Ein Rücktritt vom Austritt wird in Großbritannien seit dem Referendum 2016 von einigen Remain-Befürwortern gefordert. Auch wenn diese Stimmen lauter und prominenter werden: Mit der Entscheidung zum Brexit haben die Briten ihren Ruf in der EU endgültig ruiniert. Eine Analyse.

„2021 werden fünf Jahre seit dem Referendum 2016 vergangen sein. Die Wählerschaft wird sich verändert haben. Einige Wähler werden uns verlassen haben. Viele neue Wähler werden hinzugekommen sein. Andere mögen ihre Meinung geändert haben. Niemand kann wirklich wissen, was „der Wille des Volkes“ dann sein mag. Lassen Sie also das Parlament entscheiden. Oder die Entscheidung an die Menschen zurückgeben.“ Dies sind nicht irgendjemandes Worte, sondern die des ehemaligen konservativen Premierministers Sir John Major – Teil einer Rede, gehalten vor wohlwollendem Publikum, Ende Februar in London.

Dass Vertreter anderer Parteien – Ex-Premierminister Tony Blair oder der Life Peer Andrew Adonis – gegen die Regierung und den Brexit schießen, ist nichts Neues. Ein Angriff durch John Major, immerhin neben David Cameron der einzige noch lebende Ex-Premier der Tories – hingegen schon. Dementsprechend groß war die Verärgerung bei den „Brexiteers“ innerhalb der konservativen Partei. Bei der Gegenseite hingegen Begeisterung, denn mit Major drückte ein ehemaliges politisches Schwergewicht aus, was nicht wenige Remain-Befürworter aktuell denken: Lasst das Volk noch einmal entscheiden, bevor es zu spät ist und das Vereinigte Königreich unweigerlich aus der Europäischen Union ausscheidet und Chaos über das Land hereinbricht.

Technisch durchaus möglich

Eine Bekannte drückte es kürzlich so aus: „Das Land ist ohnehin schon gespalten, also können wir auch ruhig noch einmal abstimmen. Dann wird vielleicht wieder alles so, wie es war.“ Der Brexit, nur ein schlimmer Traum, aus dem es am Ende doch noch ein Erwachen gibt? Nicht alle Remain-Befürworter sind dieser Meinung, doch es gibt sie: die, mit dem hoffnungsvollen Glauben an eine Rückkehr zum Status quo ante.

Technisch gesehen bestünde dafür zumindest die Möglichkeit – auch wenn sie nicht unumstritten ist. Artikel 50, die „Austrittsklausel“, erwähnt nicht, dass dessen Anrufung nicht auch wieder zurückgenommen werden kann. Und was nicht explizit verboten ist, so zumindest die Meinung einiger Juristen, ist theoretisch erlaubt. Auch eine Resolution des EU-Parlaments von April 2017 lässt diesen Schluss zu. In ihr heißt es, dass „eine Rücknahme der Mitteilung nur unter Bedingungen, die von allen Mitgliedstaaten der EU-27 festgelegt werden, möglich sein darf“, um zu verhindern, dass der UK den Widerruf einsetzt, um mehr Verhandlungszeit herauszuschinden, oder die derzeitigen Bedingungen der Mitgliedschaft zu verbessern.

Auch wenn eine solche Entscheidung im Zweifelsfall vor dem Europäischen Gerichtshof landen würde – besonders dann, wenn die Eindeutigkeit und Ernsthaftigkeit vonseiten der Briten nicht frei von Zweifeln sein sollte –, rechtlich unmöglich wäre ein „Exit vom Brexit“ nicht. Das Vereinigte Königreich würde in der Union verbleiben, so als ob der Austritt nie erklärt worden wäre. Nur das von David Cameron 2016 ausgehandelte Reformpaket, welches unter anderem die Sozialleistungen an Immigranten verringert hätte, würde man verlieren. Eigentlich wäre, so der Glaube vieler, also alles wieder beim Alten. Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.

Doch hier irren die Befürworter eines zweiten Referendums. Viele täten gut daran, sich Heraklits Feststellung, dass man „nicht zweimal in denselben Fluss steigen kann“ – ein in England beliebtes Sprichwort –, noch einmal vor Augen zu halten.

Politisch äußerst unwahrscheinlich

In Brüssel rollt man ohnehin nur noch mit den Augen, wenn Theresa Mays Regierung mit neuen, hanebüchenen Vorschlägen und Forderungen um die Ecke kommt. In der Bevölkerung sieht es nicht besser aus. Auch wenn laut einer Studie des Pew Research Center viele EU-Bürger den Ausstieg des Vereinigten Königreichs bedauern, hat sich laut der gleichen Studie die freundliche Haltung gegenüber den Briten zuletzt merklich abgekühlt. Vor allem die Älteren erinnern sich noch gut an Londons zögerlichen Beitritt im Jahr 1973 und die von Margaret Thatcher ausgehandelten großzügigen Sonderbedingungen. Und auch den Jüngeren ist in den vergangenen Jahren das bisweilen arrogante Auftreten des Vereinigten Königreichs nicht entgangen – von den Feindseligkeiten vor, während und seit dem Referendum ganz zu schweigen.

Freilich, die EU-Staaten hätten – trotz aller Vorkommnisse – kein Interesse daran, das Vereinigte Königreich aus dem Bündnis zu jagen, sollte man sich dort entscheiden, zurückzukehren. Besonders Osteuropa will seinen Bürgern weiterhin ermöglichen, in Großbritannien arbeiten zu können und die Briten sind einer der größten Beitragszahler – trotz Rabatt. Mit blinder Begeisterung sollte dies trotzdem nicht verwechselt werden.

Ginge es nach den Remain-Befürwortern, die sich einen Austritt vom Austritt wünschen, bedeutete eine Kehrtwende auch die Rückkehr zu einer Stellung als Primus inter Pares innerhalb der EU – ein Szenario, dass nach den Ereignissen der vergangenen Monate nicht mehr unbedingt auf Gegenliebe stoßen dürfte, schon gar nicht in der Bevölkerung der 27 Mitgliedsstaaten.

„Auch für die EU wäre es besser, wenn wir blieben“, hört man hier auf der Insel öfter – eine Aussage, die verkennt, wie das Verhalten der britischen Regierung auf der anderen Seite des Kanals ankommt und verdeutlicht, was selbst viele Europa-Befürworter auf der Insel nie wirklich verstanden haben: Dass die Union zuallererst eine Gemeinschaft ist, die trotz all ihrer Mängel darauf abzielt, den Nutzen aller Beteiligten zu maximieren. Das Recht, sich die größten Rosinen herauszupicken, war nie fair und wurde eher geduldet, denn respektiert. Mit der Entscheidung zum Brexit haben es die Briten endgültig verspielt. Angekommen ist diese Tatsache im Vereinigten Königreich auch bei vielen Befürwortern jedoch bis heute nicht wirklich.