Seit 2001 sind Tausende Menschen im US-amerikanischen Drohnenkrieg ums Leben gekommen. Lange blieb diese Form der Kriegsführung unter dem Radar der Öffentlichkeit. Besonders im fernen Afghanistan gehören tödliche Drohnenangriffe nach wie vor zum Alltag.
Bereits der erste Drohnenangriff der Geschichte verfehlte sein Ziel. Am 7. Oktober 2001 steuerten die USA in der südafghanischen Stadt Kandahar eine Drohne auf ein Haus, in dem man den Taliban-Anführer Mullah Omar vermutete. Mullah Omar jedoch konnte fliehen und lebte weitere zehn Jahre, bis er 2011 eines natürlichen Todes starb.
Bei dem Angriff kamen jedoch andere Menschen ums Leben. Bis heute weiß man nicht, wer damals beim ersten Drohnenflug den Knopf gedrückt hat. Die missglückte Operation markierte den Beginn einer neuen fortwährenden Methode, die inzwischen Tausende Todesopfer gefordert und sich in andere Länder wie Somalia, Syrien und den Jemen ausgeweitet hat.
„Tod auf Knopfdruck“
Der österreichisch-afghanische Journalist Emran Feroz beschreibt in seinem Buch „Tod auf Knopfdruck. Das wahre Ausmaß des US-Drohnen-Terrors oder Wie Mord zum Alltag werden konnte“ wie der Drohnenkrieg seitdem zur Normalität geworden ist: Die Drohnenangriffe „finden — und das kann man gar nicht oft genug betonen — regelmäßig statt. Sie finden statt, während wir frühstücken, während wir unserer Arbeit nachgehen oder während wir schlafen und von unserem nächsten Urlaub träumen.“
Nur ein kleiner Teil der inzwischen schätzungsweise 5.000 Todesopfer des US-Drohnenkrieges waren tatsächlich die anvisierten Kämpfer. Ein tragischer Vorfall Mitte September verdeutlichte diese traurige Statistik noch einmal eindrücklich: Bei einem Drohnenangriff, der einem Versteck von IS-Terroristen in der ostafghanischen Provinz Nangarhar galt, trafen die Amerikaner versehentlich Feldarbeiter, die sich nach der Pinienkernernte auf ihrem Acker um ein Feuer versammelt hatten. Mindestens 30 Männer kamen dabei ums Leben, viele weitere wurden verletzt.
Ein Sprecher der US-Streitkräfte in Afghanistan sprach hinterher von „Kollateralschaden“ und kündigte eine Untersuchung an.
Perfide Doktrin des US-Militärs
„Das Perfide an den Drohnenangriffen ist, dass die Bevölkerung nicht weiß, wann und wo sie stattfinden und wen es treffen wird. Es gibt Landstriche in Afghanistan, wo Drohnenangriffe so häufig stattfinden, dass die Kinder mittlerweile gelernt haben, zwischen verschiedenen Drohnentypen zu unterscheiden“, sagt Emran Feroz. „Nicht selten werden Männer nach Drohnenangriffen nur aufgrund ihres Bartes und Geschlechts als feindliche Kämpfer eingestuft, nachdem sie getötet wurden.“
Diesem Vorgehen liegt eine Doktrin zugrunde, die sich während der Obama-Präsidentschaft unter den US-Streitkräften offiziell durchgesetzt hat: Jede männliche Person im wehrfähigen Alter, die sich im Umfeld eines Drohnenangriffs befindet, wird nachträglich als Kämpfer eingestuft, solange nicht das Gegenteil bewiesen wurde. Solche Beweise zu erbringen ist jedoch meist nahezu unmöglich. In vielen Familien auf dem afghanischen Land gehört ein Teil der Männer zu Rebellengruppen, während ein anderer ganz normal seiner Arbeit nachgeht. Loyalitäten sind wechselnd und junge arbeits- und perspektivlose Männer schließen sich mal dieser, mal jener Gruppe an.
Weiterentwicklung der Technologie
Nicht nur ist die Anzahl der US-Luftschläge in Afghanistan unter Präsident Trump stark angestiegen. Hinzu kommt auch, dass sich der Drohnenkrieg in den letzten Jahren technisch beständig weiterentwickelt hat. „Inzwischen werden bewaffnete Roboterdrohnen entwickelt, die automatisch bestimmen, wer Feind und wer Freund ist“, erklärt Emran Feroz.
Bei Tests auf Luftwaffenstützpunkten in den USA wurde dafür sogar eine orientalische Stadt nachgebaut, inklusive Moscheen und turbanbekleideten Statisten. „Letztendlich erschweren solche Erfindungen noch mehr als bei menschengesteuerten Drohnenangriffen, am Ende die Verantwortlichen zu finden. Man wird dann hinterher einfach sagen, der Roboter habe das gemacht.“
Für Feroz ist der Drohnenkrieg, der den Terror bekämpfen will, ebenfalls eine Form von Terror, an dem man sich auch in Europa beteilige. „Ohne die Airbase im deutschen Ramstein zum Beispiel würden die Drohnen gar nicht funktionieren“, sagt Feroz.
Europäische Schützenhilfe
Zuletzt hatten drei Jemeniten und ein Somalier vor dem Oberverwaltungsgericht Münster die Bundesrepublik Deutschland verklagt, weil sie Familienangehörige durch US-Drohnenangriffe verloren hatten. Die Attacken wurden über Ramstein gesteuert, die größte amerikanische Militärbasis außerhalb Nordamerikas, auf der nach wie vor Zehntausende amerikanische Militärs stationiert sind. Da die Entfernung von den USA bis in die Drohneneinsatzgebiete im Nahen Osten und Asien zu groß ist, dient Ramstein als Empfangs- und Weiterleitungsstation von Funksignalen zur Steuerung der unbemannten Kampfmaschinen.
Genauso wie jene Firmen, die sich durch die Entwicklung von Technologien mehr oder weniger direkt am Drohnenkrieg beteiligen, zeigte sich die deutsche Regierung lange Zeit ahnungslos von dem, was im amerikanischen Drohnenkrieg vor sich geht. Lieber wollte man ein Auge zudrücken, als zu erfahren was für Operationen eigentlich über den Stützpunkt Ramstein gesteuert werden. Schließlich würde dies die transatlantischen Beziehungen gefährden.
In der Urteilsverkündung im Falle der jemenitischen Kläger hieß es, es gebe „gewichtige (…) Anhaltspunkte dafür, dass die USA unter Verwendung technischer Einrichtungen auf der Air Base Ramstein und dort stationierten eigenen Personals bewaffnete Drohneneinsätze in der Heimatregion der Kläger im Jemen durchführen, die zumindest teilweise gegen Völkerrecht verstoßen (…)“. Ferner wurde festgelegt, dass Deutschland in Zukunft aktiv nachforschen muss, ob die USA bei ihren Drohneneinsätzen im Jemen das Völkerrecht wahren oder ob es Rechtsbrüche gibt.
Moralische Verantwortung, aber nicht mehr
Auch im Fall von Afghanistan scheint dies mehr als fraglich, wie die Tötung der Pinienkernbauern zeigt. Anders als in Jemen und Somalia, wo der Drohnenkrieg international kontrovers diskutiert und kritisiert wurde, erhält der afghanische Drohnenkrieg weniger Aufmerksamkeit — auch weil man Schreckens- und Todesmeldungen vom Hindukusch seit Jahrzehnten gewohnt ist.
„Afghanistan ist zurzeit wieder der weltweit tödlichste Konflikt. Das Desinteresse am Land wächst und die meisten europäischen Staaten scheinen sich zurzeit nur noch eines zu fragen, und zwar: ‘Wie können wir die afghanischen Flüchtlinge am besten wieder abschieben?’, sagt Emran Feroz. Deshalb sei es umso wichtiger, den Finger in die Wunde zu legen und insbesondere die stille Drohnenkriegsführung immer wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.
Auch der luxemburgische Satellitenbetreiber SES spielt über seine Tochter „SES Government Solutions“ im System der Drohnenangriffe eine entscheidende Rolle. Ohne die Technologie und die von privaten Unternehmen wie der SES angebotene Bandbreite wäre laut Experten die moderne Kriegsführung gar nicht machbar. Verteidigungsminister François Bausch sprach im Interview mit REPORTER einst von einer moralischen Verantwortung des luxemburgischen Staates. Konkrete Maßnahmen, um die Rolle Luxemburgs im globalen Drohnenkrieg in Frage zu stellen, stellte er jedoch nicht in Aussicht.
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