Aus der Affäre Monica Semedo wurde schnell eine DP-Affäre. Auch Parteichefin Corinne Cahen gibt heute zu: Die Partei hat die Mobbingvorwürfe gegen die EU-Abgeordnete zunächst unterschätzt und dann komplett die Kontrolle über die Affäre verloren. Ein Blick hinter die Kulissen.

« Mehr als 20 Stunden lang » habe sie in den vergangenen Wochen mit Monica Semedo gesprochen, sagt die Parteichefin. Doch die EU-Abgeordnete sei schlicht nicht zur Einsicht fähig gewesen. Monica Semedo habe bis zuletzt nicht einsehen wollen, dass sie überhaupt etwas falsch gemacht hat, so Corinne Cahen im Gespräch mit Reporter.lu. « Ich habe ihr nahegelegt, dass sie ihr Amt niederlegen soll », gibt die DP-Präsidentin ohne Umschweife zu. Semedo habe ihr geantwortet, dass das nicht in Frage komme.

Wenn man diese Worte hört, könnte man denken: Die Sachlage ist eindeutig. Die DP wollte Monica Semedo zum Rücktritt drängen, doch die EU-Parlamentarierin weigerte sich. Damit war der Bruch unausweichlich. Doch so einfach ist die Sache dann doch nicht. Denn bis die Lage eskalierte, tat sich die DP durchaus schwer mit der Bewältigung der « Affäre Monica Semedo ». Im Rückblick zeigt sich: Nicht nur Monica Semedo hat offensichtlich Fehler gemacht. Auch die DP trägt eine wesentliche Verantwortung dafür, dass es so weit kommen konnte.

« Sehr, sehr schwierige Gespräche »

Aber der Reihe nach. Am 18. Januar verkündete der Präsident des Europäischen Parlaments die Suspendierung von Monica Semedo. Die Luxemburger EU-Abgeordnete darf demnach bis kommende Woche nicht an parlamentarischen Sitzungen teilnehmen und ihr werden für diesen Zeitraum die Tagegelder gestrichen. Hintergrund ist eine interne Untersuchung, die zum Schluss kam, dass Semedo ihre ehemaligen Assistenten « psychologisch belästigt » habe.

Schon Anfang 2020 hatten drei Mitarbeiter der Abgeordneten gekündigt und sich gegenüber Kollegen sowie der Verwaltung des Parlaments über das Verhalten ihrer Ex-Vorgesetzten beschwert. Das Magazin « Politico » berichtete in diesem Zusammenhang über « Beweise » und « dokumentierte Anschuldigungen » über « unzählige Verstöße, Beleidigungen, aggressives Verhalten, Einschüchterung und öffentliche Angriffe » von Monica Semedo gegenüber ihren ehemaligen Mitarbeitern.

Wir wussten alle, wie Monica tickt. Völlig überraschen konnte das alles also niemanden in der Partei. »Ein langjähriges Mitglied der DP-Exekutive

Die Luxemburger Abgeordnete drückte in einer Pressemitteilung ihr « Bedauern » über die Geschehnisse aus, betonte aber auch, dass sie die Folgen der Entscheidung des Europäischen Parlaments akzeptieren werde. Sie sei « sehr anspruchsvoll mir selbst und meinem Team gegenüber » gewesen, was « unglücklicherweise für unüberwindbare Spannungen gesorgt » habe, so Monica Semedo. Eine unmissverständliche Entschuldigung enthielt die schriftliche Stellungnahme nicht.

Bereits an dieser Stelle hätten bei der DP die Alarmglocken läuten müssen. Denn wie es aus Parteikreisen heißt, musste die DP-Führung die EU-Abgeordnete mit Nachdruck zu dieser Pressemitteilung überreden. « Das waren sehr, sehr schwierige Gespräche », sagt ein Mitglied der Parteiexekutive im Gespräch mit Reporter.lu. Wenn es nach Semedo gegangen wäre, hätte sie die ganze Sache am liebsten ausgesessen, so das hochrangige Parteimitglied, das namentlich nicht genannt werden will.

« Weder Babysitter noch Bodyguard »

Doch nicht nur Monica Semedo, auch die erste Reaktion der DP versuchte das Ausmaß der Affäre offensichtlich herunterzuspielen. Generalsekretär Claude Lamberty sprach im Interview mit « RTL » von einem « gewissen Spannungsfeld » zwischen Semedo und ihren ehemaligen Mitarbeitern und bemerkte, dass die Abgeordnete mit ihren neuen Referenten jetzt « sehr gut » zusammenarbeite. Mit der « Entschuldigung » und der « Akzeptanz » der Entscheidung durch das EU-Parlament sei denn auch « zu diesem Zeitpunkt das Dossier zu », so Lamberty.

Im Rückblick bezeichnet Corinne Cahen diese erste Reaktion als « im Ansatz richtig », aber in der Formulierung « doch etwas unglücklich ». Man müsse aber bedenken, dass die Parteiführung damals noch gehofft habe, dass man gemeinsam mit Monica Semedo eine Lösung finden könne. Im Nachhinein sei man immer schlauer und man hätte sicher früher unmissverständlich klarstellen müssen, dass es sich bei den Mobbingvorwürfen um « sehr ernste Vorgänge » handele, so die DP-Vorsitzende im Gespräch mit Reporter.lu.

Als die Welt der Liberalen noch in Ordnung war: Monica Semedo (3. v.l.) mit DP-Präsidentin Corinne Cahen und weiteren Parteifreunden am Wahlabend vom 14. Oktober 2018. (Foto: Eric Engel)

Sie selbst sei erst vor rund einem Monat über die gesamte Tragweite der Affäre informiert worden. « Am 27. Dezember hat Monica Semedo mir eine Nachricht geschickt und mir erzählt, dass eine Entscheidung des Europäischen Parlaments bevorsteht », so Corinne Cahen. Allerdings habe die EU-Abgeordnete der Liberalen nie von sich aus erklärt, um was es sich bei der internen Untersuchung genau handele. Die Details hätte sie erst nach und nach erfahren, beteuert Cahen.

Die Kritik, dass sie schon früher mehr über das Ausmaß der Affäre hätte wissen müssen, kann die Parteivorsitzende nicht nachvollziehen. « Ich bin weder Babysitter noch Bodyguard », sagt Corinne Cahen im Gespräch mit Reporter.lu. Sie räumt jedoch ein, dass die ganze Affäre nicht nur dem Ansehen von Monica Semedo, sondern auch der DP schadet. « Die ganze Sache schadet unserer Partei enorm. Es geht hier um Werte, die uns und vielen Menschen im Land wichtig sind. Da darf es keine Verharmlosung geben. »

Monica Semedo lehnte Rücktritt ab

Die Verharmlosung der Vorfälle und damit die Schädigung der eigenen Partei ging aber eben auch von der DP aus. Auch Premierminister Xavier Bettel (DP), der als früher Förderer von Monica Semedo gilt, trug zur widersprüchlichen Kommunikation bei. Auf Nachfrage einer Journalistin geriet der Regierungs- und ehemalige Parteichef auf einem Pressebriefing sichtbar ins Schwimmen. Mobbing sei kein Kavaliersdelikt und man nehme die Sache ernst, sagte der Premier zwar. Doch auch Monica Semedo sei in diesen Tagen « am Boden » und man lasse eine Parteikollegin nicht so einfach fallen.

In den folgenden Tagen ging dann jedoch alles ganz schnell. Sowohl Xavier Bettel als auch Parteichefin Corinne Cahen suchten dem Vernehmen nach verstärkt das Gespräch mit Monica Semedo. Die Parteigranden wollten die EU-Abgeordnete mehr oder weniger deutlich zum Rücktritt bewegen, wie auch Corinne Cahen mittlerweile einräumt. Semedo hielt dem zunehmenden parteiinternen Druck jedoch stand und weigerte sich, ihr Amt aufzugeben. Dem Vernehmen nach soll sie sich dabei ausdrücklich auch auf die Verteidigungslinie der DP-Führung in den ersten Tagen berufen haben. Stichwort: « Dossier zou ».

Ihr größtes Problem ist, dass sie sich nicht ansatzweise für politische Zusammenhänge interessiert. »EU-Insider über Monica Semedo

Erst jetzt wurde denn auch der Parteiführung die politische Brisanz der Affäre bewusst. Am vergangenen Montag, also exakt eine Woche nach der Suspendierung von Semedo, kündigte die DP an, dass sich die Parteigremien mit der Frage beschäftigen sollen, ob Monica Semedo weiter Mitglied der DP bleiben könne. Für die Öffentlichkeit kam dieser Schritt einem radikalen Widerspruch zu der bisherigen Linie der Partei gleich. Doch hinter den Kulissen war die Situation in den Tagen zuvor eskaliert.

Letztlich kam Monica Semedo den Parteigremien zuvor. Die diplomierte Politologin und ehemalige TV-Moderatorin verkündete selbst ihren Austritt aus der DP und brach in einem Facebook-Post offen mit der liberalen Parteiführung. Sie begründete den Schritt mit verlorenem Vertrauen und mangelndem Rückhalt aus der Partei. Was sie nicht schrieb: Zuvor hatte sie sich in einer Sitzung des « Bureau exécutif » der DP noch damit einverstanden erklärt, dass das « Comité directeur » und ein « Rat der Weisen » sich mit möglichen Sanktionen befassen soll.

« Wir wussten alle, wie Monica tickt »

Dass sich Monica Semedo jetzt als Opfer ihrer Partei inszenieren will, hätten die wenigsten DP-Politiker für möglich gehalten. Doch letztlich hat die DP-Parteiführung diese Entwicklung durch ihre erste Reaktion überhaupt erst möglich gemacht. Semedo sieht sich als das wahre Opfer der Affäre – eine Darstellung, der ihre Partei zunächst nicht widersprach. Dabei gibt es für das Mobbing zahlreiche Zeugenaussagen und auch schriftliche Beweise, die im « Dossier » des Europäischen Parlaments offiziell vermerkt sind. Zudem steht die Frage von strafrechtlichen Konsequenzen noch immer im Raum.

Andere Parteimitglieder sind zudem nicht ganz so fassungslos über die Eskalation der Affäre. « Wir wussten alle, wie Monica tickt. Völlig überraschen konnte das alles also niemanden in der Partei », drückt es ein langjähriges Mitglied der Führungsgremien der Liberalen aus. Demnach habe es auch schon im Laufe des vergangenen Jahres Warnungen gegeben, wonach die DP-Mandatsträgerin « durch ihr Verhalten » einen hohen « Mitarbeiterverschleiß » zu verantworten habe.

« D’Madamm Semedo ass um Buedem am Moment », sagte Premierminister Xavier Bettel über die Mobbingaffäre seiner ehemaligen Parteifreundin. (Foto: Philippe Storck/DP.lu)

Die EU-Abgeordnete sei in Brüssel auch nicht nur durch herablassendes Verhalten gegenüber ihren Mitarbeitern aufgefallen, heißt es von mehreren Quellen, die mit den Vorgängen vertraut sind. Monica Semedo habe auch regelmäßig hochrangige Parteifreunde « genervt », heißt es. So habe die EU-Abgeordnete zu Beginn ihrer Amtszeit mehrmals DP-Minister kontaktiert, um sich darüber zu erkundigen, wie sie im EU-Parlament abstimmen soll – selbst bei politisch völlig kontroverslosen Fragen.

Auch unter ausländischen Parlamentskollegen habe sie sich schnell einen schlechten Ruf eingehandelt, weil sie in Sitzungen durch mangelnde Sachkenntnis und allzu oberflächliche Wortmeldungen auffiel, heißt es aus gut unterrichteten Quellen. « Ihr größtes Problem ist, dass sie sich nicht ansatzweise für politische Zusammenhänge interessiert », so ein Insider, der Semedo im Parlament regelmäßig erlebte und nur unter der Voraussetzung von Vertraulichkeit mit Reporter.lu sprach.

Vorläufiges Ende einer tragischen Episode

Was mehrere DP-Mitglieder mittlerweile auch einräumen: Innerhalb der Partei wurde die Affäre seit Beginn unterschätzt. Obwohl sie mindestens seit mehreren Wochen Bescheid wusste, reagierte die Parteiführung nach der Suspendierung von Monica Semedo – zumindest nach außen – mit Verharmlosung. Dass es sich beim Hintergrund der Affäre um ernste Vorgänge handelt, die eventuell zu weiteren Konsequenzen führen könnten, sagten die hochrangigen DP-Vertreter jedoch erst viele Tage später.

Damit konnte sich in der öffentlichen Wahrnehmung nicht nur der Eindruck einer katastrophalen Krisenkommunikation festsetzen. Mit ihrer Kurskorrektur ermöglichte es die DP Monica Semedo letztlich, sich selbst als Opfer von parteipolitischem Opportunismus zu inszenieren. Der Rückhalt aus der eigenen Partei habe sich « von einer Woche auf die andere » geändert, schrieb die Abgeordnete des Europäischen Parlaments in ihrem Facebook-Beitrag, mit dem sie ihren Parteiaustritt erklärte.

Die ganze Sache schadet unserer Partei enorm. Es geht hier um Werte, die uns und vielen Menschen im Land wichtig sind. Da darf es keine Verharmlosung geben. »Corinne Cahen, Parteivorsitzende der DP

Zudem kündigte Semedo an, dass sie sich zu den Vorfällen in einem Interview äußern wolle und weiter « zu 100% » für jene Menschen einsetzen werde, die hinter ihr stehen. Damit dürfte klar sein, dass die 36-Jährige ihr Mandat als EU-Abgeordnete weiter erfüllen will. Ob sie noch Mitglied der liberalen Fraktion « Renew Europe » bleiben kann, die Partei wechselt oder als Fraktionslose im Europäischen Parlament sitzen wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar.

Corinne Cahen gehört offensichtlich nicht mehr zu jenen, für die sich Monica Semedo « zu 100% » einsetzen wird. Und nach den « mehr als 20 Stunden » langen Gesprächen der vergangenen Wochen werde sie wohl in Zukunft nicht mehr viel mit ihr zu besprechen haben, sagt die DP-Präsidentin. Es sei für sie eine « enorme menschliche Enttäuschung » und eine tragische Episode, bei der es nur Verlierer gebe. Die DP werde versuchen, daraus ihre Lehren zu ziehen, so die Parteichefin.

Was Monica Semedo zu all diesen Fragen und Vorwürfen sagt, bleibt dagegen weiter offen. Eine Interviewanfrage von Reporter.lu ließ die seit Juli 2019 amtierende Abgeordnete im Europäischen Parlament unbeantwortet.