Luxemburgs Regierung tritt gerne als Verteidiger des Guten in der Welt auf. Nationale Interessen verfolgt sie lieber im Verborgenen. Rechenschaft ist sie zu Hause selten schuldig. Dabei wäre eine offene Debatte über die Ziele der luxemburgischen Außenpolitik überfällig. Eine Analyse.
„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ Die Aussage, die der ehemalige deutsche Minister Egon Bahr einst vor Schülern gemacht hatte, mag im ersten Moment übertrieben wirken. Doch sie bringt ein durchaus realistisches Verständnis von Außenpolitik auf den Punkt, das bis heute Gültigkeit hat.
Der Einsatz für „Demokratie und Menschenrechte“ ist auch ein gängiges rhetorisches Stilmittel der luxemburgischen Außenpolitik. Wenn man Jean Asselborn zuhört, könnte man denken, dass es so etwas wie luxemburgische Interessen überhaupt nicht gibt. Stets scheint es dem Außenminister darum zu gehen, die Solidarität in Europa und den Frieden in aller Welt zu fördern. Nationale Interessen seines eigenen Landes formuliert und verteidigt er selten – zumindest öffentlich.
Was sind Luxemburgs nationale Interessen?
Eine Ausnahme machte Jean Asselborn in einem Interview mit dem „Luxemburger Wort“ im Jahre 2016. „Unsere Souveränität und unser politisches Überleben hängen von Europa ab. Wir müssen bescheiden bleiben“, skizzierte er damals die DNA der luxemburgischen Außenpolitik. Dabei könne man durchaus „auf dem Gebiet der Menschlichkeit und der Solidarität“ die europäische Politik in die richtige Richtung beeinflussen. „Daneben haben wir aber auch eigene Interessen, unsere Wirtschaft, unseren Finanzplatz“, so der Außenminister.
Aufrichtiger hat selten ein Politiker die nationalen Interessen Luxemburgs auf den Punkt gebracht. In bewährter idealistischer Manier zählt Jean Asselborn zwar Werte wie Menschlichkeit und Solidarität zu den Zielen seiner Politik. Darüber hinaus definiert er Luxemburgs Interessen mit dem Erhalt der nationalen Souveränität und der eigenen wirtschaftlichen Stärke aber in der Tradition einer realistischen Außenpolitik.
Wir sind keine heiligen Messdiener. Wir haben auch unsere Hintergedanken.“Außenminister Jean Asselborn
Der Realismus als Theorie der internationalen Politik besagt eben genau das: Staaten haben Interessen und vertreten diese entsprechend ihrer Macht und ihres Einflusses in der Weltpolitik. Natürlich gibt es auch andere Beweggründe und Variablen der internationalen Politik. Nicht zuletzt durch die über die Jahrzehnte ausgebauten Kompetenzen internationaler Organisationen sind der rein auf die Maximierung des eigenen Einflusses ausgerichteten Außenpolitik heute gewisse Grenzen gesetzt.
Und doch geht es in der Politik nicht nur um hehre Ziele, sondern immer um Interessen. Auch Luxemburg hat solche, die die Regierung zur Not mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigt. Das sollte man sich regelmäßig in Erinnerung rufen, wenn Außenminister Jean Asselborn oder Premierminister Xavier Bettel das nächste Mal leidenschaftlich für Frieden, Demokratie, Solidarität oder Ähnliches eintreten.
Abstrakte Ziele machen noch keine Strategie
Dabei sollte man jedoch betonen, dass auch die Förderung von Demokratie und Menschenrechten oder von „Menschlichkeit und Solidarität“ durchaus im Interesse eines Staates liegen kann. Die „Ostpolitik“ eines Egon Bahr an der Seite des früheren deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt ist dafür das beste Beispiel. Eine Entspannung zwischen Ost und West lag während des Kalten Krieges im nationalen Interesse der Bundesrepublik. Der Ruf nach Ausgleich und Mäßigung war damals keine Floskel, sondern Ausdruck einer überaus realistischen Politik.
Ähnlich kann der Kleinstaat Luxemburg argumentieren, und zwar im Grunde seit seiner Existenz. Doch der Verweis darauf, dass man für ein friedliches, freiheitliches und demokratisches Europa ist, reicht für eine außenpolitische Strategie nicht aus. Im Alltag der internationalen Politik sind diese abstrakten Ziele für die meisten Staaten nicht entscheidend – und manchmal sogar nur ein Vorwand, um andere, weniger löblich klingende politische Interessen zu kaschieren – siehe „unser Finanzplatz“.
Dabei gibt es auch in Luxemburgs Außenpolitik gewisse Widersprüche. Wie ist etwa die Beteiligung am Drohnenkrieg der USA über SES-Satelliten mit der ansonsten so betonten Friedenspolitik vereinbar? Warum beteiligt man sich an einer Eskalation des Venezuela-Konflikts, obwohl man sich sonst für Zurückhaltung stark macht? Wie glaubwürdig ist der Ruf nach einer Aufhebung der Einstimmigkeit in der EU-Außenpolitik, wenn sich Luxemburg bis heute gegen eine gemeinsame Finanzpolitik der EU wehrt?
Plädoyer für eine außenpolitische Debatte
Dabei liegt das Problem eben nicht darin, dass Luxemburg eigene Interessen hat und diese auf internationaler Ebene verfolgt. Nationale Interessen sind nicht anrüchig, sondern vielmehr Ausdruck eines entspannten Selbstverständnisses. Es geht vielmehr um die Doppelmoral. Oder wie es der Außenminister im Interview mit REPORTER ausdrückte: „Wir sind keine heiligen Messdiener. Wir haben auch unsere Hintergedanken.“
Es geht aber auch darum, dass Luxemburg im Gegensatz zu anderen Staaten nicht offener mit den eigenen Interessen umgeht. Das hat jedoch seine Gründe. Dazu gehört nicht nur die „Bescheidenheit“ eines kleinen Landes, wie es Asselborn formuliert. Es hat auch damit zu tun, dass es keine ausgeprägte Tradition des außenpolitischen Diskurses in der Gesellschaft gibt. Es besteht für die Regierenden gar kein Druck, mehr Auskunft über die eigenen Interessen und außenpolitischen Methoden zu geben.
Es ist eben diese Form von hypermedialer Diplomatie im luftleeren Raum, die unser Verständnis von außenpolitischer Debatte prägt.“
Außenpolitik existiert in Luxemburg eigentlich nur im streng institutionellen Gefüge des Staates. Außenpolitik – das ist, wenn der Außenminister Stellung bezieht, wenn der Premier in Brüssel vor die Kameras tritt oder vielleicht noch, wenn das Parlament über außenpolitische Themen spricht. Ansonsten spielt der Diskurs über die Strategie der luxemburgischen Interessenvertretung im Ausland keine große Rolle in der Zivilgesellschaft. Auch die meisten Medien beteiligen sich daran nicht mit substanziellen Debattenbeiträgen.
So scheint Außenpolitik in Luxemburg auch nicht nach politischen Erfolgen, sondern vielmehr nach der Popularität des zuständigen Ministers und der Anzahl seiner Zitate in ausländischen Medien bewertet zu werden. Man tritt Jean Asselborn sicher nicht zu nahe, wenn man das Offensichtliche feststellt: Seine Äußerungen werden zwar gerne von der internationalen Presse aufgegriffen, sie beeinflussen aber nur selten auch nur ansatzweise den Lauf der weltpolitischen Dinge.
Die Grenzen der Methode Asselborn
Auch dieses Muster erschwert eine substanzielle Debatte. Ein rezentes Beispiel: „Asselborn warnt Trump“. Jeder weiß, dass solche markanten Sätze in der realen Politik keinerlei Wirkung erzielen werden. Sie werden nicht zur Lösung eines Problems beitragen. Und mit der Verfolgung luxemburgischer Interessen hat das meistens auch herzlich wenig zu tun. Es ist eben diese Form von hypermedialer Diplomatie im luftleeren Raum, die unser Verständnis von außenpolitischer Debatte prägt.
In Luxemburg stört sich daran fast keiner. Nur Angela Merkel hat das Problem einmal im Kern erkannt: „Ich schätze den Außenminister Luxemburgs wirklich sehr, aber wir haben doch als Politiker eine Verantwortung, aus schwierigen Entwicklungen etwas Vernünftiges zu machen. Man ist nicht Politiker, um die Welt zu beschreiben und sie katastrophal zu finden. Das können Soziologen oder Journalisten machen“, sagte die deutsche Bundeskanzlerin einmal in einer Talkshow.
Jean Asselborn sieht das offensichtlich anders. „Ich stehe morgens nicht auf, um eine Strategie festzulegen. Ich bin aber fähig, der Realität in die Augen zu schauen“, sagte er in dem eingangs zitierten Interview. Man würde sich wünschen, dass er beides tut: Der Realität in die Augen schauen und eine Strategie festlegen, die der Rolle Luxemburgs gerecht wird.
Welche Rolle soll das sein? Jene eines kleinen Staates, der auf politische Kooperation und wirtschaftliche Offenheit angewiesen ist. Jene eines Mitgliedstaates der EU, der in dieser Staatengemeinschaft seine Interessen am besten vertreten sieht und sich ansonsten in Bescheidenheit übt. Jene einer Regierung, die zumindest ansatzweise Rechenschaft ablegen muss, wenn sie wieder behauptet, dass es in der internationalen Politik um Demokratie und Menschenrechte gehe.
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