Das „Nation Branding“ wird von Blau-Rot-Grün fast schon exzessiv betrieben. Dabei ist bereits der Ansatz, Luxemburg als nationale Marke neu zu erfinden problematisch. Vor allem verhindert er aber einen wahrhaftigen politischen Wandel. Eine Analyse.

Wer wissen will, warum Luxemburg ein „Nation Branding“ braucht, sollte Gilles Muller fragen. In einem Interview mit der „New York Times“ brachte der beste luxemburgische Tennisspieler aller Zeiten die Sache erfrischend nüchtern auf den Punkt:

„Luxemburg ist sehr berühmt für seine Banken, seine Steuerregeln, und das alles, also haben sie gedacht, sie hätten ein schlechtes Image. Jetzt wollen sie alles neu machen, sich neu aufstellen und da haben sie mich gefragt, ob ich dabei helfen will.“

Selten hat jemand ein politisches PR-Konzept mit so wenigen Worten so wirkungsvoll entlarvt wie der frühere Tennisprofi. Das „Nation Branding“ ist für Luxemburg vor allem ein Mittel, um das ramponierte Image des „Steuerparadieses“ aufzupolieren. Von diesem deklarierten Ziel ist man aber immer noch weit entfernt.

Luxemburgs schlechtes Gewissen

Seit 2013 ist die Regierung bemüht, das besagte schlechte Image abzulegen – nicht nur mit schönen Slogans und Promo-Videos, sondern auch ganz pragmatisch durch politische Reformen. „Luxemburg ist von den schwarzen Listen der Welt verschwunden“, lautet das blau-rot-grüne Mantra. Und tatsächlich: Das Bankgeheimnis ist passé und gewisse Exzesse der Steuervermeidung wurden auf Druck des Auslandes zumindest eingedämmt.

Komplett gewandelt hat sich das Geschäftsmodell des Großherzogtums in den vergangenen sechs Jahren jedoch nicht. Luxemburg bleibt ein nicht zuletzt durch seine Steuergesetzgebung attraktiver Standort, wenn auch nicht mehr für vermögende Privatleute, die mit ihren Geldkoffern ins Land ziehen. Die paradiesischen Zustände gelten heute vor allem für international agierende Unternehmen.

Jemand, sei es ein Mensch, eine Firma oder ein Staat, der es nötig hat, seine Marke neu zu erfinden, hat irgendetwas zu verbergen.“

Das Image des Steuerparadieses ist jedenfalls keine böse Erfindung von ausländischen Neidern, sondern basiert nach wie vor auf real existierenden Zuständen. Dazu gehören die unregulierten, steuerlich bevorteilten „Sociétés de participations financières“ (Soparfi). Diese fast 50.000 Beteiligungsgesellschaften mit wenig wirtschaftlicher Substanz machen rund die Hälfte aller Unternehmen im Land aus. Auch der florierende Banken- und Investmentfonds-Standort kann nicht zuletzt mit unschlagbaren fiskalischen Argumenten aufwarten.

Was sich verändert hat, ist die Einstellung der Politik. Während man früher noch relativ hemmungslos die eigenen Vorzüge auch nach außen betonte, haben Luxemburgs Politiker mittlerweile einen ausgeprägten Steuerparadies-Komplex entwickelt. Mit nichts kann man Luxemburgs Regierung leichter in Verlegenheit bringen als durch dieses Label. Das schlechte Image führte zu einem schlechten Gewissen. Um dieses zu besänftigen, ließ man sich etwas Neues einfallen.

Don’t mention the Finanzplatz

Die Idee, das Image des Landes nach außen positiv zu verkaufen, wurde freilich nicht von der aktuellen Regierung erfunden. Blau-Rot-Grün hatte sich beim Amtsantritt jedoch zum Ziel gesetzt, ein Gesamtkonzept des „Nation Branding“ zu entwickeln und dafür auch deutlich mehr Geld in die Hand zu nehmen als früher. Aktuell beträgt der Haushaltsposten für die „Promotion de l’image du Luxembourg“ 1,7 Millionen Euro pro Jahr – neue „Nischenbudgets“ nicht mit einberechnet.

Der Kern des „Nation Branding“ besagt, dass Luxemburg als Marke begriffen wird. Was macht das Land außer der Finanzbranche aus? Wie kann man diese Aspekte in der Welt bekannter machen? Wie lässt sich daraus Kapital schlagen? Dazu brauchte man einen griffigen Slogan („Let’s make it happen“) und Marketing-Begriffe, die das Produkt Luxemburg positiv umschreiben sollen. Die Wahl fiel nach langer Suche auf: „Verlässlichkeit. Dynamik. Offenheit“.

Der Finanzplatz ist zwar nicht alles. Aber ohne den Finanzplatz wäre alles nichts.“

In der Tat macht Luxemburg auch aus der Sicht von Investoren viel mehr aus als nur seine Steuerlandschaft. Die politische und soziale Stabilität gehört ebenso dazu wie die berühmten kurzen Wege der Verwaltung oder die Mehrsprachigkeit der Bevölkerung.

Ehrlicherweise müsste man aber immer dazu sagen, dass viele Vorzüge des Landes eben im unmittelbaren Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Dynamik stehen. Ohne die sprudelnden Steuereinnahmen aus der Finanzbranche könnte sich das Land etwa die sozialen Errungenschaften, auf die man im Gegensatz zum Ursprung des Reichtums sehr wohl stolz ist, nicht leisten. Der Finanzplatz ist zwar nicht alles. Aber ohne den Finanzplatz wäre alles nichts – oder zumindest vieles nicht möglich.

Exzesse des „Nation Branding“

Passend zur Ausblendung des Ursprungs des luxemburgischen Erfolgsmodells fällt heute quasi alles unter das „Nation Branding“. Kulturelle Veranstaltungen, Tennisturniere, erfolgreiche Sportler, Filme, Museen, Gastronomie-Messen, und vieles mehr – alles, womit Luxemburg in einem guten Licht stehen kann, wird vom Staat als nationale Förderungsmaßnahme finanziert. Nach dem Motto: Hauptsache man verbindet das Land nicht mehr mit all dem, das man – zumindest in der Wahrnehmung von außen – gerne hinter sich lassen will.

Die nationale Marketing-Logik hat dabei längst den politischen Diskurs zersetzt. Luxemburg ist mittlerweile so weit, dass selbst politische Maßnahmen durch die „Nation Branding“-Brille bewertet und begründet werden. So etwa das „Space Mining“, das laut Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) nicht nur ein Beitrag zur ökonomischen Diversifizierung, sondern auch zur positiven Darstellung von Luxemburgs „Zukunftsvisionen“ sein soll.

Oder: Warum führt die Regierung die kostenlose Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ein? Aus sozialen oder umweltpolitischen Gründen? Nicht nur. Allein die Ankündigung dieser Maßnahme habe nämlich „international für Aufmerksamkeit“ gesorgt, sagte Xavier Bettel (DP) in seiner Regierungserklärung im vergangenen Dezember. „Genau das“ sei auch eine Überlegung gewesen, als man die Reform beschlossen habe. Es handele sich um eine Maßnahme, die unser Land im Ausland „attraktiver macht“, so der Premier.

Selbst der Kampf gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen wird auf diese Weise vereinnahmt. Beim Abschluss der Konferenz „Stand Speak Rise Up“ sagte Außenminister Jean Asselborn (LSAP) vergangene Woche: „Wir wollen hiermit zeigen, dass Luxemburg nicht nur etwas ist, was mit Geld zu tun hat.“

Das große Ablenkungsmanöver

Die Attraktivität des Landes für ausländisches Kapital spielt in der Marketing-Kampagne der Regierung dagegen keine Rolle. „Kostbares Naturerbe“, „Weinbau“, „sprachliche Vielfalt“, „bescheidener und beharrlicher Vermittler“: In den Hochglanz-Broschüren von „Inspiring Luxembourg“ wird das Produkt als quasi alles dargestellt, nur nicht als eines der größten Finanzzentren der Welt, das den Einwohnern des Landes auf Kosten anderer Staaten einen außergewöhnlichen Wohlstand bescherte.

Die Regierung sollte sich das Geld für das ‚Nation Branding‘ künftig sparen und stattdessen einen wahrhaftigen politischen Wandel einleiten.“

Das Problem bei dieser nationalen Marketing-Offensive war von Anfang an klar: Nicht jeder lässt sich von schönen Sprüchen und einer bewussten Neuerfindung der Luxemburger Markenidentität beeindrucken. Jemand, sei es ein Mensch, eine Firma oder ein Staat, der es nötig hat, seine Marke neu zu erfinden, hat irgendetwas zu verbergen. So wie „Coca Cola“ nie von sich aus damit werben würde, dass ein Glas seines Produktes das Pendant von zehn Zuckerwürfeln enthält, behält auch Luxemburg die wahren Gründe für seine Attraktivität am liebsten für sich.

„Die Menschen erkennen solche Kampagnen instinktiv als das, was sie sind: Propaganda eines ausländischen Staates“, brachte der Politikberater Simon Anholt das Konzept des „Nation Branding“ einst in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ auf den Punkt. Das Zitat bezieht sich zwar auf Deutschland, das sich per „Nation Branding“ von den schwarzen Kapiteln seiner Geschichte befreien wollte. Die instinktive Durchschaubarkeit einer solchen Kampagne ist aber ebenso auf andere Staaten und deren kollektives schlechtes Gewissen anwendbar.

Jenseits des nationalen Marketings

Ob das nationale Marketing seine gewollte Wirkung erzielt, ist zudem äußerst schwer zu belegen. Die politische Realität deutet bisher nicht darauf hin. Noch Anfang des Jahres attestierte die Europäische Kommission Luxemburg eine „aggressive Steuerplanung“. Eine Spezialkommission des Europäischen Parlaments kam kürzlich zum selben Schluss.

Selbst die schärfsten Kritiker der Steuerpraktiken von Luxemburg (und anderen europäischen Staaten) räumen dabei ein, dass es in den vergangenen Jahren Fortschritte gab. Gleichzeitig lassen sie sich aber nicht von einem einseitigen bis heuchlerischen „Nation Branding“ blenden. Bis auf Weiteres assoziiert man mit Luxemburg durchaus unterschiedliche Dinge: Gilles Muller, Andy Schleck und die schönen Weinberge, aber auch den reichen Kleinstaat mit dem überdimensionierten Finanzplatz.

Gute PR funktioniert nur, wenn man wirklich zuerst etwas Gutes tut, und es dann erst in alle Welt hinausposaunt.“

Für die Regierung bleiben demnach zwei Möglichkeiten: Entweder man akzeptiert diesen Dualismus und geht aufrichtig damit um. Oder man nimmt diese Realität zum Anlass, sich noch ein weiteres Mal neu zu erfinden. In beiden Fällen könnte sich die Regierung das Geld für das „Nation Branding“ künftig sparen und stattdessen einen wahrhaftigen politischen Wandel einleiten. Nicht nur, um dem Ausland zu gefallen, sondern auch, um die eigene Abhängigkeit vom bisherigen luxemburgischen Modell mittelfristig zu verringern.

Statt einer durchschaubaren Marketing-Kampagne sollte man sich lieber auf den klassischen Grundsatz der (politischen) PR berufen: „Tue Gutes und rede darüber“, könnte das neue Motto sein. Das einzige Problem dabei: Gute PR funktioniert nur, wenn man wirklich zuerst etwas Gutes tut und es dann erst in alle Welt hinausposaunt. Sonst läuft man Gefahr, dass der Schuss nach hinten losgeht.


Lesen Sie mehr zum Thema