partei attestieren. Engel traf damals mit rigoroser Regierungskritik offensichtlich den Ton an der Basis. Zudem sicherte er sich kurzzeitig die Unterstützung von Michel Wolter, der immer noch ein einflussreicher Strippenzieher in der Partei ist.

Frank Engel taugt nicht wirklich zum Märtyrer der Meinungsfreiheit im großen Kampf gegen den Konformismus. Dafür hat er sich schlicht zu ungeschickt angestellt und die falsche Partei ausgesucht. »

Doch gleichzeitig spaltete die Persönlichkeit des neuen Chefs die Partei. Vor allem in der Fraktion regte sich Widerstand gegen den Parteichef, der bis dahin weniger durch einen ausgeprägten linken Kurs als durch übermäßiges Sendungsbewusstsein und politische Sprunghaftigkeit auffiel. Ohne die verbitterte, zunehmend unaufhaltsame Konfrontation zwischen Engel und weiten Teilen der CSV-Fraktion lässt sich die aktuelle Kontroverse jedenfalls nur schwer verstehen.

Frank Engel ist kein Märtyrer

Dennoch hätten die inhaltlichen Ausführungen des CSV-Parteichefs es verdient, ernst genommen zu werden. Eine Erbschaftsteuer in direkter Linie ist keine skandalöse, antikapitalistische Fantasie, sondern in vielen Staaten seit Jahrzehnten ein völlig normaler Bestandteil des Steuersystems. Gleiches gilt für die Vermögensteuer oder die stärkere Besteuerung von Spekulationsmöglichkeiten auf dem Wohnungsmarkt. Sicher gibt es sachliche Argumente für solche Maßnahmen, aber auch welche dagegen. Und noch viele Nuancen dazwischen. Eigentlich sollte nichts normaler sein, als sich in politischen Parteien und als Gesellschaft insgesamt darüber auszutauschen.

Allerdings taugt Frank Engel nicht wirklich zum Märtyrer der Meinungsfreiheit im großen Kampf gegen den Konformismus, zu dem er von manchen Journalisten und Analysten bereits stilisiert wird. Dafür hat er sich schlicht zu ungeschickt angestellt und ganz nebenbei die falsche Partei ausgesucht.

Dennoch gebührt ihm das Verdienst, dass er ein Grundproblem des politischen Betriebs schonungslos offengelegt hat: die rückständige Debattenkultur und die Angst der etablierten Parteien vor einer offenen Diskussion, deren Ausgang sie nicht mehr kontrollieren können. Als Erneuerer seiner Partei wird Frank Engel wohl nicht in die Geschichte eingehen. Doch als Querdenker und disruptiven Animateur der politischen Debatte sollte die CSV ihn aushalten können.


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