Für Abiturienten ist die Pandemie ein harter Einschnitt. Nach einem Jahr des bereitwilligen Verzichts fordern sie mehr Verständnis für ihre Lage. Der Einsatz für eine Abifeier wird mehr denn je zum Symbol für den Abschluss des Durchhaltens und den Wiedergewinn neuer Möglichkeiten.
„Ich kann euch verstehen, ich war auch einmal jung“: Diesen Satz möchte Numa Wio, diesjähriger Abiturient am Athenäum, nicht mehr hören. „Verständnis zu signalisieren, ist meistens scheinheilig“, sagt er. „Die, die das sagen, konnten sich ja ausleben. Uns wird gerade die beste Zeit unseres Lebens genommen. Und kaum jemand scheint sich wirklich dafür zu interessieren.“
Dabei ist es keineswegs so, dass Numa Wio die seit über einem Jahr andauernden Einschränkungen nicht akzeptieren würde. Ganz im Gegenteil: In dieser Pandemie zuerst an die ältere Generation und die vulnerablen Bevölkerungsgruppen zu denken, findet er völlig richtig. „So wie ich denken die allermeisten“, betont der Schüler. „Seit über einem Jahr tragen wir Maske, halten Abstand und schränken uns ein. Und wir machen es, weil wir davon überzeugt und uns unserer Verantwortung bewusst sind.“
Dennoch wirft er großen Teilen der Gesellschaft Desinteresse an den Bedürfnissen der Jugend vor. „Wir sollen uns zusammenreißen und nicht klagen“, fasst er die Reaktionen zusammen. Er wünscht sich gerade jetzt, in einer Zeit, in der Lockerungen vieles wieder möglich zu machen scheinen, ein stärkeres Entgegenkommen. Statt die Jugend wegen ein paar Ausreißern schlecht zu reden, solle nun auch anerkannt werden, was die meisten von ihnen seit Beginn der Pandemie opfern und leisten.
Der Verlust der Unbeschwertheit
Besonders von der Politik fühlt der 19-Jährige sich weder gehört, noch hinreichend repräsentiert. „Wir haben keine politische Lobby“, sagt der Schüler, der seit Beginn der Pandemie jede Pressekonferenz der Regierung wenn möglich im Livestream mitverfolgt.
Wir sollten den Mut haben, der Jugend zuzugestehen, dass sie diese schwere Periode nun auch langsam abschließen dürfen. »
Nathalie Keipes, Direktorin CePAS
Für Oberstufenschüler wie Numa Wio führte die Pandemie zu einem besonders harten Einschnitt. Einerseits gehören sie zu der am wenigsten gefährdeten Bevölkerungsgruppe, die auch als letzte geimpft wird. Andererseits wird von ihnen in hohem Maße verlangt, ihr Leben umzustellen, zu verzichten und Verantwortung für ältere Generationen zu übernehmen. Viele der Schüler sind gut informiert, erkennen aber auch Inkohärenzen im politischen Diskurs und reagieren empfindlich auf eventuelle Ungerechtigkeiten.
Hinzu kommt, dass die sogenannte « Covid-Generation » jugendliche Unbeschwertheit und Leichtigkeit auf einen Schlag verloren hat. Bei allem Verständnis gegenüber den Pandemiemaßnahmen kann das nicht spurlos an ihnen vorübergehen. Leistungsstress, Isolation, eine ungewisse Zukunft und ständiger Druck ohne den nötigen Ausgleich haben nicht nur zu Lerndefiziten geführt, sondern vor allem auch mentale Probleme bei Jugendlichen verstärkt.
Stark besorgte Schulpsychologen
„In meiner Clique sind wir zu siebt, vier von uns haben mit psychischen Problemen zu kämpfen“, sagt Alexandra Beiros im Gespräch mit Reporter.lu. Die 19-Jährige hat gerade ihre letzte Abiturprüfung geschrieben. Italienisch, es sei ganz gut gelaufen, meint sie. Doch statt zu feiern, geht Alexandra Beiros nach unserem Gespräch nach Hause, um zu schlafen. „Ich bin so unendlich müde“, sagt sie. „Das Jahr ist mir mental sehr schwer gefallen.“
Die Erfahrungen von Alexandra Beiros decken sich mit den Berichten von Jugend- und Schulpsychologen. Angst und Depressionen, Essstörungen und selbstverletzendes Verhalten bis hin zu Selbstmordversuchen hätten in den Gymnasien in den letzten Monaten stark zugenommen, berichtet die Direktorin des « Centre psycho-social et d’accompagnement scolaire » (CePAS), Nathalie Keipes. Sie erklärt die unter Jugendlichen weit verbreitete psychische Labilität vor allem mit dem Wegfallen von Faktoren, die das Wohlbefinden sonst stabilisieren. Soziale Kontakte, Sport, Feiern, Kino: All das war im letzten Jahr nur sehr bedingt möglich. Stattdessen nahmen die Sorgen um eine ungewisse Zukunft kontinuierlich zu.
„Wir müssen die Jugend davor bewahren, jetzt, wo sich der Überlebensmodus langsam ausschaltet, erst recht in ein Loch zu fallen“, sagt Nathalie Keipes. „Wir sollten den Mut haben, der Jugend zuzugestehen, dass sie diese schwere Periode nun auch langsam abschließen dürfen. Die Schüler brauchen Perspektiven, müssen Energie sammeln, für das, was nun, nach dem Abitur, vor ihnen steht », so die Direktorin des CePAS.
Der Traum von der Abifeier
„Schon in der siebten Klasse habe ich davon geträumt, Primanerin zu sein, den Kleeschen für die Kleinen zu organisieren, Freibierfeste zu feiern, mit meinen Eltern und Freunden zur Diplomüberreichung zu gehen und anschließend die Nacht durchzutanzen“, erzählt Alexandra Beiros. Sie schaut zu ihrer Mitschülerin Bianca Biagioni, die seit einem Jahr versucht, einen Abiball für die Abiturienten des Athenäums zu organisieren. Das Abschlussfest sei der Grashalm, an den sich die Abiturienten seit Monaten klammerten. „Wenigstens ein Mal alle zusammen feiern, wir brauchen das wirklich“, sagt Bianca Biagioni.
Am 7. Mai, zwei Tage nach einer Pressekonferenz, auf der Paulette Lenert und Xavier Bettel die Organisation von größeren Veranstaltungen in Aussicht stellten, schreibt Numa Wio im Namen des Abiturkomitees an das Gesundheitsministerium. Mit Kopie an Fraktionschefs, Abgeordnete und Europaparlamentarier.
Mit seiner E-Mail möchte er bewirken, dass in diesem Jahr ein Abiball stattfinden kann. Als Pilotprojekt, das Möglichkeiten auf dem Weg in eine neue Normalität aufzeigen könnte. Deshalb liefert Numa Wio ein sanitäres Konzept sowie eine Risiko-Nutzen-Kalkulation gleich mit. Sein Schreiben ist eine Bitte für etwas, was für Generationen vor ihnen völlig normal war: Eine Tanzfeier für gut 200 junge Menschen, die gemeinsam Abitur geschrieben haben und die von nun an getrennte Wege gehen werden.

Der Gesetzesvorschlag, den die Regierung am 2. Juni präsentierte, macht die Anfrage nun vielleicht obsolet, da ab dem 12. Juni wieder Veranstaltungen mit bis zu 300 Menschen erlaubt sein sollen. Wird auf das Covid-Check-Zertifikat zurückgegriffen – getestet – genesen – geimpft – sogar ohne Maskenpflicht und ohne Sicherheitsabstand. Xavier Bettel erwähnte die Feiern der Abschlussjahrgänge auf der Pressekonferenz nicht, sprach jedoch von vergleichbaren Veranstaltungen wie Hochzeiten und einem Nachtleben in Diskotheken, die wieder möglich werden sollen.
Doch Numa Wio bleibt skeptisch. „Die Details über neue Covid-Gesetze werden bekanntlich immer erst nach und nach bekannt“, sagt der Abiturient. Auch die Tatsache, dass es vom Bildungsministerium bis jetzt keine Vorschläge gab, in welcher Form die Diplomüberreichungen und Abiturfeiern in diesem Jahr stattfinden könnten, bestätigt für ihn, dass die Bedürfnisse der Jugend bis heute keine Priorität in der Krisenpolitik der Regierung darstellen.
Anfrage liegt « auf Eis »
Das Gesundheitsministerium hat seine Anfrage jedenfalls erhalten. Auf Nachfrage von Reporter.lu präzisierte eine Sprecherin, dass die Anfrage zunächst einmal „auf Eis“ liege. Das vorgeschlagene Konzept müsse nach eventueller Gesetzänderung neu analysiert werden, da es sich hierbei um eine Tanzparty mit Getränken und Essen handele, die Einzelheiten hierzu im geplanten Gesetz jedoch noch nicht klar geregelt seien.
Die vorsichtige Haltung des Ministeriums lässt sich mit der Befürchtung erklären, die Kontrolle über die Jugendpartys zu verlieren. Das mag angesichts der weiteren Präsenz des Virus verständlich sein. Dennoch gibt es auch Gründe, der Jugend zu vertrauen und ihr ein angemessenes Abwägen zwischen Sicherheit und Freiheit zuzutrauen. In kaum einer Bevölkerungsgruppe ist die Testbereitschaft so ausgeprägt wie bei Schülern. Laut dem Bildungsministerium führen mittlerweile weit über 80 Prozent von ihnen die Selbsttests wie selbstverständlich mehrmals wöchentlich durch.
Es ist absolut wichtig, dass dieser Jahrgang jetzt feiert und gefeiert wird. Es muss wieder Leben in die Schule kommen. »
Judith Reicherzer, Pädagogin im Lycée Aline Mayrisch
Ihre Anpassungsfähigkeit zeigt sich auch in ihrer breiten Akzeptanz der Restriktionen. „Scherte einmal einer aus, kam es schnell zu Streit, Diskussionen, Gruppendynamiken“, erzählt Judith Reicherzer, Medienpädagogin aus dem Lycée Aline Mayrisch. „Wir halten uns an die Regeln, du gehst feiern und reißt uns alle mit“, solche Situationen hätten bei der heutigen Generation fast schon zu philosophischen Fragestellungen geführt. Spannungsfelder wie Freiheit und Sicherheit, aber auch Individualismus und kollektive Verantwortung wurden nicht nur theoretisch diskutiert, sondern hautnah erlebt.
« Während das Auflehnen gegen Autoritäten und das Schwimmen gegen den Strom vor Corona zum jugendlichen Leben gehörten und meist ohne weitreichende Konsequenzen blieben, hat die Generation von heute für jeden Ausreißer sofort stark büßen müssen », so Judith Reicherzer. „Es ist absolut wichtig, dass dieser Jahrgang jetzt feiert und gefeiert wird. Es muss wieder Leben in die Schule kommen. »
Erste politische Reaktionen
Auch wenn die Entscheidung noch aussteht, ob Abiturfeiern in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit den Ministerien organisiert werden können, ins Parlament hat es Numa Wio mit seiner E-Mail jedenfalls bereits geschafft.
„Das Schreiben hat mich sehr berührt“, sagte Gilles Baum (DP) am 14. Mai im Parlament, als die Abgeordneten über die damalige Lockerung der Covid-Restriktionen debattierten. « Die jungen Leute informieren sich nicht nur, sondern bringen sich ein und organisieren sich“, so der liberale Abgeordnete. „Die Mail ist eine Nachricht voller Optimismus, Hoffnung und Aufbruchstimmung. Das brauchen wir jetzt.“

Am 22. Mai erschien im Tageblatt zudem ein Leserbrief, in dem Francine Closener sich ihrerseits für eine Zusammenarbeit zwischen den Ministerien und den Abschlussschülern aussprach. „Wir, die Politik, sollte nicht über, sondern verstärkt mit den Jugendlichen reden“, betont die LSAP-Abgeordnete im Gespräch mit Reporter.lu. Sie fordert einen stärker institutionalisierten Austausch, weist auf das Engagement vieler Jugendorganisationen hin und möchte auch das Thema Wahlrecht ab 16 Jahren wieder auf die politische Agenda bringen.
„Sie müssen mitreden dürfen“, sagt Francine Closener. Vor allem auch im Herbst, wenn sowohl Lerndefizite als auch mentale Folgen aufgearbeitet werden müssten. „Wir brauchen eine neue Bildungsdebatte », fordert die Abgeordnete.
Zukunftspläne und Fernweh
„Wenn ich eines gelernt habe durch die Pandemie, dann das: Ich habe nicht genug genossen und bin nicht genug gereist“, sagt Bianca Biagoni. „Das werde ich jetzt nachholen.“ Was die Abiturientin studieren möchte, weiß sie noch nicht, vielleicht Jura oder Biologie. Aber eines, das weiß sie: „Spätestens für meinen Master gehe ich dann ganz weit weg!“
Ihre Mitschülerin Alexandra Beiros möchte ins holländische Leiden ziehen und internationale Beziehungen studieren. Doch nur, wenn an der Universität ab September wieder Präsenzunterricht stattfindet. „Noch ein Jahr im Zimmer sitzen und lernen, das schaffe ich nicht“, sagt sie. „Dann gehe ich lieber arbeiten. In einer Kindertagesstätte oder in einem Hort. Ich mag Kinder.“
Numa Wio freut sich über die Unterstützung der Parlamentarier, auf eine offizielle Antwort wartet er weiterhin. Indes laufen die Vorbereitungen für die Abschlussfeier auf Hochtouren. « Wir werden unser Abitur feiern », sagt er. « Wir wissen nur noch nicht genau wie. » Er selbst bevorzugt eine Feier in kontrolliertem Rahmen, mit Vorsicht statt Leichtsinn. Doch auch dazu bedarf es eines Entgegenkommens der Politik.