Banker und Fondsmanager haben EU-Staaten mittels Cum-Ex-Geschäften um Milliarden Euro betrogen. Einige Länder bemühen sich mittlerweile, die Methoden hinter den Aktiendeals zu durchschauen. In Luxemburg kennen die Behörden nicht einmal den entstandenen Schaden.

Die Luxemburger Behörden wissen, dass sie nichts wissen. Die Frage, ob dem Staat ein Schaden durch Cum-Ex-Geschäfte entstanden sei, beantworten sie fast schon philosophisch. Es gebe keine Hinweise, dass das Großherzogtum ein Ziel solcher Geschäfte gewesen sei. Aber es sei nicht kategorisch auszuschließen, wird Luxemburgs Finanzaufsicht CSSF in einem neuen Bericht der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) zitiert.

„Eine öffentliche Auskunft über etwaige Steuergeldausfälle […] ist nicht möglich“, antwortete Finanzminister Pierre Gramegna (DP) auf die Fragen der CSV-Abgeordneten Gilles Roth und Laurent Mosar. Die Direktorin der Steuerverwaltung, Pascale Toussing, sagte dem Parlament, dass Geschäfte nach dem Cum-Ex-Modell nicht mehr getätigt würden. Trotzdem hat die Verwaltung „verschiedene Steuerstrafverdachtsfälle durch Cum-Ex-Geschäfte an die für die Ermittlung allein zuständige luxemburgische Staatsanwaltschaft weitergeleitet.“

Reporter.lu hatte Anfang 2019 einen dieser Verdachtsfälle aufgedeckt. Dabei entstand für den Luxemburger Staat mutmaßlich ein Schaden von über zehn Millionen Euro. Dazu kommt, dass Luxemburger Firmen von bekannten Cum-Ex-Drahtziehern genutzt wurden, um Steuergelder in anderen Staaten abzugreifen (alle Berichte dazu finden Sie in unserem Dossier).

Das Bankgeheimnis als Blockade

Gewissermaßen wird der Luxemburger Staat mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Der Schutzwall gegen allzu neugierige ausländische Steuerbeamte wird vermehrt zum Problem. Das Steuer- und Bankgeheimnis, die das Land zum Steuerparadies machten, werden zum Hindernis, wenn die eigene Staatskasse ausgeräumt wird.

Das Steuergeheimnis ist unverletzlich.“Abgabenordnung

Denn selbst wenn sie etwas wissen, dürfen die Behörden es nicht preisgeben. „Das Steuergeheimnis ist unverletzlich“, heißt es in der Abgabenordnung. Das Gesetz geht auf die Nazi-Okkupation zurück und gilt bis heute. Nur der Austausch zwischen Steuerbehörden und der Staatsanwaltschaft ist seit 2008 erlaubt.

Deutschland und Österreich führten dagegen Ausnahmen zum Steuergeheimnis ein, wenn ein „zwingendes öffentliches Interesse besteht“. Das deutsche Recht nimmt etwa ausdrücklich Bezug auf Wirtschaftsstraftaten, „die […] wegen des Umfangs des durch sie verursachten Schadens geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören oder das Vertrauen der Allgemeinheit […] auf die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden und der öffentlichen Einrichtungen erheblich zu erschüttern“.

In Luxemburg dagegen erfährt weder das Parlament noch Journalisten, und damit auch nicht der Steuerzahler und die Allgemeinheit, ob die Steuerverwaltung „ordnungsgemäß“ arbeitet und was sie gegen den millionenschweren Betrug konkret unternimmt.

Dazu kommt, dass das Bankgeheimnis die Ermittlungen der Steuerverwaltung stark einschränken würde, erklärte die Direktorin der „Administration des contributions directes“ im September 2019 vor dem Finanz- und Budgetausschuss. Die Finanzaufsicht CSSF hat dagegen genauere Kenntnis über die Aktiengeschäfte von Banken und Investmentfonds. Doch Cum-Ex-Fälle würden „nicht primär“ unter die Kompetenz der CSSF fallen, heißt es auf Nachfrage von Reporter.lu von der Aufsichtsbehörde. Die Behörde wolle aber die Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Stellen in diesem Dossier verstärken.

Wer sucht, der findet …

In Sachen mangelhafter Informationsaustausch und unklare Kompetenzen ist Luxemburg kein Einzelfall. Eine bessere Zusammenarbeit zwischen Finanzaufsicht, Steuerbehörde und Staatsanwaltschaft könnte in den EU-Staaten dazu führen, dass dubiose Aktiendeals entdeckt und verfolgt werden könnten, schlussfolgert die ESMA in ihrem Bericht.

Die europäische Aufsichtsbehörde verzeichnet acht EU-Staaten, in denen Ermittlungen in Cum-Ex-Fällen andauern. In sechs der acht Länder führten die nationalen Behörden Nachforschungen durch, um den Umfang des Problems und mögliche Lösungen zu finden, heißt es. Nur in Luxemburg und Ungarn passierte nichts.

Die Steuerverwaltung leitete mehrere Verdachtsfälle von Steuerbetrug an die Staatsanwaltschaft weiter. Doch das tatsächliche Ausmaß bleibt unbekannt. (Foto: Leslie Schmit)

Dabei zeigen die Analysen der Finanzaufseher anderer kleinerer Länder, dass eine aktivere Rolle der Behörden sich durchaus lohnt. Die belgische Finanzaufsicht etwa fand ungewöhnlich hohe Handelsvolumen von britischen Investmentfirmen kurz vor dem Tag, an dem Dividenden ausgezahlt werden. Das ist ein klares Indiz für Cum-Ex-Geschäfte.

Noch aufschlussreicher ist, wie sich der Cum-Ex-Skandal in Österreich entwickelte. 2015 betonte das österreichische Finanzministerium, dass es „mit hoher Gewissheit zu keinem Schaden gekommen“ sei. 2018 ergab jedoch ein Bericht des österreichischen Rechnungshofs, dass es durchaus einen Millionenschaden gab – unter anderen durch Luxemburger Gesellschaften und Fonds. Im März 2019 räumte Österreichs Finanzminister dann einen Schaden von 108 Millionen Euro für den Zeitraum 2011 bis 2013 ein.

Der fiktive Aktienhandel

Bei der Analyse der großen börsennotierten Unternehmen in Österreich fiel auf, dass mehr Steuern rückerstattet wurden, als zuvor gezahlt worden waren. Zudem fand die österreichische Finanzaufsicht heraus, dass manche Verdächtige behaupteten, so viele Aktien zu besitzen, dass sie zum Referenzaktionär der größten Unternehmen des Landes geworden wären.

Es stellte sich heraus, dass die Transaktionen gefälscht waren. Im Fall Dänemark gaben die Cum-Ex-Drahtzieher teilweise an, mehr Aktien von dänischen Unternehmen zu besitzen als überhaupt an der Börse gehandelt wurden. Auch hier handelte es sich laut dänischer Steuerbehörde um puren Betrug.

Auch im von Reporter.lu aufgedeckten Luxemburger Fall täuschten die Gesellschaften Transaktionen lediglich vor. Dass Luxemburg nur wenige börsennotierte Unternehmen hat, schützt allein nicht vor einem Schaden. Sowohl in Dänemark als auch in Österreich winkten die Steuerverwaltungen Rückerstattungsanträge größtenteils durch und wiesen große Defizite bei der Kontrolle auf.

Das Problem: Die Cum-Ex-Geschäfte sind Steuerbetrug, doch sehr ähnliche Techniken kommen bei aggressiver Steueroptimierung zum Einsatz – die aber legal ist. Es sei wahrscheinlich nicht möglich, zwischen der legalen und der illegalen Variante der Aktiendeals zu unterscheiden, meinte die Steuerdirektorin im Parlament.

Sich gegen Steuerbetrug schützen

Die Aufarbeitung von Fehlern ist dabei nicht nur Vergangenheitsbewältigung. Es gibt durchaus Anzeichen dafür, dass weiterhin Cum-Ex-Geschäfte oder zumindest aggressive Steueroptimierung mit Aktien stattfinden. Die ESMA wertete die Daten für mehrere Länder aus und fand in manchen Staaten auffällige Muster für die Jahre 2018 und 2019. Luxemburg wurde nicht untersucht. In Ländern wie Großbritannien, die keine Quellensteuer auf Dividenden erheben, fehlten diese Auffälligkeiten. Ein eindeutiger Beweis sei das allerdings nicht, heißt im Bericht.

Der ESMA-Bericht zeigt allerdings auch, dass jene Länder die mit Gesetzesänderungen den Cum-Ex-Betrug verhinderten wollten, tatsächlich weniger Auffälligkeiten in den Handelsdaten haben. In Luxemburg gab es keine Gesetzesreform in diesem Kontext. Es sei schwer vorstellbar, was man ändern sollte oder könnte, meinte die Direktorin der Steuerverwaltung im Parlament.

Einen Hinweis gab Pascale Toussing dennoch: Ein Informationsaustausch mit einer Steuerverwaltung eines anderen Landes zu Cum-Ex-Geschäften sei aktuell nicht möglich. Es sei aber geplant, dieses Problem mit einer neuen Richtlinie zu lösen. Ein Vorschlag, den auch die ESMA macht: Finanzaufsichtsbehörden sollen sich untereinander und auch mit der Steuerverwaltung ihres Landes austauschen können, fordert die EU-Behörde. Die CSSF teilt diese Empfehlung, heißt es auf Nachfrage.

Das Finanzministerium verweigert übrigens eine Stellungnahme zum ESMA-Bericht. Dort will man den Ende September erschienenen Bericht erst einmal genau studieren, heißt es auf Nachfrage von Reporter.lu.